108. Kapitel

Der Sohn spricht: „Es waren drei Heiligen, die mir mehr gefielen als andere, nämlich meine Mutter Maria, Johannes der Täufer und Maria Magdalena. Als meine Mutter geboren wurde und danach, war sie so schön, dass es keinen Flecken an ihr gab. Das verstanden die Teufel, und sie trauerten darüber so bitter, dass es (um im Gleichnis zu sprechen) war, als ob eine Stimme von Teufeln aus der Hölle gerufen und gesagt hätte: „Eine Jungfrau wird so tugendhaft und wunderbar geboren, dass sie sich über alles im Himmel und auf Erden erhebt und bis zu Gottes Sitz vordringt.

Aber wenn wir mit allen unseren Schlingen gegen sie vorgehen, bricht sie sie alle entzwei, und sie zerreißen wie Leinen, ja gehen entzwei wie alte Bindfäden. Wenn wir ihr mit all unserer Bosheit und all unserer Unreinheit entgegen treten, schneidet sie das all zusammen entzwei, wie die Sense das Gras abschneidet. Und wenn wir alle Wollust und die Vergnügungen der ganzen Welt über sie ausschütten, so wird alles zusammen schneller ausgelöscht, als ein Feuerfunken von einem Wasserstrom.“

Als Johannes der Täufer geboren war, missfiel auch er den Teufeln, so dass es war, als ob eine Stimme in dieser Stunde aus der Hölle rief und sagte: „Jetzt ist ein seltsamer Junge geboren. Was sollen wir machen? Wenn wir ihm mit Übermut begegnen, verachtet er es, uns zu hören und will unseren Eingebungen auf keinen Fall gehorchen. Wenn wir Reichtümer vor seinem Blick ausbreiten, so wendet er uns den Rücken zu und weigert sich, zu sehen, und er ist für die Wollust wie tot und kann sie nicht empfinden.“

Als Maria Magdalena bekehrt war, sagten die Teufel: „Wie sollen wir sie zurückholen? Nun haben wir ein gutes Wildbret verloren. Sie wäscht sich so eifrig mit dem Wasser der Tränen, dass wir nicht wagen, unseren Blick auf sie zu richten. Sie umhüllt sich so mit guten Taten, dass keine Ansteckung ihr nahen kann. Sie ist so glühend und heiß im Dienst und der Heiligkeit Gottes, dass wir nicht wagen, ihr zu nahen.“
Bei diesen dreien war die Seele der Herrscher und der Leib der Diener. Ihre Seele hatte drei Eigenschaften: Erstens liebte sie nichts so sehr wie mich, ihren Gott. Zweitens wollte sie nichts gegen mich tun. Drittens wollte sie nichts unterlassen, was Gott gehörte.

Aber obwohl diese Menschen eine solche Seele hatten, verachteten sie doch ihren Leib nicht und gaben ihm kein Gift zu essen oder Dornen zur Bekleidung, und legten sich nicht in einem Ameisenhaufen zur Ruhe, sondern gönnten sich zu meiner Ehre und zum Nutzen ihrer Seele einen maßvollen Lebensunterhalt, Kleider zum Bedecken des Körpers und nicht zur Hoffart, ausreichend Schlaf zur Ruhe und ein Bett zur Erquickung.

Doch hätten sie, wenn sie gewusst hätten, dass mir das gefiel und wenn ich ihnen meinen Segen dazu gegeben hätte, gern das Allerbitterste als Nahrung genommen, Dornen zur Kleidung und einen Ameisenhaufen als Bett. Aber weil sie daran dachten, dass ich in allem gerecht und barmherzig bin, waren sie teils dadurch, dass sie unzulässige Neigungen zügelten, gerecht gegen ihren Körper, teils barmherzig und verständig genug, den Leib zu pflegen, so dass er nicht durch zu harte Arbeit zu Grunde gehen und durch zu gewaltige Mühe zerstört werden sollte.

Aber nun kannst du fragen: Wenn die heiligen Eremiten und die alten Väter eine so große Gnade hatten, dass manche von ihnen nicht mehr als einmal in der Woche außen und andere von dem Essen lebten, das ihnen die Engel brachten, warum hast du diesen dann keine so große Gnade gegeben? Ich antworte dir: Diese heiligen Väter hielten ein solches Fasten aus drei Gründen. Erstens, um meine Gnade und Macht zu offenbaren, damit die Menschen wissen sollten, dass – wie ich die Seele ohne leibliche Nahrung unterhalte, so kann ich auch, wenn es mir gefiele, den Leib ohne Nahrung am Leben erhalten.

Zweitens, um ein Beispiel zu zeigen: Die Menschen sollten durch ihr Vorbild lernen, dass körperliche Mühe und Trübsal die Seele zum Himmel zieht. Drittens, um der Sünde auszuweichen, denn wenn die Lust des Fleisches nicht gebändigt wird, zieht sie den Menschen zur ewigen Pein. Damit die Menschen also Enthaltsamkeit und die rechte Art zu leben lernen sollen, gebrauchte ich, Gott und Mensch, obwohl ich auf der Welt ohne Nahrung hätte leben können, doch Nahrung und leibliche Notwendigkeiten, damit der Mensch mir, seinem Gott in allen Dingen danken solle, und maßvolle Freude auf dieser Welt und vollkommene Freiheit bei den Heiligen im Himmel haben soll.“