56. Kapitel

Ein Toter offenbarte sich und sagte: „Ich habe die Gerechtigkeit des Richters kennen gelernt, aber jetzt wird die Strenge nachträglich gemildert, und das Erbarmen naht sich. Zu meinen Lebzeiten habe ich mich nämlich auf fünffache Weise vergangen und habe in meiner Todesstunde nicht ausreichend Buße dafür getan.

Das erste ist, dass ich auf Grund des verrückten Kerlchens viel gesündigt habe – du weißt, dass ich seinen Albernheiten Beifall gespendet und mich über sie gefreut habe und über seinen Unsinn amüsiert habe.
Das zweite ist, dass ich vor meinem Tode auf Grund meiner Nachlässigkeit der Witwe keine vollständige Entschädigung für die Güter geleistet habe, die ich von ihr gekauft hatte. Deshalb kommt sie morgen (damit du weißt, dass ich jetzt die Wahrheit sage), und da sollst du ihr geben, was sie haben will, denn sie bittet nicht um mehr, als sie ein Recht zu bitten hat.

Das dritte ist, dass ich in meinem Leichtsinn versprochen habe, einem Mann in allen seinen Schwierigkeiten beizustehen. Durch dieses Versprechen wurde er verwegener und heftiger und erhob sich gegen den König und das Gesetz.
Das vierte ist, dass ich – mehr aus Prahlerei als für irgendjemanden zum Nutzen – Turniere (?tornej) und andere weltliche Nichtigkeiten veranstaltet habe.

Das fünfte ist, dass ich – als ein Ritter wegen Landflucht verurteilt werden sollte, ich sehr hart und unbeweglich war und, obwohl er es verdient hatte, verurteilt zu werden, weniger barmherzig war, als ich hätte sein sollen.“

Da antwortete Frau Birgitta: „O selige Seele, was hat dir zuerst zur Erlösung verholfen? Und was kann dir nun helfen, dass du befreit wirst?“

Er antwortete: „Sechs Dinge haben mir geholfen. Erstens meine Beichte, die ich – wenn ich Gelegenheit dazu hatte, jeden Freitag mit dem festen Vorsatz abgelegt habe, mich zu bessern und die vorgeschriebene Buße zu leisten.
Zweitens, dass ich – als ich als Richter dasaß – nicht aus Geldliebe oder Gunst geurteilt habe, sondern alle meine Urteile gewissenhaft geprüft habe, bereit, meine Fehler zu berichtigen und das gutzumachen, was ich weniger klug gemacht habe.

Das dritte ist, dass ich meinem Magister nicht gehorchte, der mir riet, mich vom Bett meiner Frau fernzuhalten, wenn ich verstand, dass sie schwanger war.
Das vierte ist, dass ich so vorsichtig wie möglich war, dass ich oder die Meinen den Armen nicht beschwerlich sein oder lästig fallen würde, wenn ich sie bewirtete, und dass ich mich vorsah, nicht in die Schulden zu geraten, wenn ich nicht wusste, wie ich sie bezahlen sollte.

Das fünfte ist die Enthaltsamkeit, die ich mir auf der Wallfahrt nach Sankt Jakob auferlegte. Ich hatte mir nämlich vorgenommen, auf den Raststellen unterwegs nicht zu trinken. Durch diese Enthaltsamkeit wurde mein früheres langes Verweilen am Mittagstisch und all meine Redseligkeit und mein Übermaß an Essen und Trinken ausgeglichen. Und jetzt bin ich sicher über meine Erlösung, wenn auch nicht über die Stunde.

Das sechste ist, dass ich meine Gerichte denen überließ, von denen ich glaubte, dass sie gerecht wären, dass sie meine Schulden bezahlen würden. Und weil ich befürchtete, in Schulden zu geraten, übergab ich noch zu Lebzeiten seine Ländereien dem König, damit meine Seele nicht von Gott gerichtet werden sollte. Aber da es mir jetzt vergönnt ist, um Hilfe zu bitten, so bitte ich dich, dass du ein ganzes Jahr lang Messen für unsere Retterin, die allerseligste Jungfrau Maria, den Engeln, allen Heiligen und den Verstorbenen und für das Leiden unseres Erlösers Christus feiern lassen sollst, denn dadurch hoffe ich, schneller (aus dem Fegefeuer) befreit zu werden.

Du sollst vor allem rücksichtsvoll gegen arme Leute sein und nicht sparen, wenn es darum geht, Gefäße, Pferde und dergleichen auszuteilen, was ich versäumt habe, so dass ich mich dadurch versündigt habe. Wenn du kannst, sollst du nicht versäumen, ein paar Kelche für Gottes Opfer zu spenden, denn diese verhelfen den Seelen sehr schnell zur Erlösung. Aber den festen Besitz sollst du den Kindern lassen, denn mein Gewissen macht mir keine Vorwürfe, dass ich davon etwas unrechtmäßig erworben oder etwas habe behalten wollen.“