14. Kapitel

Ich bin wie ein guter Goldschmied, der seinen Diener sendet, sein Gold auf Erden zu verkaufen, und ihm sagt: ”Du musst drei Dinge tun. Erstens darfst du mein Gold nicht anderen als denen überlassen, die klare und reine Augen haben. Zweitens darfst es nicht denen überlassen, die kein Gewissen haben. Drittens sollst du mein Gold für zehn Pfund mit doppeltem Gewicht zum Kauf anbieten. Wer sich weigert, mein Gold zweimal zu wiegen, der soll es nicht haben.

Mein Feind hat jedoch drei Pläne gegen mich, vor denen du dich in Acht nehmen sollst. Erstens möchte er dich träge und faul machen, mein Gold vorzuführen und zu zeigen. Zweitens wünscht er meinem Golde etwas Falsches beizumischen, so dass die, die mein Gold sehen und es prüfen, glauben, dass es Schmutz und Verderben ist. Drittens legt er seinen Freunden die Wort in den Mund, mit denen sie dir widerstehen und eigensinnig versichern können, dass mein Gold nicht gut sei.“

Sieh, ich bin wie dieser Goldschmied. Ich schmiede alles, was im Himmel und auf Erden ist – nicht mit Hammer und Werkzeug, sondern mit meiner Macht und Kraft. Alles, was da ist und gewesen ist und kommen wird, weiß ich im voraus. Nicht einmal der kleinste Wurm oder das kleinste Samenkorn ist ohne mich da oder kann ohne mich bestehen, und es gibt nichts, was so klein ist, dass es sich vor meinem Vorherwissen verbergen kann, denn alles ist von mir, und alles ist in meinem Vorherwissen enthalten.

Unter allem, was ich getan habe, sind doch meine Worte, die ich mit meinem eigenen Mund gesprochen habe, das Allerwertvollste – wie Gold unter den übrigen Metallen. Daher sollen meine Diener, mit denen ich mein Gold durch die Länder schicke, drei Dinge tun. Erstens sollen sie mein Gold nicht denen anvertrauen, die keine klaren und reinen Augen haben.
Aber nun kannst du fragen: Was bedeutet das, einen klaren Blick zu haben? Ja, der sieht klar, der die göttliche Weisheit und göttliche Liebe hat. Aber wie kann man das erkennen? Ja, das ist gewiss deutlich zu sehen. Wer im Einvernehmen mit dem lebt, was er versteht, wer sich von der Eitelkeit und Neugier der Welt zurückzieht, wer nichts so eifrig sucht wie seinen Gott, der hat einen klaren Blick. Ihm soll mein Gold anvertraut werden.

Der dagegen, der Weisheit besitzt, aber keine göttliche Liebe, das zu tun, was er versteht, der Mensch gleicht einem Blinden, der scheinbar die Augen auf Gott gerichtet hat, aber in Wirklichkeit richtet er sie auf die Welt und dreht Gott den Nacken zu.

Zweitens soll mein Gold nicht dem überlassen werden, der kein Gewissen hat. Wer hat aber ein Gewissen, wenn nicht der, der das Zeitliche und Vergängliche dem Ewigen anpasst, der die Seele im Himmel und den Leib auf Erden hat, der täglich daran denkt, wie er das Erdenleben verlassen wird und Gott Rechenschaft über seine Taten ablegen soll? Ihm soll mein Geld anvertraut werden.

Drittens soll mein Diener mein Gold für zehn Pfund anbieten, doppelt gewogen. Was wird mit der Waage bezeichnet, auf der das Gold gewogen wird, wenn nicht das Gewissen? Was bedeuten die Hände, die etwas wägen müssen, anderes, als den guten Willen und das Verlangen? Was bedeuten die Gewichte, wenn nicht die körperlichen und geistlichen Taten?

Wer mein Gold, nämlich meine Worte, kaufen will, soll also mit gutem Willen auf der Waagschale seines Gewissens abwägen und darauf achten, dass zehn Pfund – gut nach meinem Willen abgewogen – für mein Gold ausbezahlt werden. Das erste Pfund ist die besonnene Sicht des Menschen, die darin besteht, dass der Mensch bedenkt, wie groß der Unterschied zwischen körperlicher und geistlicher Betrachtungsweise ist, welch geringer Nutzen in körperlicher Schönheit und Sichtweise ist, welche Vornehmheit in der Schönheit und Herrlichkeit der Engel und der himmlischen Mächte liegt, die alle Sterne des Himmels an Glanz übertrifft, und welcher Liebreiz und welche Freude der Seele in Gottes Geboten und seiner Ehre liegt.

Dieses Pfund, nämlich das des körperlichen und des geistlichen Schauens, was in Gottes Geboten und seiner Ehre liegt, soll nicht gleichmäßig gewogen werden, sondern das geistliche Schauen muss ein größeres Gewicht als das körperliche haben und in der Waagschale schwerer wiegen, denn die Augen müssen zwar offen für die Bedürfnisse der Seele und des Leibes sein, aber geschlossen für Nichtigkeit und Leichtsinn.

Das zweite Pfund ist das gute Hören. Der Mensch soll nämlich bedenken, wozu leichtsinnige, närrische und spaßhafte Worte dienen; sie sind in der Tat nichts anderes als Nichtigkeit und Luft, die sich verflüchtigt. Daher soll er auf Gottes Lob und seinen Lobgesang sowie auf die Worte und Taten der Heiligen hören; er soll das hören, was für die Seele und den Leib notwendig ist und zu einer guten Erbauung dient. Dieses Hören soll auf der Waagschale schwerer wiegen, als das Hören auf leichtfertige Dinge. Wenn dieses gute Hören mit dem anderen auf die Waagschale gelegt wird, soll es das ganze Gewicht halten, und das andere soll wie leere Luft in die Höhe fliegen und sich verflüchtigen.

Das dritte Pfund ist das Pfund des Mundes. Der Mensch soll auf der Waage seines Gewissens die erbaulichen und ehrbaren Worte wägen und bedenken, wie nützlich und anständig sie sind. Er soll auch auf die eitlen und unnützen Worte Acht geben, wie schädlich und nutzlos sie sind, und soll eitle Worte vermeiden und die guten lieben.
Das vierte Pfund ist der Geschmack. Was ist der Geschmack der Welt anderes, als Elend? Er ist am Anfang Mühe, Schmerz in der Fortsetzung und Bitterkeit am Ende. Der Mensch soll also den geistlichen Geschmack genau gegen zeitlichen abwiegen. Der geistliche wird mehr wiegen als der zeitliche, denn der geistliche Geschmack hört nie auf, wandelt sich nie in Überdruss und vermindert sich nie. Dieser Geschmack beginnt hier auf der Welt mit der Zügelung der Lust und mit der maßvollen Lebensweise, und er dauert ohne Ende im Himmel, im Genießen Gottes und seiner Herrlichkeit.

Das fünfte Pfund ist das Pfund des Gefühls. Der Mensch soll erwägen, wie viel Kummer und Elend er an seinem Leib empfindet, wie viel Unruhe von der Welt, wie viel Widerwärtigkeiten von Seiten seiner Mitmenschen; überall bemerkt er Elend. Er soll auch erwägen, welche Ruhe die Seele, der gut beherrschte Sinn besitzt, und wie angenehm es ist, sich nicht um unnötige Dinge zu kümmern – dann wird er überall Erquickung finden.

Wer also gut abwiegen will, soll das geistliche und körperliche Gefühl auf die Waage legen und so abwiegen, dass das geistliche mehr wiegt, als das körperliche Empfinden. Dieses geistliche Gefühl beginnt und setzt sich fort in Geduld bei widrigen Dingen und im treuen Gehorsam gegen Gottes Gebot, und dauert ewig in der stillsten Freude und im Frieden. Wer aber die leibliche Ruhe und das Gefühl der Welt und ihrer Freude höher wertet als das ewige, der ist nicht wert, mein Gold zu berühren, oder meine Freude zu genießen. Das sechste Pfund ist das Tun des Menschen. Der Mensch soll in seinem Gewissen das geistliche und das körperliche Tun genau abwiegen: Das erste führt zum Himmel, das letztere zur Welt; das erste zu einem ewigen Leben ohne Plage, das letztere zu großer Trübsal und Pein. Wer mein Gold begehrt, soll das geistliche Tun und Lassen, das in meiner Liebe ist und zu meiner Ehre dient, höher bewerten als das körperliche Tun, denn geistliche Dinge bleiben bestehen, aber körperliche vergehen.

Das siebente Pfund ist die Einteilung zur Zeit. Eine gewisse Zeit wandte der Mensch an, sich nur mit geistlichen Dingen zu befassen, eine gewisse Zeit für die Bedürfnisse des Leibes, ohne die er ja nicht leben kann und was auch zu dem Geistlichen gerechnet werden kann, wenn es vernünftig angewendet wird, um das auszuüben, was für den Körper nützlich ist. Und da der Mensch einmal Rechenschaft über seine Zeit wie für seine Taten ablegen muss, mag die Zeit für geistliche Arbeit mehr wiegen, als die körperliche Arbeit. Und die Zeit soll so eingeteilt werden, dass das Geistliche höher eingeschätzt wird als das Zeitliche, und man soll keine Zeit verrinnen lassen, ohne es zu prüfen und gleichmäßig abzuwiegen, was gerecht ist.

Das achte Pfund ist die rechte Verwaltung des erlaubten zeitlichen Gutes, so dass der, der reich ist, den Armen mit frommer Liebe geben kann, so weit er es vermag. Aber nun kannst du fragen: Was soll der Arme geben, der nichts besitzt? Ja, er soll den guten Willen haben und bei sich denken: „Wenn ich etwas hätte, so würde ich gern geben.“ Dann soll ihm dieser Wille als Tat angerechnet werden.

Aber wenn der Wille des Armen so ist, dass er gern zeitliche Dinge ebenso wie andere haben möchte, aber armen Menschen doch nur sehr wenig und das Allerschlechteste geben würde, dann soll ihm ein solcher Wille als eine sehr kleine Tat angerechnet werden. Soll also der reiche Mann, der Güter besitzt, Taten mit Liebe tun; Wer nichts hat, soll den Willen haben, zu geben, und es wird ihm nützen. Aber der, der das Zeitliche mehr wiegen lässt als das Geistliche, der mir einen Pfennig schenkt, aber hundert für die Welt und tausend für sich selbst, der wiegt nicht richtig, und ein solcher Mann ist unwürdig, mein Gold zu haben. Denn ich, der alles gegeben hat und auch in der Lage ist, alles wieder wegzunehmen, hat den wertvolleren Teil verdient. Das Zeitliche ist zum Nutzen und Notwendigen des Menschen geschaffen, nicht für den Überfluss.

Das neunte Pfund ist das genaue Beachten der Zeit, die vergangen und verflossen ist. Der Mensch soll also seine Taten betrachten, was und wie viele sie gewesen sind, und wie er Besserung für sie getan hat, und wie würdig das war. Er möge auch beachten, dass die guten nicht womöglich weniger als die schlechten sind, und wie er überlegen soll, ob seine schlechten Taten mehr als seine guten sind, so dass er von dem vollkommenen Willen beseelt ist, sich zu bessern und wahre Reue über die begangenen Sünden zu empfinden. Und wenn diese Reue wahr und fest ist, so wiegt sie vor Gott mehr, als alle seine Sünden.

Das zehnte Pfund ist das Betrachten und die Einstellung auf die kommende Zeit, ob der Mensch eine solche Absicht hat, dass er nichts anderes lieben will als das, was von Gott ist, und nichts anderes begehrt als das, von dem er weiß, dass es Gott gefällt, und dass er alle Trübsal gern und geduldig tragen will, ja sogar die Qual der Hölle, ob Gott Freude daran hätte und ob es Gottes Wille wäre, dass er das tut. Dieses Pfund überwiegt alles, und durch dieses Pfund werden alle kommenden Dinge bewältigt. Jeder, der also diese zehn Pfund gibt, der soll mein Gold besitzen.

Aber wie ich sagte, will der Feind die Menschen, die mein Gold bei sich tragen, in dreifacher Weise daran hindern. Erstens will er sie träge machen. Nun ist die körperliche Faulheit eine Sache, und die geistliche eine andere. Die körperliche ist vorhanden, wenn der Körper zu faul ist, um zu arbeiten, um aufzustehen und dergleichen. Die geistliche Trägheit ist vorhanden, wenn der geistliche Mensch die Süße meines Geistes und meine Gnade spürt und lieber allein in dieser Süßigkeit bleiben möchte, als zu anderen zu gehen und ihnen zu helfen, so dass auch sie an derselben Süßigkeit teilhaben.

Haben nicht Petrus und Paulus die Süßigkeit meines Geistes im Übermaß besessen? Sie hätten, wenn es mir angenehm gewesen wäre, mit der inneren Süße, die sie hatten, lieber in der tiefsten Tiefe der Erde verborgen liegen wollen, als hinaus in die Welt zu gehen. Aber damit auch andere an ihrer Süße teilhaben könnten, und damit sie auch andere erbauen könnten, zogen sie es vor, lieber zum Nutzen und zum Vorteil anderer und zur Vermehrung ihrer eigenen Ehre hinaus zu gehen, als allein zu bleiben und nicht andere mit der Gnade zu stärken, die sie selbst empfangen haben.

So sollen auch meine Freunde heutzutage, obwohl sie lieber allein sein wollen und sich an der Süße erfreuen, die sie haben, hinausgehen, so dass auch andere an ihrer Freude teilhaben. Denn so wie einer, der Überfluss an zeitlichen Gütern hat, sie nicht einsam genießt, sondern sie auch anderen überlässt, so sollen meine Worte und meine gnade nicht verborgen bleiben, sondern für andere ausgegossen werden, so dass auch sie davon erbaut werden.

Meine Freunde können nämlich drei Arten von Menschen helfen. Erstens den Verdammten, zweitens den Sündern (d.h. denen, die in Sünde geraten, aber wieder aufstehen), drittens denen, die fest im Guten stehen. Aber nun magst du fragen, wie jemand den Verdammten helfen kann, die nicht der Gnade wert sind – es ist ja für sie unmöglich, zur Gnade zurückzukehren?
Darauf will ich in einem Gleichnis antworten. Stell dir vor, dass es im allertiefsten Abgrund unzählige Gräber gäbe, in die der, der in die Tiefe hinabfällt, notwendigerweise stürzen muss. Wenn jemand eines dieser Gräber zustopfen würde, würde der Fallende auf Grund dieser Verstopfung, nicht so tief hinunterstürzen, wie er fallen würde, falls kein Grab verstopft wäre. Denn obwohl solche Leute durch meine Gerechtigkeit und ihre eigene Hartgesottene Bosheit zu einer vorgeschriebenen und im voraus bestimmten Zeit verdammt werden würden, wird die Strafe doch leichter für sie, wenn sie durch jemanden von irgend etwas Bösem abgehalten und zu etwas Guten ermuntert würden.

Sieh, wie barmherzig ich sogar mit den Verdammten bin! Wenn die Barmherzigkeit auch dafür sprechen würde, sie zu schonen, so spricht doch die Gerechtigkeit und ihre Bosheit dagegen. Zweitens können sie denen helfen, die fallen und wieder aufstehen, wenn sie ihnen beibringen, wie sie wieder aufstehen können, ihnen Warnungen vor dem Fallen geben, sie unterweisen, wie sie sich vervollkommnen und ihren Begierden widerstehen können.

Erstens können sie den Gerechten und Vollkommenen nützlich sein. Können denn auch diese fallen? Ja gewiss, aber zur Erhöhung ihrer Ehre und zur Schande des Teufels. Denn wie ein Ritter, der im Kriege leicht angeschlagen ist, durch diesen Schlag weiter angefeuert und noch mehr ermuntert wird, zu kämpfen, so werden meine Auserwählten durch die Versuchung des teuflischen Widersachers zu geistlicher Bemühung und Demut angehalten, und dazu, umso eifrigere Fortschritte zu machen, die Krone der Ehre zu gewinnen. Daher sollen meine Worte nicht von meinen Freunden verborgen werden, denn viele könnten, wenn sie von meiner Gnade hören, noch mehr entflammt werden, mich zu lieben.

Zweitens arbeitet mein Feind darauf hin, dass mein Gold auf Grund irgendeines Fehlers dem Dreck gleichen könnte. Daher soll der Schreiber, wenn etwas aufgeschrieben werden soll, zwei treue Menschen oder einen mit bewährtem Gewissen als Zeugen berufen, und nachdem diese das Geschriebene geprüft haben, soll er es weitersenden, an wen er will, denn wenn es ohne Beglaubigung in die Hände von Feinden gerät, könnte etwas dazugetan werden, wodurch die Worte der Wahrheit bei schlichten Menschen verachtet werden könnten.

Drittens legt mein Feind seinen Freunden in den Mund, dass mein Gold verhindert werden sollte. Daher sollen meine Freunde denen, die dagegen reden, sagen: „Mit dem Gold der offenbarten Worte ist es so, als ob es nur drei Worte geben würde. Sie lehren nämlich, recht zu fürchten, fromm zu lieben und weise nach dem Himmlischen zu trachten. Prüft die Worte und untersucht sie, und widersprecht uns doch, wenn ihr findet, dass es sich anders verhält!“