5. Kapitel

Ich bin Gott – nicht ein Gott aus Stein oder Holz und nicht von jemanden geschaffen, sondern aller Dinge Schöpfer, der ohne Anfang und ohne Ende bleibt. Ich bin der, der zur Jungfrau kam und mit der Jungfrau war und die Göttlichkeit doch nicht verließ. Ich, der mit menschlicher Gestalt in der Jungfrau war, während die Göttlichkeit doch unverletzt blieb, ich regierte gleichzeitig mit dem Vater und dem Heiligen Geist im Himmel und auf Erden durch meine Göttlichkeit. Ich habe die Jungfrau mit meinem Geist entzündet – nicht so, dass mein Geist, der sie entzündet hat, von mir getrennt wurde. Nein, der sie entflammte, war zugleich im Vater und in mir, dem Sohn, und der Vater und der Sohn in ihm, und diese sind nicht drei Götter, sondern einer.

Ich bin wie König David, der drei Söhne hatte. Einer von ihnen hieß Absalom, und er trachtete seinem Vater nach dem Leben. Der zweite von ihnen trachtete nach seines Vaters Reich, und das war Adonia. Der dritte erhielt das Reich, und das war Salomo. Der erste bezeichnet die Juden. Die trachten mir nämlich nach dem Leben, suchten meinen Tod und verschmähten meinen Rat. Daher kann ich jetzt, wo ich ihre Vergeltung sehe, wie David von seinem toten Sohn sprechen: „Mein Sohn Absalom!“ d.h. o Juden, meine Söhne – wo ist nun eure Sehnsucht und Erwartung? Oh meine Söhne, wo ist nun euer Ende? Ich habe Mitleid mit euch, nachdem ihr Sehnsucht danach hattet, dass ich kommen sollte – ich, von dem ihr durch so viele Zeichen gehört habt, dass ich gekommen bin, und nach dem ihr euch nach Flüchtigen gesehnt habt, das nun insgesamt vergangen ist.

Aber jetzt sorge ich mich mehr über euch, wie David, als er das erste Wort wiederholte, denn ich sehe euer Ende im Elend des Todes. Daher sage ich noch einmal aus höchster Liebe, wie David sagte: „O mein Sohn, wer gönnt mir, dass ich für dich sterben kann?“ David wusste nämlich genau, dass er seine Toten nicht durch seinen eigenen Tod auferwecken konnte, aber er zeigte das Gefühl seiner väterlichen Liebe und das bereitwilligste Verlangen seines guten Willens, und wenn es möglich gewesen wäre, hätte er gern statt seines Sohnes den Tod erlitten, obwohl er wusste, dass das unmöglich war.

So sage ich jetzt: O meine Söhne, ihr Juden, obwohl ihr einen bösen Willen gegen mich hattet und gegen mich so viel getan habt, wir ihr konntet, so würde ich doch gern, wenn es möglich wäre und meinem Vater gefiele, noch einmal für euch sterben, denn mich dauert euer Elend, das ihr selbst als eine gerechte Strafe verursacht habt. Ich habe euch ja mit Worten gesagt und mit Beispielen gezeigt, was ihr tun sollt. Ich ging vor euch her, wie eine Henne vor ihren Küken, indem ich euch mit den Flügeln der Liebe schützte, aber ihr habt alles verschmäht. Daher ist alles vergangen, wonach ihr euch gesehnt habt. Euer Ende ist im Elend, und alle eure Arbeit ist vergebens.

Mit Davids zweitem Sohn werden die schlechten Christen bezeichnet. Adonia hat gegen seinen Vater in dessen Alter gesündigt, denn er dachte bei sich: „Mein Vater ist alt, und seine Kräfte nehmen ab. Wenn ich etwas Unfreundliches zu ihm sage, gibt er keine Antwort; wenn ich feindlich handele, rächt er sich nicht; wenn ich etwas gegen ihn unternehme, wird er es geduldig tragen. Daher werde ich tun, was ich will.“

Dieser ging mit einigen Dienern seines Vaters David in einen Hain, wo es ein paar Bäume gab, damit er herrschen würde. Aber als die Weisheit und der Wille des Vaters sichtbar wurde, änderte sich der Plan des Sohnes, und die mit ihm waren, begannen sich zu schämen. So handeln nun die Christen gegen mich. Sie denken bei sich: „Gottes Zeichen und Gerichte sind nicht so offenbar wie früher; wir können reden, was wir wollen, denn er ist barmherzig und achtet nicht darauf. Laßt uns das tun, was uns gefällt, denn er wird ja leicht verzeihen.“

Sie glauben nicht an meine Macht – als ob ich jetzt nicht mehr die Macht hätte, das zu tun, was ich früher wollte. Sie meinen, meine Liebe habe abgenommen – also ob ich mich nicht über sie erbarmen wollte, wie über ihre Väter. Sie treiben Spott mit meinen Gerichtsurteilen und halten meine Gerechtigkeit für eine Nichtigkeit. Deshalb gehen sie mit ein paar von Davids Dienern in den Wald, um mit Zuversicht zu regieren.

Was ist dieser Hain, in dem nur ein paar Bäume stehen, wenn nicht die heiligen Kirche, die durch ihre sieben Sakramente Bestand hat, wie durch ein paar Bäume? In diese Kirche treten sie mit einigen Dienern Davids ein, d.h. durch wenig gute Taten, um Gottes Reich mit Zuversicht zu erhalten. Sie tun nämlich ein paar kleine gute Taten, für die sie sich darauf verlassen, dass sie – in welcher Sünde sie auch stecken und welche Sünde sie auch tun mögen – doch das Himmelreich wie durch ererbtes Recht erhalten werden.

Aber so wie Davids Sohn, der das Reich gegen Davids Willen gewinnen wollte, mit Schande weggetrieben wurde, da er ungerecht war und es auf unrechte Weise erstrebte, und das Reich einem Weiseren und Besseren gegeben wurde, so sollen diese aus meinem Reich vertrieben werden, und es wird denen gegeben werden, die Davids Willen tun. Denn keiner außer dem, der Liebe hat, kann mein Reich gewinnen und keiner außer dem, der rein ist und sich nach meinem Herzen richtet, kann mir, dem Reinsten, nahen.

Davids dritter Sohn war Salomo. Er bezeichnet die Heiden. Als Batseba hörte, dass ein anderer als Salomo, dem David das Reich nach ihm versprochen hatte, von manchen Leuten gewählt wurde, ging sie zu David und sagte: „Herr, du hast mir geschworen, dass Salomo nach dir regieren solle. Aber jetzt ist ein anderer gewählt, und wenn es in dieser Weise geht, werde ich als Ehebrecherin zum Feuertod verurteilt, und mein Sohn wird als unecht erklärt.“

Als David das hörte, erhob er sich und sagte: „Ich schwör bei Gott, dass Salomo auf meinem Stuhl sitzen und nach mir regieren soll.“ Und er befahl seinen Dienern, dass sie Salomo auf den Stuhl des Reiches erheben und verkünden sollten, dass der, den David auserwählt hatte, König wäre. Diese führten den Befehl ihres Herrn aus und erhöhten Salomo zu großer Macht, aber alle die, die sich mit seinem Bruder verschworen hatten, wurden vertrieben und zu Knechten gemacht.

Wer ist nun diese Batseba, die sich als Ehebrecherin ansehen würde, wenn ein anderer König gewählt wurde, anders, als der Glaube der Heiden? Es gibt nämlich keine schlimmeren Ehebruch, als von Gott und dem rechten Glauben abzufallen und an einen anderen Gott als an den Schöpfer aller Dinge zu glauben.
Aber so wie Batseba kommen viele Heiden mit demütigem und zerknirschtem Herzen zu Gott und sagen: „Herr, du hast versprochen, dass wir in Zukunft Christen sein würden; erfülle daher dein Versprechen. Wenn ein anderer König, d.h. ein anderer Glaube als deiner, über uns herrschen wird, und wenn du dich von uns trennst, werden wir elend zum Feuertod verurteilt und sterben wie die Ehebrecherin, die sich einen Liebhaber anstelle ihres rechtmäßigen Gatten genommen hat.

Und wenn du in Ewigkeit lebst, wirst du dennoch von uns sterben und wir von dir, wenn du deine Gnade von unserem Herzen fernhälst, und wir uns dir durch unseren Irrglauben widersetzen. Erfülle deshalb dein Versprechen, stärke uns in unserer Schwachheit und erleuchte unsere Dunkelheit. Denn wenn du länger zögerst, d.h. wenn du dich von uns fernhältst, müssen wir vergehen.“
Nachdem ich dies gehört habe, will ich wie David handeln und mich in meiner Gnade und Barmherzigkeit erheben. Ich schwöre also bei meiner Göttlichkeit, die mit meiner Menschlichkeit verbunden ist, und bei meiner Menschlichkeit, die in meinem Geist ist, der in meiner Göttlichkeit und Menschlichkeit ist (und diese drei sind nicht drei Götter, sondern einer), dass ich mein Versprechen halten will.

Ich werde nämlich meine Freunde senden, die meinen Sohn Salomo, d.h. die Heiden, in den Hain, d.h. die Kirche, einführen werden, die sozusagen durch die sieben Sakramente wie durch sieben Bäume Bestand hat – nämlich die Taufe, die Buße, die Konfirmation, das Sakrament des Altars, die Priesterweihe, die Ehe und die letzte Ölung, und sie werden auf meinem Stuhl verweilen, mit anderen Worten, in dem rechten Glauben der heiligen Kirche, aber die schlechten Christen sollen ihre Diener sein.

Die ersten sollen sich an dem ewigen Erbteil und der Lieblichkeit freuen, die ich ihnen bereiten werde, aber die letzteren werden in ihrem Elend jammern, das für sie schon in diesem Leben beginnt und sich in Ewigkeit fortsetzt. Also sollen meine Freunde, nachdem es nun Zeit ist, zu wachen, nicht schlafen und ermüden, denn ein ehrenvoller Lohn soll auf ihre Mühe folgen.“