26. Kapitel

Man sah, wie die Heerschar der Engel vor Gott stand, und die ganze Heerschar sagte: „Preis und Ehre sei dir, Herr Gott, der du bist und ohne Ende gewesen bist. Wir sind deine Diener, und aus dreifachem Anlaß loben und ehren wir dich. Erstens, weil du uns geschaffen hast, damit wir uns mit dir freuen, und weil du uns das unaussprechliche Licht gegeben hast, an dem wir uns ewig erfreuen.

Zweitens, weil alles durch deine Güte und Treue geschaffen und erhalten wird, und alles nach deinem Willen Bestand hat und durch dein Wort bestehen bleibt. Drittens, weil du den Menschen geschaffen hast, um dessentwillen du Menschengestalt angenommen hast. Von dieser Menschengestalt und von deiner reinen, keuschen Mutter, die es verdient hat, dich zu tragen und die die Himmel nicht fassen und umschließen können, rührt unsere höchste Freude. Daher sei deine Ehre und dein Segen über alle Dinge – zur Würde der Engel, die du zu einer so großen Ehre erhöht hast.

Deine unendliche Ewigkeit und Beständigkeit sei über alles, was beständig ist und sein kann. Deine Liebe möge über dem Menschen sein, den du geschaffen hast. Du, Herr, bist der einzige, vor dem man sich um deiner großen Macht willen fürchten muß. Du bist der einzige, nach dem man um all deiner Liebe willen verlangen muß. Du bist der einzige, den man um deiner Unveränderlichkeit willen lieben soll. Deshalb sei dir Lob ohne Ende, unaufhörlich und in alle Ewigkeit, Amen.“

Da antwortete der Herr: „Ihr ehrt mich würdig für jedes geschaffene Wesen. Aber sagt, warum ihr mich für den Menschen lobt, der mich mehr als alle geschaffenen Wesen zum Zorn gereizt hat. Ich habe ihn ja würdiger als alle niedern Lebewesen geschaffen, und für niemanden ertrug ich so schmachvolle Dinge wie für ihn, und keinen habe ich so teuer erlöst, wie den Menschen. Und welches geschaffene Wesen beobachtet seine Ordnung nicht? Nur der Mensch tut das nicht. Er fügt mir größere Trübsal zu, als andere geschaffene Wesen.

Denn so wie ich euch zu meinem Lob und meiner Ehre schuf, so machte ich auch den Menschen mir zur Ehre. Ich gab ihm nämlich einen Leib wie ein geistlicher Tempel, in den ich die Seele wie einen schönen Engel gesetzt habe, denn der Menschen Seele hat Macht und Stärke wie ein Engel. In diesem Tempel war ich, sein Gott und Schöpfer, als der Dritte, damit der Mensch sich an mir freuen und mich genießen möge. Dann machte ich aus seinen Rippen einen anderen Tempel, ihm gleich.

Aber jetzt meine Braut, du, um deretwillen dies gesagt wird, kannst du fragen, wie Kinder von ihnen geboren werden konnten, wenn sie nicht gesündigt haben? Ich antworte dir: Aus göttlicher Liebe und gegenseitiger Zuneigung und fleischlicher Vereinigung, wodurch die beiden untereinander entzündet wurden, würde gewiß das Blut der Liebe im Schoß der Frau ohne irgendwelche Wollust befruchtet sein, und so ist die Frau dann fruchtbar geworden.

Wenn dann das Kind ohne Sünde und wollüstiges Begehren geboren ist, würde ich ihn aus meiner Göttlichkeit heraus die Seele eingepflanzt haben, und so würde die Frau ohne Schmerz das Kind getragen un geboren haben. Wenn das Kind geboren ist, wäre es gleich so vollkommen wie Adam gewesen.
Aber diese Ehre verachtet der Mensch, als er dem Teufel zustimmte und eine höhere Ehre begehrte als die, die ich ihm gegeben habe. Nachdem der Ungehorsam geschehen war, kam mein Engel über sie, und sie schämten sich ihrer Nacktheit, und gleich verspürten sie fleischliches Begehren und litten Hunger und Durst. Da vermissten sie auch mich, denn als sie mich hatten, hatten sie keinen Hunger oder andere fleischliche Lust oder Scham empfunden, sondern ich allein war für sie alles Gute, alles Gute, alle Lieblichkeit und vollkommene Freude gewesen.

Aber als der Teufel sich über ihren Fehltritt und ihren Fall freute, war ich von Mitleid mit ihnen gerührt und übergab sie nicht, sondern zeigte ihnen ein dreifaches Erbarmen. Ich bekleidete sie nämlich, als sie nackt waren, und gab ihnen Brot aus der Erde. Für die Wollust, die der Teufel nach ihrem Ungehorsam bei ihnen weckte, fügte ich durch meine göttliche Macht Seelen in ihre Saat ein. Und das Böse, das der Teufel ihnen eingab, wendete ich für sie ganz zum Guten.

Dann zeigte ich ihnen die Art und Weise, in der sie leben und mich verehren sollten, und versprach ihnen, zusammen zu kommen, denn vor meiner Zulassung und der Verkündigung meines Willens waren sie von Furcht beseelt und schämten sich, zusammen zu kommen. Ebenso hatte ich Mitleid mit ihnen, als sie nach Abels Ermordung eine lange Zeit trauerten und Enthaltsamkeit übten, und tröstete sie. Und als sie nun meinen Willen kennengelernt hatten, begannen sie wieder, zusammen zu kommen und Kinder zu zeugen, aus deren Geschlecht ich, ihr Schöpfer, versprach, dass ich einmal geboren würde.

Als die Bosheit der Kinder Adams wuchs, zeigte ich den Sündern meine Gerechtigkeit, aber für meine Auserwählten Barmherzigkeit. Dadurch wurde ich besänftigt, so dass ich sie vom Untergang bewahrte und sie erhöhte, nachdem sie meine Gebote beachteten und meinen Versprechungen glaubten. Als dann die Zeit des Erbarmens kam, zeigte ich durch Mose meine Wundertaten, denn ich rettete mein Volk nach meinem Versprechen, ich ernährte sie mit Manna und ging in der Wolkensäule vor ihnen her, gab ihnen mein Gesetz und offenbarte ihnen meine Geheimnisse und die Zukunft durch meine Propheten.

Dann erwählte ich, der alles geschaffen hat, mir eine Jungfrau, die von Vater und Mutter geboren war; von ihr nahm ich menschliche Gestalt an, und von ihr wurde ich gewürdigt, ohne Beischlaf und Sünde geboren zu werden. So wie die ersten Kinder im Paradies durch das Mysterium der göttlichen Liebe, durch die gegenseitige Liebe und Hingabe der Eltern ohne irgendwelche Wollust entstanden sind, so nahm meine Gottheit von einer Jungfrau Menschengestalt an, ohne Beischlaf und ohne Verletzung ihrer Jungfräulichkeit.

Ich kam also ins Fleisch als wahrer Gott und Mensch, ich erfüllte das Gesetz und alle Schriften, so wie sie vorher über mich geweissagt waren, und führte das neue Gesetz ein, nachdem das alte eng und hart zu tragen war; ja es war nichts anderes als ein Abbild dessen, was in Zukunft geschehen sollte. Denn in diesem alten Gesetz war es einem Mann erlaubt, mehrere Frauen zu haben, damit das Volk nicht ohne Nachkommen wäre und sich mit anderen Völkern vermischen sollte. Aber in meinem neuen Gesetz ist er vorgeschrieben, dass ein Mann nur eine Frau haben soll, und es ist verboten, dass er – solange sie lebt – mehrere Frauen hat. Die, die sich mit göttlicher Liebe und Gottesfurcht vereinigen, um Nachkommen zu erzeugen, die sind mein geistlicher Tempel, und bei ihnen will ich als der Dritte wohnen.

Aber die Menschen in dieser Zeit gehen eine Vereinigung aus sieben Gründen ein. Erstens wegen der Schönheit des Gesichts. Zweitens auf Grund von Reichtümern. Drittens aus Übermaß an großer Leichtfertigkeit und Freude am Beischlaf. Viertens, weil es da die Anerkennung durch Freunde und eine maßlose Schwelgerei gibt. Fünftens, weil es da übertriebenen Aufwand an Kleidern und Speisen, an Spiel und Spaß und anderen Nichtigkeiten gibt. Sechstens, um Kinder in die Welt zu setzen – aber nicht, um sie für Gott oder gute Sitten aufzuziehen, sondern für Reichtümer und Ehre. Siebtens kommen sie aus Wollust zusammen, und in ihrem Wollüstigen Verlangen sind sie wie das Vieh.

Sie kommen einträchtig an die Tür meiner Kirche, aber ihr Begehren und innerste Gedanken sind ganz gegen mich gerichtet, und ihren Willen, der darauf aus ist, der Welt zu gefallen, stellen sie über meinem Willen. Denn wenn ihr ganzes Denken auf mich gerichtet wäre und sie ihren Willen in meine Hände übergeben würden und sie die Ehe in der Furcht vor mir eingegen würden, dann würde ich ihnen mein Einverständnis geben und als der Dritte bei ihnen sein. Aber jetzt ist mein Einverständnis, das ihnen das Wichtigste sein sollte, dahin, denn in ihrem Herzen herrscht Wollust, und nicht meine Liebe.

Darauf gehen sie zu meinem Altar, wo sie hören, dass sie ein Herz und eine Seele sein sollen, aber da fliegt mein Herz von ihnen fort, denn sie haben nicht die Wärme meines Herzens und kennen nicht den Geschmack meines Fleisches. Sie suchen nämlich die Wärme, die bald vergehen wird, und trachten nach dem Fleisch, das die Würmer fressen werden. Daher vereinen sich solche Menschen ohne das Band Gott Vaters und die Verbindung mit ihm, ohne die Liebe des Sohnes und ohne die Erquickung des Heiligen Geistes.

Aber wenn die Eheleute ins Bett kommen, dann weicht mein Geist gleich von ihnen, und ein unreiner Geist naht sich stattdessen, da sie nur aus Wollust zusammen kommen und zwischen ihnen an nichts anderes gedacht oder davon gesprochen wird. Doch ist mein Erbarmen noch mit ihnen, wenn sie sich bekehren. Aus großer Liebe sende ich nämlich in ihre Saat eine lebende Seele, die von meiner Macht geschaffen ist, und ich erlaube bisweilen auch, dass von bösen Eltern gute Kinder geboren werden.

Doch werden öfter schlechte Kinder von schlechten Eltern geboren, da solche Kinder der Bosheit der Eltern so weit wie möglich gleichen und ihnen noch mehr gleichen würden, wenn es ihnen von meiner Geduld erlaubt würde. Ein solches Ehepaar wird nie mein Angesicht zu sehen bekommen, wenn es sich nicht bessert. Keine Sünde ist nämlich so schwer, dass sie nicht durch Buße abgewaschen werden kann.

Deshalb will ich mich an die geistliche Ehe wenden, eine solche, wie es Gott gefällt, sie mit keuschem Leib und keuscher Seele zu führen. Da gibt es sieben gute Dinge, die im Gegensatz zu den vorher genannten bösen Dingen stehen. Denn die, welche eine solche Ehe eingehen, begehren keine körperliche Gestalt oder Schönheit und auch nicht den Blick auf das Angenehme, sondern nur auf Gottes Liebe und seinen Anblick.

Ferner begehren sie nicht, etwas anderes zu besitzen, als das, was sie zum Leben brauchen und nur das Lebensnotwendige, nicht zum Überfluß. Drittens vermeiden sie eitle und leichtfertige Worte. Viertens legen sie kein Gewicht darauf, Freunde oder Verwandte zu sehen, sondern ich bin ihre Liebe und ihre Sehnsucht. Fünftens wünschen sie, Demut zu bewahren, inwendig in ihrem Gewissen und nach außen in ihrer Kleidung. Sechstens nehmen sie sich vor, niemals wollüstig leben zu wollen. Siebtens gebären sie Söhne und Töchter für ihren Gott, durch ihren guten Wandel und ihr gutes Beispiel und durch Verkündigung geistlicher Worte.

Sie stehen vor der Tür meiner Kirche, wenn sie ihren Glauben ungetrübt bewahren, und da geben sie mir ihr Einverständnis, und ich das meine mit ihnen. Sie gehen zu meinem Altar, wenn sie geistlich durch mein Fleisch und Blut erquickt werden, bei deren Genuß sie ein Herz, ein Fleisch und ein Wille sein wollen, und ich, wahrer Gott und Mensch, mächtig im Himmel und auf Erden, werde der Dritte bei ihnen sein, und ich werde ihr Herz erfüllen.

Die weltlichen Ehegatten beginnen das Verlangen ihrer Ehe in Wollust wie das Vieh, ja sie sind schlimmer als das Vieh, aber die geistlich gesinnten Gatten beginnen die Ehe in göttlicher Liebe und Gottesfurcht und kümmern sich nicht darum, jemand anderes zu gefallen, als mir. Die ersteren erwecken den bösen Geist zu fleischlicher Begierde, wo es nur so etwas wie Gestank gibt, aber die Letzteren werden von meinem Geist erfüllt und vom Feuer meiner Liebe entzündet, das nie bei ihnen erlöschen wird.

Ich bin ein Gott, drei an Personen, aber eins im Wesen, mit dem Vater und dem Heiligen Geist. So wie es unmöglich ist, dass der Vater vom Sohn getrennt wird, und dass der Geist von ihnen beiden geschieden wird, und wie es unmöglich ist, dass die Wärme vom Feuer getrennt wird, so ist es auch unmöglich, dass solche Gatten von mir getrennt werden; ich bin immer als der Dritte bei ihnen.

Denn einmal wurde mein Leib durch meine Pein verwundet und starb, aber jetzt wird er niemals mehr verletzt oder sterben. So werden die, die mit rechtem Glauben und vollkommenem Willen mit mir leben, mir einverliebt werden und niemals von mir absterben, denn wo immer sie auch stehen, sitzen oder gehen, stets bin ich als der Dritte bei ihnen.“