4. Kapitel

Gottes Mutter sprach mit diesen Worten zur Braut des Sohnes: ”Du weinst darüber, dass Gottes Liebe zum Menschen sehr groß ist, aber die Liebe der Menschen zu Gott dagegen so klein. Ja, so ist es sicher. Denn wer ist der Herr oder Bischof, der nicht ein größeres Verlangen danach hat, die Herrschaft, Ehre von der Welt und Reichtümer zu gewinnen, als den Armen mit dem Werk seiner eigenen Hände beizustehen? Und deshalb sollen, da die Herren und die Bischöfe nicht zum Hochzeitsfest kommen wollen, das für alle im Himmel bereitet ist, stattdessen die Armen und Kranken kommen, wie ich dir mit einem Gleichnis zeigen will.

Es wohnte in einer Stadt ein weiser, stattlicher und reicher Bischof. Er wurde wegen seiner Schönheit und Weisheit gerühmt, aber er dankte Gott nicht, wie er sollte, der ihm diese Weisheit geschenkt hatte. Er wurde auch wegen seiner Reichtümer gepriesen und geehrt, und deshalb machte er viele Geschenke, um weltliche Gunst zu gewinnen. Er wollte auch noch viele Dinge haben, um noch großzügiger Gaben schenken zu können und noch mehr geehrt zu werden.

Dieser Bischof hatte in seinem Stift einen gelehrten Kleriker, der bei sich dachte: „Dieser Bischof liebt Gott weniger, als er sollte. Sein ganzes Leben ist auf weltliche Dinge gerichtet. Daher würde ich, wenn es Gott gefällt, gern sein Bischofsamt haben, um dadurch Gott zu ehren. Ich begehre das nicht um der Welt willen, denn die Ehre der Welt ist nichts anderes als Luft, auch nicht wegen der Reichtümer, denn die sind schwer wie die schwerste Bürde, auch nicht aus körperlicher Bequemlichkeit oder zu meinem eigenen Nutzen, denn es steht mir nur zu, eine vernünftige Ruhe zu haben, so dass der Leib vermag, in Gottes Dienst zu stehen – nein, ich begehre das nur um Gottes Willen.

Und wenn ich auch höchst unwürdig bin, irgendeine Ehre zu besitzen, würde ich doch gern die Last des Bischofsamtes übernehmen, um desto mehr Seelen für Gott zu gewinnen, desto mehr mit meinem Wort und meinem Beispiel zu gewinnen, und desto mehr durch die Besitztümer der Kirche zu unterstützen. Denn Gott weiß, dass ein schwerer Tod und eine bittere Pein mir lieber zu ertragen wäre, als das Bischofsamt. Ich kenne ja die Pein ebenso wie andere, aber der, der das Bischofsamt begehrt, begehrt doch ein gutes Werk.

Deshalb begehre ich gern die Ehre eines Bischofs und die Bürde seines Amtes, aber ebenso, wie ich den Tod herbeisehne. Nach Ehre strebe ich, um dadurch Viele erlösen zu können, und die Bürde erstrebe ich zu meiner eigenen Erlösung und aus Liebe zu Gott und den Seelen, und nur damit ich die Mittel der Kirche freigebiger unter den Armen verteilen kann, die Seelen freier unterweisen kann, die Irrenden mit größerer Zuversicht anleiten kann, meinen Leib vollkommener kasteien und mich selbst gewissenhafter beherrschen kann, zu Beispiel für andere.“

Dieser Domherr tadelte seinen Bischof klug und heimlich. Der Bischof wurde jedoch über die Worte verärgert, tadelte den Domherrn unklug und öffentlich und prahlte damit, zu allem zu taugen und maßvoll zu sein.
Der Domherr weinte über die Übertretungen des Bischofs und ertrug geduldig seine Vorwürfe, aber der Bischof verhöhnte das liebevolle Verhalten und die Geduld des Domherrn und sprach so schlecht über ihn, dass der Domherr getadelt wurde und für närrisch und lügnerisch angesehen wurde, aber der Bischof für gerecht, klug und umsichtig.

So ging es eine Zeitlang. Der Bischof und der Domherr starben und wurden vor Gottes Richterstuhl gerufen. Vor Gottes Augen und im Beisein der Engel war ein goldener Thron aufgestellt, und vor dem Thron lagen eine Mitra und ein vollständiges Ornat für einen Bischof. Viele Teufel folgten dem Domherrn und wollten gern eine Todsünde bei ihm finden, aber beim Bischof waren sie so sicher, wie der Fisch bei seinen Jungen, die er lebend unter den stürmischen Wogen in seinem Bauch verbirgt.

Viele Klagen wurden gegen den Bischof vorgebracht, nämlich warum und mit welcher Absicht er das Bischofsamt angenommen habe, warum er hochmütig über das Gute der Seelen gewesen sei, wie er die Seelen, die ihm anvertraut waren, geleitet habe, und wie er Gott für die Gnade belohnt habe, die er ihm erwiesen hatte.
Als der Bischof nichts Rechtes auf die Klagen antworten konnte, sagte der Richter: „Man soll Dreck anstatt der Mitra auf das Haupt setzen, Teer auf seine Hände streichen statt Handschuhe, Schmutz auf seine Füße anstatt Schuhe, und die Lumpen einer Dirne statt eines Hemds und des bischöflichen Leinengewandes. Anstelle von Ehre soll er Schande empfangen, und die wilde Schar der Teufel soll seine zahlreiche Dienerschaft werden.“

Dann setzte der Richter hinzu: „Auf das Haupt des Domherrn soll eine Krone, strahlend wie die Sonne, gesetzt werden, an seine Hände vergoldete Handschuhe, an seine Füße Schuhe, und über seine Kleider soll er in allen Ehren mit dem Bischofsornat bekleidet werden.“ Und als man ihn mit dem Bischofsornat bekleidet hatte, wurde er gleich von der ganzen himmlischen Heerschar ehrenvoll als ein Bischof vor den Richter geführt. Aber der Bischof wurde weggeführt wie ein Dieb, mit einem Strick um den Hals, und der Richter wandte seine Augen der Barmherzigkeit von ihm ab, und dasselbe taten alle Heiligen.

Sieh, wie viel für ihren guten Willen auf geistliche Weise die Würde erhalten, die von denen verachtet wird, die leiblich dazu berufen sind! All dies geschah in einem Augenblick vor Gott, aber deinetwegen ist es in Worten dargestellt. Vor Gott sind ja tausend Jahre wie eine Stunde.
Täglich geschieht es, dass Gott, weil Bischöfe und Herren nicht das Amt verwalten wollen, zu dem sie berufen sind, sich arme Priester und Küster erwählt, die nach bestem Gewissen leben und zu Gottes Ehre gern die Seelen gewinnen würden, wenn sie könnten, und soviel wie möglich tun würden – und dafür die Plätze einnehmen werden, die für die Bischöfe bereitet waren. Gott ist nämlich so wie der, der eine Goldkrone vor seiner Haustür aufhängt und denen, die vorbeigehen, zuruft: „Ein jeder, von welchem Stande er auch sein mag, kann diese Krone erwerben, und wer am schönsten mit Tugenden bekleidet ist, der wird sie gewinnen.“

Du sollst auch wissen, dass – wenn die Bischöfe und Herren nach den Erfordernissen irdischer Weisheit weise sind – Gott doch weiser ist als sie, und dies auch auf geistliche Weise, und er erhöht die Demütigen und billigt nicht die Hochmütigen. Du sollst aber auch wissen, dass dieser gepriesene Domherr nicht etwa selbst sein Pferd striegelte, wenn er fahren sollte, um zu predigen oder zu seiner Arbeit, und nicht selbst das Essen zubereitete, wenn er essen wollte, sondern er hatte Dienstleute und das Notwendige für einen vernünftigen Unterhalt, und er hatte auch Gelder – aber nicht, um eine Gewinnsucht zu fördern. Denn auch wenn ihm alle Besitztümer der Welt zugefallen wären, hätte er keinen Pfennig ausgegeben, um den Bischofstitel zu gewinnen. Er hätte auch nicht für die ganze Welt auf das Bischofsamt verzichtet, wenn es Gott gefallen hätte, es ihm zu geben, sondern er richtete seinen ganzen Willen auf Gott, bereit, zu Gottes Ehre selbst geehrt zu werden, und für seine Liebe zu Gott und seine Gottesfurcht erniedrigt zu werden.“