Mittwochs Lesung 1

Absolution. Möge die Jungfrau, die Mutter der Weisheit, das Dunkel unserer Unwissenheit erleuchten!

Kapitel 10. Ehe dem Mose das Gesetz gegeben war, waren die Menschen lange unkundig, wie sie sich selbst und ihre Handlungen in diesem Leben einrichten sollten. Daher richteten die, die vor Gottesliebe brannten, ihre Handlungen und Sitten so ein, wie sie glaubten, dass es Gott gefiel. Andere dagegen, die keine Gottesliebe besaßen, verschmähten es, Gott zu fürchten, und taten, was ihnen einfiel.

Die göttliche Güte beschloss daher, sich über diese Unwissenden zu erbarmen, und stiftete durch seinen Diener Mose ein Gesetz, durch das sie in allem lernen würden, Gottes Willen zu befolgen. Dieses Gesetz lehrte, wie man Gott und den Nächsten lieben soll, und wie eine Ehe zwischen Mann und Frau in ehrbarer Weise und nach göttlichem Recht gehalten werden soll, so dass die, die Gott sein Volk nennen wollte, aus einer solchen Ehe geboren werden sollten. Und wahrlich, eine solche Ehe hatte Gott so gern, dass er die so ehrbare Mutter seiner Menschengestalt aus einer solchen hervorgehen lassen wollte.

Wenn der Adler, der hoch oben in der Luft fliegt, mehrere Wälder durchsucht hat, sieht er in weiter Entfernung einen hohen Baum, der so fest verwurzelt ist, dass er nicht durch den Angriff der Winde ausgerissen werden kann, und dessen Stamm so mächtig ist, dass niemand vermag, daran hochzuklettern, und der außerdem auf einem solchen Platz steht, dass es unmöglich scheint, dass etwas von oben auf ihn herabfallen könnte.

Mit einem solchen Adler kann man Gott vergleichen. Für seine Augen ist all das Zukünfte wie auch das Gegenwärtige offen und klar. Als er alle gerechten und ehrbaren Ehen, die seit der Schöpfung des ersten Menschen bis zum jüngsten Tage anschaute, fand er keine, die so wie die von Joachim und Anna in aller göttlichen Liebe und Ehrbarkeit war. Daher gefiel es ihm, dass eine solche Ehe den Ursprung für seinen reinen, tugendhaften Mutterleib sein sollte, der mit dem Nest gemeint ist, in dem er selbst mit allem Troste weilen würde.

Fromme Ehen lassen sich gut mit schönen Bäumen vergleichen; die Wurzeln der Bäume sind die Vereinigung der beiden Herzen, die nur in der Absicht geschieht, dass sie Gott Ehre und Freude bringt. Ein solcher Wille der Ehegatten lässt sich gut mit fruchtbringenden Zweigen vergleichen, nachdem sie in allen ihren Taten so gottesfürchtig sind, dass sie nach Gottes Gebot einander ehrbar lieben, nur um Kinder zu Gottes Ehre gebären zu können.

Wahrlich, solche hohe Ehen vermag der heimtückische Feind nicht mit seinen Kräften und falschen Künsten zu erreichen, denn ihre einzige Freude liegt darin, dass Gott Ehre und Ansehen erhält, und keine andere Trübsal greift sie an, als Gottes Schande und Verunehrung.
Man sieht sie auf einem sicheren Platz stehen, wenn zeitliche Ehrenerweise oder der Überfluss des Reichtums ihre Seelen nicht zu Weltliebe oder Hoffart verlocken können.

Weil nun Gott voraussah, dass Joachims und Annas Ehe so werden würde, bestimmte er, dass seine Wohnung, nämlich der Leib seiner Mutter (Maria), von diesem (?hjonelag) bereitet werden sollte. O Anna, verehrungswürdige Mutter, welch teuren Schatz hast du doch in deinem Mutterleib getragen, als Maria, die Gottes Mutter werden sollte, da darin weilte! Man kann das für ganz sicher halten, dass – sobald der Stoff, aus dem Maria erschaffen werden sollte, empfangen war und in Annas Mutterleib zusammengefügt war, Gott ihn mehr als alle anderen Menschenleiber liebte, die von Männern und Frauen in aller Welt geboren waren und noch geboren werden sollten.

Die verehrenswürdige Anna kann also mit Recht die Schatzkammer des allmächtigen Gottes genannt werden, denn sie barg in ihrem Mutterleib den Schatz, der ihm lieber war, als alles andere. O wie nah war dieser Schatz doch immer Gottes Herzen! O wie mild und froh richtete er doch die Augen seiner Majestät auf diesen Schatz – er, der dann in seinem Evangelium sagte: „Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“

Es ist daher höchst glaubhaft, dass die Engel laut jubelten über diesen Schatz, als sie verstanden, dass ihr Schöpfer, den sie mehr liebten als sich selbst, ihn so sehr liebte. Es wäre also sehr passend und richtig, dass der Tag von allen in großer Verehrung gehalten würde, als dieser Stoff in Annas Mutterleib empfangen und gesammelt wurde, aus dem der gesegnete Leib von Gottes Mutter erschaffen werden sollte, der Leib, den Gott selbst und alle seine Engel mit so großer Liebe geliebt haben.