11. Kapitel

Ich habe vorher mit dir vom Ende und der Qual des Ritters gesprochen, der zuerst von der Ritterschaft abwich, die er mir gelobt hatte. Jetzt erzähle ich dir in einem Gleichnis (denn sonst könntest du das Geistliche nicht verstehen), von der Ehre und dem Ansehen dessen, der zuerst die wahre Ritterschaft begann, und sie noch mannhafter vollendet hat.
Als dieser Freund von mir sein Lebensende erreichte und die Seele den Körper verlassen sollte, da wurden fünf Legionen Engel gesandt, um ihm entgegenzugehen. Unter diesen kamen auch unzählige Teufel, um herauszufinden, ob sie irgendein Recht auf ihn hätten, denn sie sind voller Bosheit und lassen die Seele nie in Ruhe.

Da ertönte aber eine Stimme klar und hell im Himmel, und sie sagte: „Sollte das, Herr Vater, nicht der sein, der sich deinem Willen verpflichtet und ihn vollkommen verwirklicht hat?“ Und da antwortete er selbst in seinem Bewusstsein: „Der bin ich wahrhaftig.“
Dann hörte man drei Stimmen. Die erste sprach im Namen der Gottheit und sagte: „Habe ich dich nicht geschaffen und habe dir Leib und Seele gegeben? Du bist mein Sohn, und du hast den Willen deines Vaters getan; komme daher jetzt zu deinem allermächtigsten Schöpfer und allerliebsten Vater, denn dir soll das ewige Erbe gegeben werden, da du der Sohn bist. Dir soll das Erbteil des Vaters gegeben werden, nachdem du ihm gehorcht hast. Ja komm, du Liebster, zu mir, und ich will dich mit Freude und Ehre empfangen.“

Die andere Stimme hörte man im Namen der Menschengestalt, und sie sagte: „Mein Bruder, komm zu deinem Bruder, denn ich habe mich für dich im Kampf geopfert; ich habe mein Blut für dich vergossen; komm zu mir, denn du hast meinen Willen befolgt; komm zu mir, denn du hast dein Blut für meines vergossen. Du warst bereit, Tod für Tod und Leben für Leben zu geben. Komm daher, du, der mir in deinem Leben nachgefolgt bist, komm nun zu meinem Leben und zu meiner Freude, die kein Ende nehmen wird. Ich erkenne dich nämlich in Wahrheit als meinen Bruder an.“

Die dritte Stimme hörte man im Namen des Geistes (es sind aber nicht drei Götter, sondern einer). „Komm mein Ritter“, sagte sie. „Du warst innerlich so beneidenswert, dass ich mich danach sehnte, bei dir zu wohnen. Du warst äußerlich so mannhaft, dass du es wert warst, dass ich dich verteidige. Geh deshalb aus der Ruhelosigkeit deines Leibes in die Ruhe ein. Geh um deines besorgten Sinnes willen in den unaussprechlichen Trost ein. Geh für deine Liebe und deinen mannhaften Kampf in mich selbst ein, und ich will bei dir wohnen, und du bei mir. Komm also, du vortrefflicher Ritter, zu mir, denn du hast nichts anderes begehrt als mich; komm, und ich werde dich mit göttlicher Lust erfüllen.“

Danach ließen sich die fünf Engelslegionen wie mit fünf Stimmen hören. Die erste sagte: „Wir wollen vor diesem vortrefflichen Ritter hergehen und seine Waffen vor ihm hertragen, d.h. wir wollen unserem Gott seinen Glauben zeigen, denn er unerschütterlich bewahrte und gegen die Feinde der Gerechtigkeit verteidigt hat.“
Die zweite sagte: „Wir wollen seinen Schild vor ihm hertragen, d.h. wir wollen unserem Gott seine Geduld zeigen, die unserem Gott gewiss bekannt ist, aber durch unser Zeugnis noch ehrenreicher wird. Denn mit seiner Geduld hat er nicht nur Rückschläge geduldig ertragen, sondern Gott sogar dafür gedankt.“

Die dritte Stimme sagte: „Wir wollen vor ihm hergehen und unserem Gott sein Schwert vor Augen halten, d.h. wir wollen ihm seinen Gehorsam zeigen, mit dem er im Guten und im Bösen nach seinem gegebenen Versprechen gehorchte.“ Die vierte Stimme sagte: „Kommt! Wir wollen unserem Gott sein Pferd zeigen, d.h. Zeugnis für seine Demut ablegen. Denn wie das Pferd den Leib des Menschen trägt, so ging seine Demut vor und hinter ihm her und führte ihn zu jedem guten Werk. Der Hochmut fand sich bei ihm nicht ein, und daher ist er sicher geritten.“

Die fünfte Stimme sagte: „Kommt! Wir wollen unserem Gott seinen Helm zeigen, d.h. Zeugnis für seine göttliche Sehnsucht ablegen, die er nach Gott gehabt hat. Er dachte gewiss in seinem Herzen jede Stunde an Gott; ihn führte er im Munde, ihn in Taten, ihn begehrte er über alles. Um Gottes Liebe und Ehre willen zeigte er sich tot für die Welt. Wollen wir das also unserem Gott zeigen, denn dieser Mann ist es wert, für eine kleine Mühe ewige Ruhe zu erhalten und sich mit seinem Herrn zu freuen, nachdem er sich so sehr und so oft gesehnt hat.“

Mit solchen Stimmen und einem wunderbaren Engelschor wurde mein Freund zur ewigen Ruhe geleitet. Als die Seele das sah, jubelte sie Im Innern und sagte: „Selig bin ich, dass ich einmal geschaffen wurde! Selig bin ich, denn ich habe meinem Gott gedient, den ich jetzt sehe. Selig bin ich, denn ich habe eine Freude und eine Ehre ohne Ende.“
Sieh, so kam mein Freund zu mir, und mit einem solchen Lohn wurde er beschenkt. Und wenn auch nicht alle ihr Blut für meinen Namen vergossen haben, sollen sie doch denselben Lohn erhalten, wenn sie bereit sind, ihr Leben für mich hinzugeben, wenn sich die Gelegenheit bietet und der Glaube dies verlangt. Sieh, wie viel der gute Wille tut!“