51. Kapitel

Es kam mir vor, als ob eine Seele von dem Ritter und dem Neger, den ich vorher schon gesehen hatte, vor den Richter geführt wurde. Und es wurde mir gesagt: „All das, was du jetzt siehst, das geschah mit dieser Seele zu der Stunde, als sie vom Körper geschieden wurde.“ Als die Seele vor den Richter geführt wurde, stand sie allein, denn sie war nicht in den Händen von einem von denen, die sie vorgeführt hatten. Sie stand nackt und traurig da und wusste nicht, wohin sie gehen sollte.

Dann schien es mir, als ob jedes Wort in dem Buch auf all das antworten würde, was die Seele sprach. Als nun der Richter und seine ganze Heerschar zuhörte, redete zuerst der bewaffnete Ritter und sagte: „Es ist nicht gerecht, dass die Sünden die Seele veranlassen sollten, sich zu schämen, die ja mit der Beichte gebessert worden sind. (Ich, der dies sah, wusste da sehr genau, dass der Ritter, der da redete, schon alles in Gott wusste; er sprach nur, damit ich es verstehen konnte).

Da wurde aus dem Buch der Gerechtigkeit geantwortet: „Wenn diese Seele ihre Beichte abgelegt hat, folgte ihr keinerlei Zerknirschung, die solche Sünden aufwiegen würde, und auch keine richtige Wiedergutmachung. Daher soll sie jetzt über das trauern, was sie nicht gebessert hat, als sie es noch konnte.“

Als das gesagt war, brach die Seele in so bitteres Weinen aus, dass sie fast zu zerbrechen schien. Die Tränen sah man, obwohl die Stimme nicht zu hören war. Dann sprach der König zur Seele und sagte: „Dein Gewissen soll nun die Sünden offenbaren, auf die keine Wiedergutmachung erfolgte.“ Da erhob die Seele ihre Stimme und rief so laut, dass man sie über fast die ganze Welt hören konnte: „Weh mir! Ich habe nicht nach Gottes Gebot gehandelt, das ich hörte und gekannt habe.“ Und sich selbst anklagend, fügte sie hinzu: „Ich habe Gottes Gericht nicht gefürchtet.“

Es wurde ihr aus dem Buch geantwortet: „Daher sollst du dich nun vor dem Teufel fürchten.“ Und sogleich begann die Seele sich zu fürchten und zu zittern, als ob sie sich auflösen würde, und sie sagte: „Ich hatte fast keine Liebe zu Gott, und deshalb habe ich nur wenig Gutes getan.“
Da wurde ihr gleich aus dem Buch geantwortet: „Deshalb ist es auch gerecht, dass du dem Teufel näher kommst, als Gott, denn der Teufel hat dich mit seinen Versuchungen zu sich gelockt.“ Die Seele erwiderte: „Ich verstehe nun, dass alles, was ich getan habe, nach den Eingebungen des Teufels geschah.“

Es wurde aus dem Buch geantwortet: „Die Gerechtigkeit gebietet, dass es das Recht des Teufels ist, dir all das, was du getan hast, mit Trauer und mit Trübsahl zu vergelten.“ Die Seele sagte: „Es gab bei mir vom Scheitel bis zur Sohle nichts, was ich nicht mit Hoffart kleidete. Manche eitle und hochmütige Kleidungsstücke habe ich selbst erfunden, und mit anderen folgte ich der Landessitte, und ich habe meine Hände und mein Gesicht nicht bloß deshalb gewaschen, dass sie sauber sein sollten, sondern auch, dass Menschen sie als schön loben sollten.“

Es wurde aus dem Buch geantwortet: „Die Gerechtigkeit sagt, dass es das Recht des Teufels ist, dir zu vergelten, was du verdient hast, denn du hast dich so geschmückt und geputzt, wie er es dir eingab und vorschrieb.“ Wieder sagte die Seele: „Mein Mund hat sich oft zu leichtfertigen Worten geöffnet, da ich anderen gefallen wollte. Und mein Begehren hat all das ersehnt, was der Schande und Schmähung der Welt nicht folgte.“

Es wurde aus dem Buch geantwortet: „Dafür soll dir sie Zunge ausgezogen und deine Zähne verkrümmt werden; all das, was dir missfällt, soll auf dich gesetzt werden, und all das, was dir behagt, soll dir genommen werden.“ Die Seele sagte: „Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass sich viele an dem, was ich tat, ein Beispiel genommen haben, und dass viele meine Sitten nachahmten.“
Es wurde aus dem Buch geantwortet: „Deshalb ist es gerecht, dass ein jeder, der bei einer solchen Sünde ertappt wird, für die du bestraft wirst, dieselbe Pein wie du erleiden sollst und dir Gesellschaft leistet. Und deine Plage soll mit der Ankunft eines jeden erhöht werden, der das Böse nachgeahmt hat, was du ausgedacht hast.“

Nachdem dies gesagt war, schien es mir, als würde eine Fessel wie eine Krone an das Haupt der Seele gebunden und so fest zusammengeschnürt, dass der Nacken und das Antlitz eins wurden, die Augen fielen aus ihren Höhlen und hingen mit ihren Sehnen auf die Wangen herunter, das Haar vertrocknete, als wäre es vom Feuer verbrannt, das Hirn zersprang und floss durch die Nasenlöcher und Ohren aus, die Zunge wurde ausgestreckt und die Zähne eingedrückt, die Armknochen wurden zerschlagen und wie Stricke zusammengeschnürt, die Hände wurden …. (?fläddes) und um den Hals gebunden, die Brust und der Bauch wurden so hart gegen den Rücken gedrückt, dass die Rippen brauchen und das Herz mit allen Eingeweiden herausfiel, die Hüften hingen an den Seiten herunter, und die Brustbeine wurden ausgezogen, wie ein dünner Draht aus einem Knäuel heraus ausgewickelt wird.

Da sagte der Neger: „O Richter, nun sind die Sünden der Seele bestraft, wie es gerecht war. Vereinige uns nun beide, mich und die Seele, so dass wir nie getrennt werden!“ aber der bewaffnete Ritter antwortete: „Höre, Richter! Du, der alles weiß, sollst nun den letzten Gedanken und die Letzte Sehnsucht hören, die diese Seele am Ende ihres Erdenlebens hatte. Sie dachte nämlich in ihrer allerletzten Stunde: „O, wenn Gott mir noch ein wenig Zeit zu leben ließe, so würde ich gern Besserung für meine Sünden tun, ihm bis zum Lebensende dienen und ihn niemals mehr erzürnen!“

Das, o Richter, dachte und wollte sie. Erinnere dich auch, o Herr, dass dieser Mensch nicht mehr so lange lebte, dass er zur vollkommenen Einsicht und zum Bewusstsein dessen kam, was er getan hatte. Deshalb, o Richter, bedenke seine Jugend und erweise Barmherzigkeit!“ Da wurde aus dem Buch der Gerechtigkeit geantwortet: „Wenn sie zuallerletzt solche Gedanken hegte, verdient sie nicht die Hölle.“
Der Richter sagte: „Um meines Leidens willen soll der Seele der Himmel Offengelassen werden, nachdem sie erst so lange Zeit im Fegefeuer gereinigt ist, wie sie leiden müsste, sofern sie durch die Werke lebender Menschen keine Hilfe erhält.“

Erklärung
Diese Frau gelobte vor einem Priester Jungfräulichkeit. Sie verheiratete sich dann und starb im Kindbett.