107. Kapitel

Als die heilige Birgitta vier Jahre in Rom im Kardinalshaus neben der Kirche San Lorenzo in Damaso gewohnt hatte, sagte der Vertreter des Kardinals zu ihr, dass sie innerhalb eines Monats mit ihrem Hausgesinde ausziehen und sich ein anderes Heim suchen müsste. Als sie das hörte, wurde sie sehr traurig, denn sie hatte eine junge, schöne und Edelgeborene Tochter bei sich, die begehrenswert für Männeraugen war, und sie fürchtete, dass sie kein ähnliches Haus finden würde, so dass sie ihre und ihrer Tochter Ehre bewahren konnte.

Sie bat weinend Gott um Hilfe. Er wollte seine Dienerin prüfen und sagte deshalb zu ihr: „Du und dein Beichtvater sollt in diesem Monat in der Stadt herumgehen und untersuchen, ob ihr ein anderes Haus finden könnt, das euch passt.“ Sie gehorchte, und mit ihrem Magister und geistlichem Vater ging sie diesen ganzen Monat in Sorge und Trübsal in der Stadt herum, ohne eine passende Wohnung finden zu können.

Ihre Tochter, Frau Katharina, sah die Angst der Mutter, fürchtete für ihre eigene Ehre und weinte oft. Die beiden letzten Tage vor dem Ende des Monats ließ Frau Birgitta ihre Sachen einpacken, um das Haus zu verlassen und in eine öffentliche Pilgerherberge zu ziehen. In größtem Schmerz fiel sie im Gebet nieder und bat unter Tränen um Hilfe vom Himmel.

Da offenbarte sich Christus ihr und sagte: „Du bist betrübt, weil du keine passende Wohnung finden konntest. Wisse deshalb, dass ich dies zu deinem Nutzen und zu größerer Belohnung habe geschehen lassen, damit du durch eigene Erfahrung die Armut und die Leiden kennen lernst, die die armen Pilger erfahren, wenn sie aus ihrem eigenen Land auf Wallfahrt ausgezogen sind, und du so Mitleid mit ihnen empfindest. Wisse aber, dass du nicht aus diesem Haus vertrieben werden sollst! Es wird nämlich ein Bote vom Besitzer des Hauses geschickt werden, dass du getrost in diesem Hause in gutem Frieden und in aller Ruhe mit deinem Hausgesinde bleiben kannst, wie du es bisher getan hast. Und du sollst sicher hier wohnen bleiben, du und deine Hausgehilfen, und alle die Deinen, und niemand soll euch weiter beunruhigen.“

Frau Birgitta ging froh hin und teilte Herrn Petrus, ihrem geistlichen Vater, diese Offenbarung mit. Gleich klopfte ein Bote an die Haustür und brachte einen Brief vom Hausbesitzer, worin er sie tröstete und ihr schrieb, dass sie das Haus nicht verlassen müsste, sondern dort bleiben und in Ruh und Frieden dort leben könnte.