70. Kapitel

Als die selige Birgitta in der Nähe von Lödöse in Schweden war, geschah es, dass einer ihrer Hausangestellten, der arm war, sie bat, sich seiner zu erbarmen, denn er hatte vor, für seine verlobte Tochter die Hochzeit auszurichten, es aber wegen ihrer Armut nicht konnte. Als Frau Birgitta nun von ihrem Hausverwalter hörte, wie viel er an Geld zur Hand hatte, erwiderte sie: „Gib diesem armen Mann den dritten Teil von dem, was du hast, so dass seine Tochter, wenn ihr geholfen ist, für uns beten kann.“

Als sie in die Stadt hineinkamen, fanden sie an der Tür zu Birgittas Herberge arme Leute versammelt, und sie befahl, dass man ihnen Almosen geben sollte. Aber der Hausverwalter antwortete, dass das, was sie hatte, nicht einmal dazu reichte, den Aufenthalt in der Herberge zu bezahlen, sofern er nicht von einem anderen die erforderlichen Geldsummen erhalten würde. „Und wie könnt ihr da“, sagte er, „so freigebig Geld ausgeben? Es ist ja vortrefflich, Armen Geld zu geben, um dann selber etwas leihen zu müssen.“
Frau Birgitta antwortete ihm: „Wir sollen geben, wenn wir etwas haben, denn der milde Gott ist imstande, uns großzügig zu geben, wenn wir Mangel leiden. Für diese Armen bin ich gespart worden, denn sie haben keine andere Freude. In meiner eigenen Bedrängnis überlasse ich mich Gottes Willen.“

Als sie dann die Messe in der Kirche besuchten, hörte die heilige Birgitta, als sie betete, Christus zu ihr sagen: „Unsere Tochter ist wie die, die so eifrig zu ihrem Bräutigam eilt, dass sie Vater und Mutter und alles, was sie hat, vergisst, bis sie den gefunden hat, den sie sucht. Was soll der Bräutigam da machen? Ja, er soll Diener aussenden und es anordnen, dass alles, was der Braut gehört, ihr nachgeschickt wird. So wollen wir um deiner Liebe willen, Tochter, für dich und für die Deinen sorgen. Denn wie die Liebe mich in unaussprechlicher Weise in den Schoß der Jungfrau führte, so leitet die Liebe des Menschen Gott in seine Seele.“