14. Kapitel

Die Mutter spricht zur Braut des Sohnes und sagt: ”Du bist ein Gefäß, das der Besitzer füllt und der Meister leert, und doch ist es ein und derselbe, der es füllt und leert. Denn so wie der, der das Gefäß gleichzeitig mit Wein, Milch und Wasser füllt, Meister genannt würde, wenn er jede dieser gemischten Flüssigkeiten getrennt und sie zu ihrer eigenen Natur zurückgeführt hat, so habe ich, die Mutter und Herrin von allen, es mit dir getan und tue es noch. Denn vor einem Jahr und einem Monat wurden dir viele Dinge gesagt, die nun alle sozusagen in deiner Seele gemischt sind, und es wäre abscheulich, wenn sie auf ein Mal ausgegossen würden, nachdem ihr Ende unbekannt ist. Daher trenne ich sie erst so allmählich, wie es mir gefällt.

Erinnerst du dich vielleicht, dass ich dich zu einem Bischof sandte, den ich meinen Diener genannt habe? Wir können ihn mit einem Falter vergleichen, der breite Flügel mit weißer, roter und blauer Farbe hat, der dick ist und, wenn man den Falter berührt, an den Fingern kleben bleibt wie Asche. Dieser hat einen kleinen Körper, aber ein großes Maul, zwei Fühler in der Stirn und eine heimliche Stelle im Bauch, durch die die Unreinheit des Bauches ausgeschieden wird.

Die Flügel dieses Insekts, d.h. dieses Bischofs, sind seine Demut und sein Hochmut. Denn er scheint äußerlich in Worten und Benehmen, in Kleidung und in Taten demütig, aber innen wohnt der Hochmut, der ihn seiner eigenen Ansicht nach groß, von vermeintlicher Ehre aufgeblasen, begierig auf die Gunst der Menschen und vermessen ist, so dass er seinen eigenen Nutzen dem der anderen vorzieht und den von anderen verurteilt.

Mit diesen beiden Flügeln fliegt er, nämlich mit der Demut, die er den Menschen zeigt, damit er allen gefällt und in aller Munde ist, und mit seinem inneren Hochmut, wodurch er sich für heiliger als viele andere hält. Die drei Farben der Flügel sind drei Arten seiner Erscheinung, die seine schlechten Eigenschaften verbergen. Denn die rote Farbe bedeutet, dass er ständig über Christi Leiden und die Wundertaten disputiert, damit er heilig genannt werden kann, und doch ist dies fern von seinem Herzen, denn das behagt ihm keineswegs.

Die blaue Farbe bedeutet, dass er sich äußerlich nicht um zeitliche Dinge zu kümmern scheint, sondern gut für die Welt und ganz himmlisch zu sein scheint, wie das Blau ja auch das Aussehen des Himmels hat, aber sicher hat diese andere Farbe vor Gott keine größere Beständigkeit und Festigkeit und bringt nicht mehr Frucht als die erste.

Die weiße Farbe bezeichnet ihn als klösterlich an Kleidern und lobenswert an Sitten, aber es liegt in Wirklichkeit in dieser dritten Farbe ebenso viel Süßigkeit und Vollkommenheit, wie in den beiden ersten. Ebenso wie die Farbe des Falters dick ist und an den Händen klebt, aber nichts als Staub in den Händen zurücklässt, so scheinen seine Werke bewundernswert zu sein, denn er möchte damit einzigartig dastehen, aber sie sind leer und bringen ihm keinen Nutzen, weil er den nicht aufrichtig sucht und liebt, der es wert ist, geliebt zu werden.
Die beiden Fühler sind sein doppelter Wille, denn er möchte ein Leben ohne Beschwer in dieser Welt haben, aber nach dem Tode doch das ewige Leben, damit er teils seine große Ehre auf Erden nicht verliert, teils aber vollkommener im Himmelreich gekrönt wird.

Dieser Bischof ist einem Schmetterling sehr ähnlich, der mit dem einen Fühler nur an den Himmel denkt und mit dem anderen an die Erde, und der doch, wenn er auch könnte, nicht das Geringste zu Gottes Ehre vollbringen würde. So glaubt und denkt sich dieser, Gottes Kirche mit seinem Wort und Beispiel zu nützen, als ob er nicht auch ohne sie zurechtkommen würde, und er nimmt an, dass Weltmenschen durch seine Verdienste geistlich gefördert würden.

Und daher denkt er so, wie der Ritter nach beendetem Kampf: „Wenn ich doch fromm und demütig genannt werde, warum soll ich dann ein strengeres Leben beginnen? Und wenn ich mich durch ein paar angenehme Dinge versündige, ohne die ich nun einmal nicht angenehm leben kann, so sollen mich meine größeren Verdienste und meine Taten entschuldigen. Wenn das Himmelreich sogar durch einen Trank kalten Wassers zu gewinnen ist – ist es dann notwendig, mehr zu arbeiten, als angemessen ist?“

Der Falter hat auch einen weiten Mund, aber seine Fresslust geht noch viel weiter. Ja, wenn er alle Fliegen außer einer schlucken könnte, so würde er Lust haben, diese letzte zu verschlingen. Ebenso würde dieser (Bischof), wenn er einen Pfennig über die vielen, die er schon bekommen hat, hinaus bekommen könnte, diesen Pfennig annehmen – und zwar so, dass es nicht bemerkt würde, sondern verborgen bliebe, aber der Hunger seiner Geldiger würde nie gestillt werden.
Der Schmetterling hat ferner einen heimlichen Abfluss für seine Unreinheit. So zeigt dieser (Bischof) ungehemmt seinen Zorn und seine Ungeduld, so dass seine heimlichen Dinge doch für andere sichtbar sind. Ferner ist seine Liebe so gering, wie der Leib des Falters klein ist. Denn was ihm an Größe in der Liebe fehlt, das wird ganz durch die Breite und Spannweite der Flügel wettgemacht.“

Die Braut erwiderte: „Wenn er nur einen Funken Liebe hat, ist immer Hoffnung für sein Leben und seine Erlösung.“ Und die Mutter entgegnete: „Was für eine Liebe hatte Judas, als er – nachdem er seinen Herrn verraten hatte, sagte: „Ich habe gesündigt, denn ich habe unschuldig Blut verraten?“ Er wollte sicher, dass es so aussehen sollte, als ob er Liebe gehabt hätte, aber er hatte keine.“