Die Vision hatte Frau Birgitta in Bethlehem, wo die Jungfrau Maria ihr zeigte, wie es bei der Geburt Jesu zuging, wie sie es Frau Birgitta in Rom 15 Jahre vor ihrer Abreise nach Bethlehem versprochen hatte.
21. Kapitel

Als ich mich an der Krippe des Herrn in Bethlehem befand, sah ich eine schöne schwangere Jungfrau, in einen weißen Mantel und ein dünnes Kleid gekleidet, die mir erlaubte, ihren jungfräulichen Leib deutlich zu erkennen. Ihr Mutterleib war voll und ganz aufgeschwollen, denn sie war schon bereit, zu gebären. Bei ihr war ein sehr ehrwürdiger alter Mann, und sie hatten beide einen Ochsen und Esel bei sich.

Als sie in die Grotte kamen, band der Alte den Ochsen und den Esel an der Krippe fest, ging hinaus und kam mit einem brennenden Licht zurück zur Jungfrau, das er an der Mauer befestigte. Dann ging er wieder hinaus, denn er sollte nicht selber bei der Entbindung zugegen sein. Die Jungfrau nahm die Schuhe von ihren Füßen, zog den weißen Mantel aus, den sie trug, zog den Schleier vom Kopf ab und legte das Kleidungsstück neben sich. So hatte sie nur das Kleid an, und ihr wunderbares, goldglänzendes Haar war über die Schulter gebreitet.

Sie holte zwei kleine Leinentücher und zwei Wolltücher hervor, sehr sauber und fein, die sie mitgenommen hatte, um das erwartete Kind darin einzuwickeln, und außerdem zwei andere kleine Leinentücher, die für das Haupt des Kindes vorgesehen waren, und sie legte diese Stücke neben sich, um sie benutzen zu können, wenn sie sie brauchte.
Als alles in Ordnung war, fiel die Jungfrau erfurchtsvoll auf die Knie, um zu beten, wobei sie den Rücken gegen die Wiege drehte, aber das Haupt zum Himmel erhob, in östlicher Richtung.

Mit erhobenen Händen und den Blick gen Himmel gerichtet, stand sie wie in Betrachtung und Verzückung da, berauscht von göttlicher Lieblichkeit. Aber als sie so im Gebet versunken war, sah ich, wie das Kind sich im Mutterschoß bewegte, und in derselben Zeit, ja in einem Augenblick, gebar sie ihren Sohn, von dem ein so unsagbarer Strahlenglanz ausging, dass die Sonne nicht damit zu vergleichen war.

Das Wachslicht, das der alte Mann dorthin gesetzt hatte, verbreitete keinen Schein, denn der göttliche Strahlenglanz verdrängte ganz den Schein des Wachslichtes. Und so schnell und augenblicklich erfolgte diese Geburt, dass ich nicht beobachten oder unterscheiden konnte, wie die Jungfrau gebar. Ich sah aber gleich das ehrenreiche Kind nackt und klar leuchtend auf dem Boden liegen. Sein Fleisch war ganz rein und frei von aller Unreinheit.

Ich sah auch die Nachgeburt eingewickelt und sehr schön neben dem Kinde. Und ich hörte einen lieblich klingenden Engelsgesang von wunderbarer Schönheit. Der Leib der Jungfrau, der vor der Entbindung sehr aufgeschwollen war, zog sich nun zusammen, und ihr Körper schien nun schmächtig und von seltsamer Schönheit. Als sie spürte, dass sie geboren hatte, betete sie den Knaben sehr artig und ehrfürchtig mit gesenktem Haupt und zusammengelegten Händen an, und sie sagte zu ihm: „Sei willkommen, mein Gott, mein Herr, mein Sohn!“

Da begann der Junge zu weinen und gleichsam wegen der Kälte und dem harten Boden, wo er lag, zu zittern, drehte sich langsam, streckte seine Glieder aus und suchte die Obhut seiner Mutter. Und die Mutter nahm ihn in ihre Hände, drückte ihn an ihre Brust und wärmte ihn mit großer Freude und mütterlichem Mitleid an Wange und Brust.

Auf dem Boden sitzend, legte sie ihren Sohn in die Arme und nahm mit den Fingern vorsichtig seinen Nabelstrang, der gleich abgeschnitten wurde, ohne dass Flüssigkeit oder Blut heraustrat. Gleich begann sie, ihn sorgfältig zu wickeln, erst in die Leinen-, dann in die Wollkleider, wobei sie seinen Körper, die Beine und Arme mit einem Tuch zuband, das an den vier Enden des oberen Wollkleids festgebunden war. Dann wickelte sie den Kopf des Kindes in die beiden Leinentücher, die sie für diesen Zweck zur Hand hatte.

Als das getan war, trat der Alte ein, fiel auf die Knie auf den Boden, betete den Jungen an und weinte vor Freude. Und bei der Entbindung wechselte die Jungfrau nicht die Farbe und wurde nicht krank oder verlor ihre Körperkraft, wie das bei anderen Frauen zu geschehen pflegt, die ein Kind gebären; das einzige, was geschah, war, dass sich ihr Leib wieder so zusammenzog, wie er vor der Geburt des Jungen gewesen war.
So stand sie mit dem Jungen im Arm auf, und sie und Josef legten ihn in die Krippe, und mit gebeugten Knien beteten sie ihn mit unermesslicher Freude an.