57. Kapitel

Die heilige Birgitta wurde einmal im Kloster Alvastra von übermäßiger Esslust so schwer versucht, dass sie vor Hunger kaum noch an etwas anderes denken konnte. Schließlich bekam sie, als sie betete, im Geist zwei Gestalten zu sehen, nämlich einen Neger, der ein Brotstück in der Hand hielt, und einen wunderschönen Jüngling mit einem vergoldeten Gefäß.

Der Jüngling sagte zum Neger: „Warum plagst du sie, die meiner Obhut überlassen ist?“ Der Neger antwortete: „Weil sie mit einer Enthaltsamkeit prahlt, die sie gar nicht hatte, denn sie hört ja doch nicht auf, ihren Bauch zu füllen, bis er voll von wohlschmeckendem Dreck ist. Deshalb reiche ich ihr mein Brotstück dar, damit ihr fetteres Essen noch begehrlicher vorkommt.“
Der Jüngling antwortete ihm: „Du weißt sehr gut, dass sie keine unkörperliche Natur wie wir hat, sondern eine Hülle aus Erdenstaub, und da sie eine schwache und unruhige Hülle hat, braucht sie ständig Erquickung.“

Und dieser Neger sagte: „Euer Christus hat eine Zeitlang gefastet und hat nichts gegessen; die Propheten aßen Brot und tranken in ausreichender Menge Wasser. Deshalb haben sie sich hohe Dinge erworben – aber wie soll sie das verdienen können, die immer Appetit hat?
Der Engel erwiderte: „Ist er nicht auch dein Christus, wie er unserer ist?“ Der Neger antwortete: „Keinesfalls! Ich will mich niemals vor ihm demütigen, sondern tun, was gegen ihn ist, nachdem ich nicht zurück zu seiner Herrlichkeit kommen kann.“

Der Jüngling erwiderte: „Unser Christus lehrte uns nicht, zu fasten, damit der Körper übermäßig geschwächt wird, sondern damit er sich demütige und nicht gegen die Seele erhebe. Unser Christus will auch nicht das, was für die Natur unmöglich ist, sondern nur, dass man sie zügelt; er fragt nicht danach, was und wie viel jemand verzehrt, sondern in welcher Absicht und Liebe das geschieht.“

Der Neger entgegnete: „Es ist gerecht, dass diese Frau das, was sie nicht in ihrer Jugend erfahren hat, in ihrem Alter kennen lernt.“ Der Jüngling wandte ein: „Lobenswert ist die Enthaltsamkeit von Sünde, aber Purpurzeug und leckeres Fleisch hindert niemanden daran, in den Himmel zu kommen, wenn er es nur mit Gottesliebe benutzt; ja manchmal muss die Sitte einer guten Erziehung beibehalten werden, und das mit frommer Dankbarkeit, so dass das Fleisch nicht zu schwach wird.“

Dann zeigte sich Jungfrau Maria ihr in derselben Stunde, mit einer Krone geschmückt, und sagte zum Neger: „Schweig, du Kaufmann! Du bist neidisch, weil sie für mich bestimmt ist.“ Da sagte der Neger: „Wenn ich nichts anderes tun kann, will ich wenigstens Dornenstacheln auf die Kleiderfransen werfen.“

Die Jungfrau sagte zu ihm: „Ich werde ihr helfen, und so oft du etwas wirfst, soll es zurück in dein Gesicht geworfen werden, und so wird ihre Krone verdoppelt werden.“