Worte der Jungfrau Maria an die Tochter, die eine nützliche Lehre aussprechen, wie sie leben soll, und die viele wunderbare Dinge von Christi Leiden beschreiben.
10. kapitel

Ich bin die Himmelskönigin, Gottes Mutter. Ich habe dir gesagt, dass du deinen Brustschmuck auf dir haben sollst. Jetzt will ich dir ausführlicher zeigen, dass ich von Anfang an, als ich hörte und verstand, dass es Gott gab, mich ständig und mit Furcht um meine Erlösung bemühte, und dass ich sein Gebot beachten würde. Aber als ich mehr von Gott hörte, dass er mein Schöpfer und Richter über alle meine Handlungen war, liebte ich ihn innig, und zu jeder Stunde fürchtete ich mich und sah mich sehr vor, ihn durch Handlungen oder Worte zu erzürnen.

Später, als ich hörte, dass er dem Volk Israel Gesetzte und Weisungen gegeben und so große Wundertaten mit ihnen getan hat, fasste ich in meiner Seele einen festen Beschluß, nichts anderes als ihn zu lieben, und weltliche Dinge wurden mir sehr bitter. Als ich dann hörte, dass er, derselbe Gott, die Welt erlösen und von einer Jungfrau geboren werden würde, wurde ich von einer solchen Liebe zu ihm ergriffen, dass ich an nichts anderes als an Gott dachte und nichts anderes begehrte, als ihn.

Ich hielt mich, soviel ich konnte, von Gesprächen und von der Anwesenheit der Eltern und Freunde zurück, und alles, was ich bekam, gab ich den Armen und behielt nur eine knappe Nahrung und Kleidung. Nichts erfreute mich, außer Gott. Ich wünschte immer in meinem Herzen, dass ich bis zu der Zeit vor seiner Geburt leben und es vielleicht verdienen würde, die unwürdige Dienerin der Mutter Gottes zu sein. Ich versprach auch in meinem Herzen, wenn es ihm gefallen würde, meine Jungfräulichkeit zu bewahren und niemals etwas auf Erden zu besitzen. Aber wenn Gott es anders wollte, so sollte sein Wille und nicht meiner geschehen – denn ich glaubte, dass er alles könnte und auch nur das wollte, was für mich nützlich wäre. Daher übergab ich ihm allen meinen Willen.

Als die Zeit da war, dass die Jungfrauen nach dem Gesetz im Tempel des Herrn gezeigt werden sollten, war auch ich unter ihnen, da meine Eltern der Vorschrift gehorchten, und ich dachte bei mir, dass für Gott nichts unmöglich sei. Und da er wusste, dass ich nichts wünschte und nichts anderes ersehnte als ihn, konnte er mich jungfräulich bewahren, wenn es ihm gefiele – wenn nicht, sollte doch sein Wille geschehen. Nachdem ich alles gehört hatte, was im Tempel befohlen war, kehrte ich heim und brannte nun mehr als vorher in Liebe zu Gott und wurde täglich von neuem heißen Liebesbegehren entzündet. Daher zog ich mich mehr als üblich von allen zurück und war Tag und Nacht allein, wobei ich sehr fürchtete, dass mein Mund etwas reden oder das Ohr etwas hören sollte, was gegen den Willen meines Gottes war, oder dass meine Augen etwas vom Zauber der Welt sehen würden.

Auch im Schweigen hegte ich Furcht und ängstigte mich sehr deswegen, dass ich vielleicht verschweigen würde, was ich lieber hätte sagen sollen.
Als ich so in meinem Herzen beunruhigt wurde, einsam mit mir selbst, und all mein Vertrauen auf Gott setzte, kam es mir in den Sinn, über Gottes große Macht nachzudenken, wie die Engel und alles Geschaffene ihm dienen, und wie unsagbar und unbegrenzt seine Herrlichkeit ist. Als ich von diesem Gedanken entzückt wurde, sah ich drei wunderbare Dinge: Ich sah einen Stern, aber nicht einen solchen, der am Himmel leuchtete; ich sah ein Licht, aber kein solches, das auf Erden leuchtet; ich spürte einen Duft, nicht wie von Kräutern oder etwas Derartigem, sondern unaussprechlich lieblich, und der erfüllte mich ganz, so dass ich vor Freude jubelte.

Danach hörte ich gleich eine Stimme, aber nicht von einer menschlichen Zunge, und als ich sie hörte, zitterte ich und fürchtete, dass es sein Blendwerk sein könnte. Gleich zeigte sich mir ein Engel Gottes; er war wie der schönste Mann, aber nicht mit Fleisch bekleidet, und er sagte zu mir: „Heil dir, du Hochbegnadete!“ Als ich das hörte, wollte ich wissen, was er meinte, und warum er mit einem solchen Gruß kam; ich wusste und hielt mich ja einer solchen Sache oder etwas Gutem unwürdig, aber dass es für Gott nicht unmöglich sei, zu tun, was er will.

Da sagte der Engel von neuem: „Das, was in dir geboren wird, ist heilig und wird Gottes Sohn genannt, und so wie es ihm gefallen hat, soll es geschehen.“ Aber nicht einmal da hielt ich mich für würdig und ich fragte den Engel nicht, warum oder wann es geschehen sollte, sondern ich fragte, wie es geschehen könnte, dass ich Unwürdige Gottes Mutter werden sollte. Ich sagte auch, dass ich von keinem Manne wusste. Und der Engel antwortete nur, wie ich sagte: „Für Gott ist nichts unmöglich, denn alles, was er tun will, das geschieht.“

Als ich diese Worte des Engels hörte, verspürte ich die innigste Sehnsucht, Gottes Mutter zu werden, und meine Seele sprach in Liebe: „Siehe, hier bin ich; dein Wille geschehe in mir.“ Bei diesen Worten wurde gleich mein Sohn in meinem Fleisch gezeugt, zu unaussprechlichem Jubel für meine Seele und mein ganzes Wesen. Als ich ihn im Mutterleib hatte, trug ich ihn ohne Beschwerden, ohne Schwere oder Unannehmlichkeit. Ich demütige mich in allem in dem Bewusstsein, dass er, den ich trug, allmächtig war.
Als ich ihn gebar, gebar ich ihn ohne Schmerz und Sünde, wie ich ihn auch unter einem solchen Jubel der Seele und des Leibes zur Welt brachte, dass meine Füße infolge dieser Freude nicht den Boden spürten, auf dem sie standen.

Und so wie er zur Freude meiner ganzen Seele in alle meine Glieder einging, so kam er zur Freude aller meiner Glieder und der unbeschreiblichen Freude meiner jubelnden Seele ans Licht, ohne meine Jungfrauenschaft zu beschädigen. Als ich seine Schönheit schaute und betrachtete, tropfte meine Seele wie Tau vor Freude; ich wusste ja, ich bin eines solchen Sohnes unwürdig. Aber als ich die Stellen an seinen Händen und Füßen betrachtete, über die ich von den Propheten gehört hatte, dass sie bei der Kreuzigung von Nägeln durchbohrt werden sollten, füllten meine Augen sich mit Tränen, und das Herz zersprang fast vor Betrübnis.

Als mein Sohn meine weinenden Augen sah, wurde er fast zu Tode betrübt. Als ich dagegen über seine göttliche Macht nachdachte, wurde ich von neuem getröstet, wohl wissend, dass er es so haben wollte, und dass es so geschehen müsse. Ich vereinte meinen ganzen Willen mit dem seinen, und so war meine Freude immer mit Schmerz gemischt. Als das Leiden meines Sohnes bevorstand, ergriffen seine Feinde ihn, schlugen ihn auf die Wange und den Hals, bespuckten und verhöhnten ihn. So wurde er an die Geißelsäule geführt, und er legte selbst seine Kleider ab. Er legte seine Hände selber um den Pfeiler, und seine Feinde banden sie ohne Erbarmen fest. Als er gebunden dastand, hatte er keinerlei Gewand auf sich, sondern stand nackt da, wie er geboren wurde, und schämte sich seiner Nacktheit.

Seine Freunde flohen, und seine Feinde kamen aus allen Richtungen zusammen, stellten sich dort auf und geißelten seinen Körper, der von allen Flecken und Sünde frei war. Beim ersten Schlag fiel ich, die sehr nah dabeistand, nieder wie tot, und als ich das Bewusstsein wiedererlangte, sah ich seinen Leib bis auf die Rippen gepeitscht und gegeißelt, so dass diese sichtbar wurden. Und was noch bitterer war – als die Geißeln herausgezogen wurden (?) wurde sein Fleisch von diesen Geißeln durchpflügt, wie die Erde vom Pflug.

Als mein Sohn so dastand, ganz blutig, ganz zerfleischt, so dass es nichts Ganzes mehr auf ihm gab und nichts mehr, das mehr gegeißelt werden konnte, da wurde der Geist bei einem der Anwesenden erweckt, und der fragte: „Sollt ihr ihn ohne Urteil töten?“ Und er schnitt gleich seine Bande durch.
Danach zog mein Sohn seine Kleider wieder an, und den Platz, wo seine Füße standen, sah ich ganz von Blut bedeckt, und an den Fußspuren meines Sohnes konnte ich sehen, wohin er ging – denn wo er gegangen war, da erschien die Erde blutig. Und sie duldeten kaum, dass er sich ankleidete, sondern trieben ihn an und zerrten ihn, damit er sich beeilen sollte. Als mein Sohn nun fortgeführt wurde, wie ein Räuber, wischte er sich das Blut aus seinen Augen.

Als er verurteilt war, legten sie das Kreuz auf ihn, damit er es tragen sollte. Nachdem er es eine kleine Weile getragen hatte, kam ein Mann und nahm es, um es zu tragen. Während mein Sohn an den Platz seiner Pein ging, schlugen ihn einige auf den Hals, andere ins Angesicht. Und er wurde so hart und kräftig geschlagen, dass ich – obwohl ich den nicht sah, der ihn schlug – den Laut des Schlages doch deutlich hörte. Als ich mit ihm an den Platz der Pein kam, sah ich alle Geräte zu seiner Hinrichtung dort bereitliegen.

Und mein Sohn kam da hin und legte selber seine Kleider ab. Die Diener sagten zueinander: „Diese Kleider sind seine; er wird sie nicht wiederbekommen, nachdem er zum Tode verurteilt ist.“ Als mein Sohn mit nacktem Körper dastand, wie er geboren wurde, kam ein Mann angesprungen und reichte ihm ein Kleid, womit er innig froh seine Lenden bedeckte. Dann packten ihn die wilden Henker und streckten ihm auf dem Kreuze aus. Erst befestigten sie seine rechte Hand am Stamm, der mit Bohrlöchern für die Nägel versehen war, und sie durchbohrten die Hand an der Stelle, wo das Bein befestigt war. Danach streckten sie seine andere Hand mit einem Strick aus und befestigten ihn in derselben Weise an dem Holzstamm. Dann kreuzigten sie den rechten Fuß, und darüber den linken Fuß mit zwei Nägeln, so dass alle Sehnen und Adern ausgedehnt wurden und zerplatzten.

Nachdem das getan war, setzten sie die Dornenkrone[1] auf sein Haupt, und die stach das verehrungswürdige Haupt meines Sohnes so heftig, dass seine Augen mit dem fließenden Blut gefüllt wurden, die Ohren verstopft wurden, und der Bart von dem herabfließenden Blute ganz entstellt wurde. Als er so blutig und durchbohrt dahing, bemitleidete er mich, die dastand und weinte, sah mit seinen blutgefüllten Augen auf meinen Neffen Johannes und vertraute ihn mir an. Derweil hörte ich einige sagen, dass mein Sohn ein Räuber war, andere, dass er ein Lügner war, andere, dass keiner es mehr wert war zu sterben, als mein Sohn. Dadurch, das zu hören, erneuerte sich mein Schmerz. Und – wie gesagt – als der erste Nagel in ihm befestigt war, fiel ich beim Laut des ersten Schlages in Ohnmacht und fiel wie tot nieder, mit verdunkelten Augen, zitternden Händen und schwankenden Beinen, und in meinem Schmerz versuchte ich, nicht aufzusehen, bevor er ganz und gar festgenagelt war.

Aber als ich mich erhob, sah ich meinen Sohn elendig hängen, und ich, seine hochbetrübte Mutter, trauernd und verzweifelt, konnte kaum vor Schmerz stehen. Mein Sohn, der mich und seine Freunde in trostlosem Weinen sah, rief mit lauter und trauriger Stimme zu seinem Vater: „Vater, warum hast du mich verlassen?“ Das war, als ob er sagen wollte: „Es ist keiner, der sich meiner erbarmt, außer dir, Vater.“
Da schienen seine Augen halbtot, seine Wangen eingesunken, sein Antlitz schrecklich entstellt, sein Mund offen, seine Zunge blutig; sein Magen lag platt gegen den Rücken eingedrückt, nachdem alle Flüssigkeit verzehrt war, als ob er keine Eingeweide hätte. Sein ganzer Körper war bleich und kümmerlich durch Blutverlust.

Seine Hände und Füße waren sehr hart angespannt; sie waren auseinander gezogen und der Form des Kreuzes angepasst. Sein Bart und seine Haare waren ganz voll Blut. Als mein Sohn so verletzt und blaubleich dahing, war nur das Herz noch frisch, denn es war von der besten und stärksten Natur. Von meinem Fleisch hatte er nämlich den reinsten und bestgefügten Leib erhalten. Seine Haut war so fein und zart, dass das Blut gleich ausfloß, wenn er auch noch leicht gegeißelt wurde. Und selbst das Blut war so frisch, dass es durch die reine Haut zu sehen war. Und obwohl von der besten Natur war, kämpfte das Leben in seinem durchbohrten Leibe mit dem Tod. Dann manchmal stieg der Schmerz von seinen durchbohrten Gliedern und Sehnen bis zum Herzen auf, das ganz gesund und unbeschädigt war, und dies mit unglaublichen Schmerz und Pein quälte. Und manchmal ging der Schmerz vom Herzen hinunter zu den verwundeten Gliedern, und so zog sich der bittere Todeskampf in die Länge.

Als mein Sohn, umgeben von dieser Qual, auf seine weinenden Freunde sah, die lieber diese Plage mit seiner Hilfe leiden oder ewig in der Hölle brennen wollten, als ihn auf diese Weise gepeinigt zu sehen, so überstieg sein Kummer über den seiner Freunde all die Bitterkeit und Trübsal, die er am Leibe oder Herzen ausstand, denn er liebte sie so zärtlich. Da rief er im Übermaß der großen Not seines Leibes in menschlicher Weise zum Vater: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Als ich, seine tiefbetrübte Mutter, diese Stimme hörte, zitterten alle meiner Glieder in der bitteren Trauer meines Herzens, und so oft ich später an diese Stimme dachte, war sie gleichsam gegenwärtig und neu für mich.

Als sich nun der Tod nachte und das Herz durch die Gewalt der Plagen brach, da zitterten alle Glieder, und sein Haupt hob sich etwas und sank darauf wieder herunter. Sein Mund schien offen, und die Zunge ganz blutig. Seine Hände zogen sich von den Stellen der Bohrlöcher etwas zurück, und bekamen von dem Gewicht des Körpers mehr zu tragen. Die Finger und Arme streckten sich etwas aus, und der Rücken drängte sich hart gegen den Holzstamm.
Da sagten einige zu mir: „Dein Sohn ist tot, Maria!“ Aber andere sagten: „Tot ist er, aber er wird auferstehen!“ Als alle so ihres Weges gegangen waren, kam einer und stach seine Lanze so heftig in seine Seite, dass sie beinah auf der anderen Seite wieder herauskam. Und als er den Speer herauszog, war die Spitze rot von Blut. Es schien mir da, als ob mein eigenes Herz durchbohrt wurde, als ich das Herz meines geliebten Sohnes durchbohrt sah.

Dann wurde er vom Kreuze abgenommen, und ich nahm ihn auf mein Knie wie einen Aussätzigen und ganz blauweiß, denn seine Augen waren tot und blutgefüllt, sein Mund kalt wie Schnee, sein Bart war wie Bindfäden, sein Antlitz war erlahmt, und seine Hände waren so starr, dass sie nicht über der Brust gebogen werden konnten, sondern über dem Magen, ungefähr am Nabel.

So wie er am Kreuz gehangen hatte, so hatte ich ihn auf dem Knie, und er war gleichsam in allen Gliedern erstarrt. Dann legten sie ihn in ein reines Leinen, und ich trocknete seine verletzten Glieder mit meinem Leinenkleid und drückte ihm die Augen zu und seinen Mund, der sich im Tode geöffnet hatte.
So legten sie ihn ins Grab. O wie gern hätte ich es gehabt, dass man mich lebend ins Grab mit meinem Sohn gelegt hätte, wenn es sein Wille gewesen wäre! – Nachdem dies vollendet war, kam der gute Johannes und führte mich heim. Siehe, meine Tochter, dies hat mein Sohn für dich gelitten!“

[1] Buch 7, 15. Kapitel: "Die Dornenkrone, die sie von seinem Haupt abgenommen hatten, ehe sie ihn kreuzigten, setzten sei ihm nun von neuem auf sein hochheiliges Haupt, und sie stach sein ehrwürdiges Haupt so sehr, dass seine Augen gleich von dem fließendem Blut gefüllt wurden; seine Ohren wurden zugeklebt, und sein Antlitz und sein Bart wurden gleichsam von dem rosenroten Blut übergossen."