Die Mutter sprach zur Braut (Birgitta): „Bedenke, du neue Braut, das Leiden meines Sohnes, das an Bitterkeit die Leiden aller Heiligen übertraf. So wie eine Mutter bittere Trübsal empfinden würde, wenn sie ihren Sohn lebendig zerrissen sehen würde, so wurde ich beim Leiden meines Sohnes betrübt, als ich seine bittere Qual sah.“
Dann sprach sie zu ihrem Sohn: „Gesegnet seist du, mein Sohn, du bist so heilig, wie es gesungen wird: „Sanctus, sanctus, sanctus, Dominus Deus Sabaoth“. Gesegnet seist du, denn du bist lieblich, lieblicher, am lieblichsten. Du warst schon heilig, ehe du Menschengestalt annahmst, heilig im Mutterleib, heilig, nachdem du Menschengestalt annahmst. Du warst schon lieblich vor Erschaffung der Welt, lieblicher für die Engel, doch am lieblichsten für mich, als du die Gestalt eines Menschen annahmst.“
Der Sohn erwiderte: „gesegnet seist du, Mutter, vor allen Engel. So wie ich auf dreifache Weise, wie du jetzt gesagt hast, überaus lieblich war, so bin ich für die Bösen bitter, bitterer, am bittersten. Ich bin bitter für die, die sagen, dass ich vieles ohne Ursache geschaffen habe, und schmähend sagen, ich hätte den Menschen für den Tod und nicht zum Leben erschaffen.
O, welch elender und törichter Gedanke! Sollte ich, der am gerechtesten und tüchtigsten ist, die Engel ohne Ursache geschaffen haben? Sollte ich den Menschen mit so vielen guten Dingen bereichert haben, wenn ich ihn zur Verdammnis geschaffen hätte? Keineswegs. Nein, ich habe alles wohl geschaffen, und aus Liebe habe ich dem Menschen alles Gute gegeben. Er hat jedoch all das Gute zum Bösen für sich gewendet.
Ich habe nichts Böses geschaffen, aber der Mensch lenkt seinen Willen in anderer Weise, als er nach Gottes Ordnung sollte, und das ist schlecht. Aber ich bin bitterer für die, die sagen, dass ich dem Menschen den freien Willen gab, zu sündigen, und nicht dazu, Gutes zu tun, die sagen, dass ich ungerecht sei, weil ich manche verurteile und andere gerechtspreche, und die mir die Schuld geben, dass sie böse sind, nachdem ich ihnen meine Gnade entziehe.
Ich bin aber am bittersten für die, die sagen, dass mein Gesetz und meine Gebote äußerst schwer sind, und dass niemand sie zu halten vermag, die sagen, dass mein Leiden keinen Wert für sie habe, und die es deshalb für nichts achten. Daher schwöre ich bei meinem Leben, so wie ich früher durch die Propheten schwor, dass ich mich vor den Engeln und allen meinen Heiligen rechtfertigen werde. Die, für die ich bitter bin, sollen erfahren, dass ich alle Dinge vernünftig und gut erschaffen habe, zum Nutzen und zur Unterweisung des Menschen, und dass nicht einmal der kleinste Wurm ohne Ursache besteht.
Die dagegen, für die ich bitterer bin, sollen erfahren, dass ich den Menschen wohlweislich dem freien Willen zu seinem Nutzen gegeben habe. Und sie mögen wissen, dass ich gerecht bin, der dem guten Menschen das ewige reich schenkt, aber dem Bösen die ewige Strafe. Es würde sich nämlich nicht ziemen, dass der Teufel, der von mir gut geschaffen war, der aber durch seine Bosheit stürzte, Gemeinschaft mit einen guten Menschen haben sollte.
Die bösen Menschen sollen auch erfahren, dass es nicht meine Schuld ist, dass sie schlecht sind, sondern ihre eigene Schuld. Denn wenn es möglich wäre, würde ich gern für einen jeden Menschen eine solche Pein auf mich nehmen, die ich einmal am Kreuz für alle gelitten habe, wenn sie dadurch das verheißene Erbe gewinnen könnten.
Aber des Menschen Wille strebt dem meinen stets entgegen. Ich gab ihm die Freiheit, um mir zu deinen, wenn er wollte, und einen ewigen Lohn zu gewinnen. Aber wenn er nicht will, soll er mitsamt dem Teufel gestraft werden, für dessen Bosheit und für die Bosheit seiner Anhänger die Hölle mit Recht geschaffen wurde.
Aber weil ich liebevoll bin, will ich nicht, dass der Mensch mir aus Furcht oder gezwungen wie ein unvernünftiges Tier dient, sondern aus göttlicher Liebe. Niemand kann nämlich mein Angesicht sehen, der mir unwillig oder aus Furcht vor Strafe gedient hat.
Die, für die ich am bittersten bin, sollen in ihrem Gewissen verstehen, dass mein Gesetz sehr leicht und mein Joch sehr angenehm war. Sie sollen untröstlichen Kummer darüber tragen, dass sie mein Gesetz verachtet und die Welt mehr geliebt haben, deren Joch doch drückender und viel schwerer zu tragen ist, als meins.“
Da erwiderte die Mutter: „Gesegnet seist du, mein Sohn, mein Gott, mein Herr! Nachdem du für mich am lieblichsten gewesen bist, bitte ich dich, dass auch andere an dieser Lieblichkeit teilhaben mögen.“ Der Sohn antwortete ihr: „Gesegnet seist du, liebste Mutter! Deine Worte sind hold und voller Liebe. Daher soll ein jeder, der etwas von deiner Lieblichkeit in seinen Mund nimmt und es voll und ganz behält, Gewinn daraus ziehen. Aber wer etwas davon nimmt und es wieder ausspuckt, soll eine umso bitterere Strafe erhalten.“ Da entgegnete die Jungfrau: „Gesegnet seist du, mein Sohn, um deiner Liebe willen!“
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