56. Kapitel

Gott Vater sprach zur Braut und sagte: „Höre, was ich rede, und sage, was ich dir befehle und tue das weder um deiner Ehre willen noch des Todes wegen, sondern sei gleich gesinnt gegen die, die dich rühmen, wie gegen die, die dich tadeln, so dass du nicht durch Tadel zum Zorn gereizt wirst, oder durch das Rühmen zum Hochmut aufgeblasen wirst. Denn wert, geehrt zu werden, ist nur der, der ewig ist und in sich selbst war, und der die Engel und die Menschen aus Liebe geschaffen hat – nur zu dem Zweck, dass mehrere Anteil an seiner Herrlichkeit erhalten sollten.

Ich bin gewiss jetzt noch an Macht und Willen, wie ich es war, als mein Sohn Menschengestalt annahm. Ich bin und war in ihm, und er war in mir, und der Heilige Geist ist in uns beiden. Und wenn es auch der Welt verborgen war, dass er Gottes Sohn war, war es manchen doch bekannt, wenn auch nur wenigen.

Du sollst also wissen, dass es Gottes Gerechtigkeit ist, (die keinen Anfang gehabt hat, ebenso wenig wie Gott ihn hatte), dass das Licht den Engeln gezeigt wurde, ehe sie Gott sahen, und sie sind nicht deshalb gefallen, weil sie Gottes Gesetz und Gerechtigkeit nicht kannten, sondern deshalb, weil sie es nicht halten und beachten wollten. Sie verstanden wohl, dass alle, die Gott lieben, Gott sehen und ewig bei ihm bleiben würden, und dass die, die Gott hassen, in Ewigkeit gestraft würden und ihn nie in seiner Herrlichkeit zu sehen bekommen. Und doch zogen sie es in ihrer Habgier und ihrem Stolz vor, Gott zu hassen und lieber am Ort der Strafe zu bleiben, als Gott zu lieben und so ewige Freude zu ernten.

Für den Menschen gilt eine Gerechtigkeit wie die, die für die Engel gilt. Der Mensch muss zuerst Gott lieben, dann darf er ihn sehen. Deshalb wollte mein Sohn (so liebevoll war er) nach dem Gesetz der Gerechtigkeit geboren werden, so dass er, der in seiner Göttlichkeit nicht geschaut werden konnte, in menschlicher Gestallt sichtbar werden würde.

Und der freie Wille ist den Menschen ebenso gegeben wie den Engeln, damit sie sich nach dem Himmlischen trachten und das Irdische verschmähen. So besuche ich Gott oft und auf vielerlei Weise, obwohl meine Göttlichkeit nicht zu sehen ist, und in vielen Ländern auf Erden habe ich vielen Menschen gezeigt, wie die Sünde in dem betreffenden Land wieder gut gemacht werden könnte und wie Barmherzigkeit erhalten werden könnte, ehe ich in diesen Ländern ein gerechtes Urteil gefällt habe. Aber die Menschen achten nicht darauf und kümmern sich nicht darum.

In Gott ist auch die Gerechtigkeit, dass alle, die auf Erden leben, erst ständig auf das hoffen sollen, was sie nicht sehen, und an Gottes Kirche und an das heilige Evangelium glauben; dann sollen sie ihn über alles andere lieben, der ihnen alles gab und für sie in den Tod ging, auf dass sich alle ewig mit ihm freuen sollen. Deshalb rede ich, Gott mit ihnen, wie es mir gefällt zu reden, so dass sie erfahren, wie die Sünden gutgemacht werden können, die Strafe vermindert und die Belohnung erhöht wird.“

Dann kam es mir so vor, als ob alle Himmel ein einziges Haus wären, in dem ein Richter auf dem Thron sitzt, und das voller Diener war, die den Richter priesen – jeder mit seiner Stimme. Unter dem Himmel war ein Reich zu sehen, und gleich hörte man eine Stimme, die so laut sprach, dass alle es hören konnten: „Kommt ihr beiden, du Engel und du Teufel, zum Richterstuhl; du Engel, der der Wächter des Königs ist und du Teufel, der der Führer des Königs ist!

Und sobald dies gesagt war, standen der Engel und der Teufel vor dem Richter. Der Engel sah aus wie ein betrübter Mensch, der Teufel wie ein froher Mensch, und da sagte der Richter: „O Engel, ich habe dich zum Wächter des Königs eingesetzt, als er einen Bund mit mir schloß und all die Sünden beichtete, die er von seiner Jugend an begangen hatte, und das habe ich getan, dass du ihm näher als der Teufel sein solltest. Wie kann es da kommen, dass du dich von ihm entfernt hast?“

Der Engel antwortete: „O Richter, ich brenne vom Feuer deiner Liebe, durch das der König eine Zeitlang gewärmt wurde. Aber als der König es verachtete und verabscheute, was ihm deine Freunde sagten, und träge war, das zu tun, wozu du ihm rietest, da ging der König dahin, wohin ihn sein eigenes Verlangen zog, entfernte sich von mir und kam jede Stunde dem Feinde näher.“

Der Teufel sagte: „O Richter, ich bin die Kälte selbst, und du bist selbst die göttliche Wärme und das Feuer. So wie jeder, der dir naht, mehr vor Eifer zu guten Werken brennt, so erkaltete der König, je mehr er sich mir nahte, in der Liebe zu dir und erwärmte sich vor Eifer für meine Taten.“
Der Richter erwiderte: „Dem König wurde geraten, Gott über alles zu lieben, und seinen Nächsten wie sich selbst. Warum ziehst du da den Menschen von mir fort, den ich mit meinem eigenen Blut erlöst habe, und bringst ihn dazu, seinem Nächsten zu schaden – nicht nur, was zeitliches Eigentum betrifft, sondern auch im Hinblick auf das (ewige) Leben?“

Der Teufel entgegnete: „O Richter, nun bin ich an der Reihe, zu reden, und der Engel soll schweigen. Als der König dich und deine Ratschläge verließ und zu mir kam, da habe ich ihm geraten, sich selber mehr zu lieben, als seinen Nächsten, dass er nicht an das Wohl der Seelen denken sollte, wenn er nur weltliche Ehre hätte, und dass er nicht danach fragen sollte, ob jemand Mangel leiden oder betrogen würde, wenn nur seine Freunde Überfluss hätten.“
Da sage der Richter zum Teufel: „Ein jeder, der dich verlassen will, soll das gewiss tun, und du sollst niemanden mit Gewalt zurückhalten können. Deshalb will ich dem König noch ein paar von meinen Freunden senden, die ihn vor seiner Gefahr warnen sollen.“

Der Teufel erwiderte: „Es ist gerecht, dass jeder, der mir gehorchen will, von mir gelenkt werden soll, und ich will dem König auch meine Berater senden, und dann wird sich zeigen, wessen Rat er am liebsten folgen will.“ Da sagte der Richter: „Geh, denn es ist für meine Gerechtigkeit bezeichnend, dem Scharfrichter das zuzuweisen, was seines Amtes ist, und dem Kläger, was ihm in seiner Sache zukommt.“

Nach einigen Jahren sah ich den Richter Christus mit seiner himmlischen Heerschar. Noch einmal, mehr erregt als sonst und gleichsam erzürnt, und er sagte zu dem Engel und dem Teufel: „Sagt, wer von euch gesiegt hat!“ Der Engel gab zur Antwort: „Als ich mit göttlichen Eingebungen zum König kam, und deine Freunde mit geistlichen Worten, da zischten ihm die Gesandten des Teufels gleich ins Ohr: „Warum sollst du zeitliche Besitztümer sparen und auf deine Ehre oder Seelen und Körper verzichten, wenn deine Freunde, die du mehr liebst als dich selbst, geehrt und glücklich werden können?“

Und der König war damit einverstanden und antwortete auf den Rat deiner Freunde: „Ich kann mir selber helfen, und ich bin klug mit Ratschlägen auch ohne euch; geht fort von mir und schämt euch!“ So kehrte der König dir den Rücken und dem Feinde das Gesicht zu und jagte deine Freunde davon, die von den Freunden der Welt verunehrt und verspottet waren.“

Und da rief der Teufel: „O Richter, nun steht es mir zu, den König zu regieren und ihm durch meine Freunde Ratschläge zu geben!“ Der Richter erwiderte: „Geh und plage den König so viel, wie du Erlaubnis dazu hast, denn er hat mich veranlasst, auf ihn zornig zu sein!“
Zwei Jahre danach zeigte sich der Richter von neuem. Der Engel und der Teufel standen vor ihm, und der Teufel redete und sagte: „O Richter, sprich nun das Urteil! Ich werde verkünden, was die Gerechtigkeit erfordert. Du bist ja die Liebe selbst, und deshalb kommt es dir nicht zu, in dem Herzen zu bleiben, in dem sich Neid und Zorn festgesetzt haben. Du bist auch die Weisheit selbst, und daher sollst du nicht in dem Herzen von jemandem bleiben, der seinen Mitmenschen am Leben, an Gütern und an Ehre schaden möchte.

Weiter bist du die Wahrheit selbst, und daher ziemt es sich nicht für dich, bei dem Menschen zu bleiben, der sich eidlich verpflichtet hat, Verrat zu üben. Nachdem nun dieser König dich ausgespuckt hat, wie man etwas ausspuckt, was ekelhaft ist, sollst du mir erlauben, ihn zu schütteln und niederzudrücken, so dass er den Verstand verliert, nachdem er meine Ratschläge für Weisheit hielt, und deine für Unsinn. Ich möchte ihm mit einem solchen Lohn vergelten, nachdem er meinen Willen getan hat, doch kann ich ohne deine Erlaubnis nichts gegen ihn tun.“

Nachdem ich das gehört hatte, sah ich den Richter sich in wunderbarer Weise verändern, und ich sah ihn strahlen wie die Sonne, und in der Sonne selbst traten drei Worte hervor, nämlich Kraft, Wahrheit und Gerechtigkeit. Die Kraft sprach und sagte: „Ich habe alles geschaffen, ohne dass es jemand von vorn herein verdient hätte. Deshalb bin ich es wert, von meinen geschaffenen Wesen geehrt und nicht verachtet zu werden. Ich bin es auch wert, von meinen Freunden für meine Liebe gepriesen zu werden, und meine Feinde müssen mich ehren und fürchten, denn ich ertrage sie geduldig ohne ihre Verdienste, wenn sie es wert gewesen wären, gerichtet zu werden. Deshalb, o Teufel, kommt es mir zu, alle nach meiner Gerechtigkeit zu richten – und nicht nach deiner Bosheit.“

Unmittelbar danach ergriff die Wahrheit das Wort und sagte: „Obwohl ich Gott bin, nahm ich Menschengestalt durch eine Jungfrau an, und in dieser meiner Menschgestaltung sprach ich und predigte dem Volk. Ich habe auch meinen Heiligen Geist zu den Aposteln gesandt, und ich redete durch deren Zungen, so wie ich täglich durch geistliche Eingießung durch die (Menschen) rede, wie es mir gefällt. Daher sollen meine Freunde wissen, dass ich selbst, der die Wahrheit ist, meine Worte zu einem König sandte, der sie verachtete.

Höre daher, Teufel, denn ich will reden, damit man klar sieht, wie weit der König meinen Ratschlägen oder deinen Verlockungen gehorcht. Ich will nämlich alle die Ratschläge nennen, die diesem König gegeben wurden, und mit wenigen Worten wiederholen, was ich früher ausführlicher dargelegt habe.
Dem König wurde geraten, sich vor all den Sünden in Acht zu nehmen, die von der heiligen Kirche verboten sind, und ein mäßiges Fasten einhalten, so dass er seine Untertanen anhören und ihnen antworten kann, wenn sie mit Klagen kommen, und er soll bereit sein, für Reiche und Arme, die ihn darum gebeten haben, Gerechtigkeit walten zu lassen. Durch allzu große Enthaltsamkeit könnte ja das Beste des Volkes gefährdet werden und die Regierung des Landes Schaden leiden, und durch ungehemmte Übertreibung könnte er andererseits allzu schwächlich werden und es versäumen, allen zuzuhören.

Man hat dem König auch geraten, wie er Gott dienen und beten sollte, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten er sich dem Wohle für das Volk im Reich widmen sollte, und an welchen Tagen er die Königskrone zu Gottes Ehre tragen sollte. Weiter hat man dem König geraten, dass er alle seine Angelegenheiten mit Menschen besprechen sollte, die die Wahrheit lieben und Gottes Freunde sind, und dass er nie bewusst die Wahrheit und das Gesetz übertritt oder das Volk in seinem Reich mit ungewöhnlichen Steuern belastet, als zur Verteidigung des Reiches und zur Bekämpfung der Heiden.

Man hat ihm auch geraten, dass er die Anzahl seiner Hofbeamten und Diener nach den Einkünften richten soll, die die Steuern ihm im Reich erbracht haben, und dass er den Rest der Einkünfte mit seinen Rittern und Freunden teilen soll. Es wurde ihm auch geraten, dass er freche und törichte (Menschen) weise mit Worten und mit Liebe ermahnen oder mannhaft bestrafen sollte, dass er die klugen und Erfahrenen mit göttlicher Liebe lieben sollte, die Bewohner des Landes verteidigt, die Priesterschaft liebt, dass er sich mit seinem Adel mit dem Bund der Liebe verbindet und dem Volk im Land den Frieden bewahrt.“

Nun antwortete der Teufel dem Richter und sagte: „Ich habe dem König geraten, bestimmte Sünden heimlich zu begehen, die er nicht offen tun dürfte. Ich habe ihm auch geraten, viele Gebete und Kirchenlieder ohne Aufmerksamkeit und Herzensandacht zu lesen, so dass er dadurch, dass er auf diese Weise unnütz die Zeit verbringt, versäumt, denen zuzuhören, die mit Klagen kommen, und dem kein Recht gibt, der Unrecht gelitten hat.

Weiter habe ich dem König geraten, die übrigen guten Männer im Reich abzulehnen, einen einzigen über alle anderen zu erhöhen und über sie zu setzen, ihm von ganzem Herzen und mehr als sich selbst zu lieben, ja sogar seinen eigenen Sohn zu hassen, die Bevölkerung des Reiches mit Auflagen zu belasten, Menschen umzubringen und Kirchen zu plündern.

Ich habe dem König weiter geraten, er soll die Rechtsprechung versäumen, so dass jeder Gelegenheit erhält, dem anderen zu schaden, und dass er einem mächtigen Fürsten in einem anderen Reich, meinem geschworenen Bruder, ein paar Landschaften abtreten soll, die zu seiner eigenen Krone gehörten. Und das habe ich in der Absicht getan, dass Falschheit und Gewalt hervorgerufen werden, dass die Guten und Gerechten in Unruhe versetzt werden, dass die Bösen noch tiefer in die Hölle sinken, dass die Seelen im Fegefeuer noch schlimmer gepeinigt werden, dass Frauen vergewaltigt werden, Schiffe auf See geplündert werden, die Sakramente der Kirche verachtet werden, dass das Volk reichlicher Gelegenheit erhält, zügellos zu leben, und ich meinen Willen leichter durchsetzen kann. Aus diesen Taten, die der König begangen hat, und aus vielen anderen Sünden kann jetzt, o Richter, bewiesen und erkannt werden, wie weit der König deine oder meine Ratschläge befolgt hat.“

Danach ergriff die Gerechtigkeit das Wort und sagte zum Teufel: „Nachdem der König die Tugend gehasst und die Wahrheit verachtet hat, daher kommt es dir nun zu, etwas von dem Bösen beim König durch die Bosheit zu erhöhen, die du zur Verfügung hast; ich selbst werde nach den Erfordernissen der Gerechtigkeit etwas von dem Guten vermindern, dass er mit den Gnadengaben besitzt, die er erhalten hat.“

Der Teufel antwortete: „O Richter, ich werden den König in doppeltem Ausmaß mit meinen Gaben bereichern, und zu allererst werde ich ihm eine solche Nachlässigkeit eingeben, dass er in seinem Herzen göttlichen Werken kein Gewicht beimisst und auch die Taten und Vorbilder deiner Freunde nicht beachtet.“
Die Gerechtigkeit erwiderte: „Und ich werde bei ihm die Eingebungen meines Heiligen Geistes vermindern, und ich werde ihm die guten Erinnerungen und den Trost nehmen, den er früher hatte.“

Der Teufel entgegnete: „Ich werde ihm die Kühnheit eingeben, Todsünden und verzeihliche Sünden ohne Scham und Scheu zu begehen.“

Die Gerechtigkeit gab zur Antwort: „Ich werde seinen Verstand und seine Urteilskraft vermindern, so dass er außer Stande ist, Belohnungen und Strafen für Todsünden und vorgebbare Sünden zu unterscheiden.“
Der Teufel sagte: „Ich werde ihn ängstlich machen, so dass er es nicht wagt, gegen Gottes Feinde zu reden oder Gerechtigkeit zu üben.“
Die Gerechtigkeit antwortete: „Ich werde seine Klugheit und Einsicht in Bezug auf das vermindern, was er zu tun hat, so dass er in seinen Worten und Taten eher wie ein Narr und Gaukler, als ein weiser Mann wirkt.“
Da sagte der Teufel: „Ich werde ihm Angst und Herzensqual geben, weil es für ihn nicht so geht, wie er will.“

Die Gerechtigkeit entgegnete: „Ich werde den geistlichen Trost vermindern, den er früher in seinen Gebeten und Taten hatte.“
Der Teufel sagte: „Ich werde ihm Verschlagenheit eingeben, um schlaue Kniffe auszudenken, so dass er die Menschen einwickeln und betrügen kann, die er zu Fall bringen will.“

Die Gerechtigkeit antwortete: „Ich werde seinen Verstand bis zu dem Grad vermindern, dass er auf seine eigene Ehre und seinen Nutzen nicht mehr achtet.“
Der Teufel sagte: „Ich werde seine Sinne so verwirren, dass er sich sogar über seine Schande, seinen Schaden und die Gefahr für seine Seele freut, wenn er nur zeitlichen Erfolg hat, wie er will.“

Die Gerechtigkeit erwiderte: „Ich werde bei ihm die Vorbedacht und das genaue Überlegen vermindern, das weise Männer in ihren Worten und Taten auszeichnet.“
Da sagte der Teufel: „Ich werde ihm den Mut und die unpassende Angst einer Frau eingeben, und ein solches Benehmen, dass er mehr einem elenden Landstreicher gleicht, als einem gekrönten König.“

Die Gerechtigkeit entgegnete: „Ja, ein solches Gericht verdient der, der sich von Gott trennt, denn er muss von seinen Freunden verachtet werden, vom Volk in seinem Reich gehasst und von Gottes Feinden gestürzt werden, nachdem er die Gaben der göttlichen Liebe verachtet hat, die geistlichen und leiblichen.“

Nun sprach die Wahrheit: „Was hier gezeigt wurde, ist nicht wegen des Verschuldens des Königs gezeigt. Seine Seele ist nämlich noch nicht verurteilt, sondern wird erst im letzten Augenblick gerichtet werden, wenn die Stunde des Aufbruchs schlägt.“
Danach sah ich, dass alle drei, nämlich die Kraft, die Wahrheit und die Gerechtigkeit, wie der Richter waren, der vorher gesprochen hatte. Und ich hörte eine Stimme, die an die eines Herolds erinnerte, und die sagte: „Ihr alle Himmel mit allen Planeten, seid still! Ihr alle Teufel, die ihr im Dunkel seid, hört! Ihr anderen alle, die ihr an dunklen Stellen seid, hört! Denn der höchste Kaiser hat die Absicht, die Richter über die Fürsten der Erde anzuhören.“

Und das, was ich jetzt unmittelbar zu sehen bekam, war nicht körperlich, sondern geistlich, und meine geistigen Augen wurden aufgetan, um zu hören und zu sehen. Ich sah nun Abraham mit allen Heiligen kommen, die von seinem Geschlecht geboren waren, und alle Patriarchen und Propheten kamen. Ich sah die vier Evangelisten, deren Gestalten vier Tieren glichen, wie sie an den Wänden hier auf Erden abgebildet werden, aber sie schienen doch zu leben und nicht tot zu sein.

Dann sah ich zwölf Stühle, und auf ihnen die zwölf Apostel, die auf die kommende Macht warteten. Danach kamen Adam und Eva mit den Märtyrern, den Bekennern und all den anderen Heiligen, die von ihnen abstammen. Noch war Christi Menschennatur oder der Leib seiner gesegneten Mutter nicht zu sehen, sondern alle warteten darauf, dass sie kommen würden. Auch sah man, wie die Erde und das Wasser sich bis zum Himmel erhöhten, und alles, was in ihnen war, demütigte sich und verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor der Macht.

Danach sah ich einen Altar, der auf dem Sitz der Macht war, und auf dem Altar befand sich ein Kelch mit Wein und Wasser sowie ein Brot in Form einer geopferten Hostie. Und ich sah nun, wie in einer Kirche auf der Welt ein Priester eine Messe begann, in ein priesterliches Gewand gekleidet. Als er alles vollendet hatte, was zur Messe gehört, und an die Worte gekommen war, mit denen er das Brot weihte, schien es mir, als ob die Sonne, der Mond und die Sterne mit allen Planeten und allen Himmeln, als sie sich wölbten und kreisten, abwechselnd lieblich klingende Melodien anstimmten. Ja, alle Arten von Gesängen hörte man, und man sah unzählige Musikinstrumente aller Art, deren wunderbaren Wohlklang die Sinne unmöglich fassen und beschreiben können.

Die, die im Licht standen, betrachteten den Priester und verbeugten sich ehrfürchtig vor der Macht, während die, die im Dunkeln waren, zitterten und schauderten. Nachdem der Priester Gottes Wort über dem Brot gesprochen hatte, schien es mir, als ob dasselbe Brot sich in drei Gestalten auf dem Thron der Majestät befinden würde, während es doch in den Händen des Priesters blieb. Das Brot selbst wurde ein lebendes Lamm; in dem Lamm trat ein Menschenantlitz hervor und man sah ihnen eine lodernde Flamme, und draußen das Lamm und das Antlitz.

Als ich aufmerksam meinen Blick auf das Antlitz richtete, sah ich darin ein Lamm, und als ich das Lamm betrachtete, sah ich darin das Antlitz. Neben dem Lamm saß eine gekrönte Jungfrau. Alle Engel bedienten sie, und sie waren ebenso zahlreich wie die Sonnenstrahlen, und ein wunderbarer Strahlenglanz strömte vom Lamme aus. Der heiligen Seelen waren so viele, dass mein Blick nicht ihre Länge und Breite, die Höhe und Tiefe dieser gewaltigen Menge messen konnte. Ich sah auch manche Plätze leer, die fortan zu Gottes Ehre gefüllt werden sollten.

Und ich hörte von der Erde eine Stimme von unzähligen Tausenden, die riefen: „O Herr Gott, du gerechter Richter, richte über unsere Könige und Oberhäupter und schau auf unser Blutvergießen und auf die Trauer und Tränen unserer Frauen und Kinder. Betrachte unseren Hunger und unsere Schmach, unsere Wunden und unsere Gefangenschaft, das Niederbrennen und das Plündern unserer Häuser, und die Vergewaltigungen unserer Jungfrauen und Ehefrauen. Gib Acht auf das Unrecht, das die Kirchen und die ganze Priesterschaft leiden, und schau dir die falschen Versprechungen und den Verrat der Fürsten und Könige an, und die Steuern, die sie in ihrer wilden Raffgier erpressen. Sie kümmern sich nämlich nicht darum, ob Tausende sterben, nur dass sie Raum für ihren grenzenlosen Übermut schaffen können.“

Danach hörte man, als ob unzählige Tausend aus der Hölle rufen würden: „O Richter, wir wissen, dass du es bist, der alles geschaffen hat. Richte daher die Herren, denen wir auf Erden gedient haben, denn die haben uns noch tiefer in die Hölle versenkt. Und wenn wir dir auch Böses wünschen, zwingt uns doch die Gerechtigkeit, anzuklagen und die Wahrheit zu sagen.

Diese unsere irdischen Herren haben uns ohne Liebe geliebt, denn sie fragten nach unseren Seelen nicht mehr als nach Hunden, und es war ihnen egal, ob wir dich, Gott, den Schöpfer von allen, liebten oder nicht, sie wollten nur von uns geliebt und bedient werden. Sie sind des Himmelreiches also gar nicht wert, denn sie fragen nicht nach dir, stattdessen verdienen sie die Hölle, nachdem sie uns ins Verderben gebracht haben, sofern ihnen deine Gnade nicht hilft. Ja, wir wollen gern noch schlimmere Qualen leiden, wenn nur ihre Pein in Ewigkeit dauert.

Dann riefen die, die im Fegefeuer waren (um nun in Bildern zu sprechen): „O Richter, wir wurden zum Fegefeuer verurteilt wegen der Reue und dem guten Willen, den wir im letzten Augenblick hatten. Deshalb klagen wir über die Herren, die noch auf Erden leben, denn sie hatten es unterlassen uns mit Worten und mit Zucht zu lenken und zu ermahnen, und uns mit heilsamen Rat und Vorbild zu unterweisen. Stattdessen ermunterten sie uns zu schlechten Taten und zu Sünden, und deshalb ist jetzt unsere Strafe ihretwegen schwerer, die Zeit der Strafe länger, und die Schande und Trübsal größer.“

Danach sagte Abraham und alle Patriarchen: „O Herr, unter allem andern, was wünschenswert wäre, haben wir gewünscht, dass dein Sohn aus unserem Geschlecht geboren würde. Er ist jetzt von den Oberhäuptern der Welt verschmäht. Deshalb bitten wir um ein Gericht über sie, denn sie achten nicht auf deine Barmherzigkeit und fürchten sich nicht vor deinem Gericht.“

Und die Propheten redeten und sagten: „Wir prophezeiten die Ankunft des Gottessohnes und sagten, dass es notwendig war, dass er für die Befreiung des Volkes von einer Jungfrau geboren würde, dass er verraten, gefangen genommen, gegeißelt und mit Dornen gekrönt würde und zuletzt am Kreuze sterben würde, damit das Himmelreich geöffnet und die Sünde ausgelöscht würde. Nachdem nun all das, was wir gesagt haben, vollendet wurde, bitten wir um das Gericht über die Oberhäupter der Erde, die deinen Sohn verschmähen, der aus Liebe für sie gestorben ist.“
Auch die Evangelisten redeten und sagten: „Wir bezeugen, dass dein Sohn all das selbst verwirklicht und vollbracht hat, was über ihn vorausgesagt ist.“

Die Apostel redeten und sagten: „Wir sind Richter. Daher steht es uns zu, nach der Wahrheit zu urteilen. Und die, die Gottes Leib und sein Gebot verachten, die verurteilen wir zur Verdammnis.“
Aber nun sagte die Jungfrau, die neben dem Lamm saß: „O liebster Herr, erbarme dich über sie!“ Der Richter antwortete ihr: „Es ist nicht recht, dir irgendetwas zu verweigern, denn die, die aufhören, zu sündigen und würdige Buße tun, die sollen Erbarmen finden, und ich werde sie nicht verurteilen.“

Danach war ich Zeuge, wie das Antlitz, das im Lamme sichtbar war, zum König sprach und sagte: „Ich habe dir große Gnade widerfahren lassen, denn ich habe dir meinen Willen gezeigt, wie du dich in deiner Regierung verhalten sollst, und wie du dich ehrbar und klug verhalten sollst. Ich habe dich wie eine Mutter mit holden Worten der Liebe gelockt, und wie ein guter Vater habe ich dich mit Ermahnungen gewarnt. Aber du gehorchtest dem Teufel und hast mich verworfen, wie ein Mutter ein totgeborenes Kind wegwirft um das sie sich nicht weiter kümmert, es zu pflegen und zu stillen. Deshalb wird all das Gute, was dir versprochen wurde, genommen und einem gegeben werden, der nach dir kommen wird.“

Schließlich sprach die Jungfrau, die neben dem Lamm saß, zu mir und sagte: „Ich will dir mitteilen, auf welche Weise du die Gabe empfangen hast, geistliche Visionen zu verstehen. Gottes Heilige haben ja den Heiligen Geist auf verschiedene Weise empfangen. Manche von ihnen, z.B. die Propheten, wussten im voraus, wann das eintreffen würde, was ihnen gezeigt wurde. Andere Heilige wussten im Geist, was sie den Menschen antworten sollten, die zu ihnen kamen und sie nach etwas fragen würden. Andere wussten, ob die, die weit von ihnen entfernt waren, lebten oder tot waren. Andere wussten im Voraus, welchen Ausgang ein Kampf nehmen würde, ehe die Kämpfer auszogen.

Aber dir ist es nur gestattet, geistliche Dinge zu hören und zu sehen, aufzuschreiben, was du siehst, und es an die Personen weiterzugeben, bei denen du den Befehl hast, es zu übermitteln. Es ist dir aber nicht erlaubt, zu wissen, ob die Person, an die du den Befehl hast, zu schreiben, leben oder tot sind, und wieweit sie den Ratschlägen gehorchen, die in deinem Schreiben enthalten sind und die dir ihretwegen in geistlicher Schau von oben gegeben wurden. Aber weil dieser König meine Worte verachtet hat, wird sicher ein anderer kommen, der sie mit Ehrfurcht annimmt und sie zu seinem Wohlergehen benutzt.“