114. Kapitel

Der Sohn spricht: „Hüte dich vor den Braten des Teufels, die er im Feuer der Geilheit und Begierde anrichtet. Wenn man etwas Fett ins Feuer bringt, muss etwas davon herabtropfen. So rühren Sünden auch vom Umgang und der Gesellschaft mit Weltmenschen. Auch wenn du nicht die Gewissen von allen kennst, verraten doch die äußeren Zeichen, was sich drinnen in der Seele verbirgt.“

Weiter sagt die Mutter: „Jede Handlung von dir soll vernünftig und deine Absicht richtig sein, so dass du alles mit der Absicht tust, dass Gottes Ehre vollkommen werde, und der Nutzen für die Seele vor den Genuss des Leibes gesetzt wird. Viele dienen nämlich Gott mit ihrem Tun, aber die verkehrte Absicht verdunkelt all das Gute.
Du kannst das besser durch ein Gleichnis verstehen.

Es gibt ein Tier, das heißt Bär. Wenn er von Hunger geplagt wird und die ersehnte Beute sieht, setzt er seinen eigenen Fuß auf die Beute und sucht, wo er den anderen Fuß fest und sicher aufsetzen kann, so dass ihm die gefangene Beute nicht entgeht, sondern er sie fressen kann und damit tun kann, was er will. Der Bär sieht unverwandt auf seine Beute und kümmert sich nicht um Gold oder wohlriechende Kräuter und Bäume, sondern nur um einen verborgenen und sicheren Platz oder ein Versteck, so dass er die Beute, die er mit Beschlag belegt hat, sicherer und zuverlässiger behalten kann.

So dienen mir viele mit Gebeten und Fasten, aber nur aus Furcht, denn sie denken an die gefährliche Strafe und meine große Barmherzigkeit. Sie suchen mir mit äußerlichen Werken zu gefallen, aber mit ihrem Willen handeln sie gerade gegen das Gebot meines Sohnes. Denn ebenso, wie es beim Bären der Fall ist, besteht ihr ganzes Tun und Trachten aus der Lust des Fleisches und weltlicher Gewinnsucht, aber da sie den Verlust des Lebens und die kommende Strafe fürchten, dienen sie mir deshalb, dass sie nicht die Gnade verlieren und der Pein anheim fallen.

Und das tritt sehr deutlich hervor, denn sie betrachten nie die Pein meines Sohnes, die wie das kostbare Gold ist, und ahmen nicht das Leben der Heiligen nach, das wie kostbare Steine ist, sie betrachten nicht die Gaben des Heiligen Geistes, die wie duftende Kräuter sind, und sie verzichten nicht auf ihren eigenen Willen, um den Willen meines Sohnes zu tun, sondern stützen sich nur auf mich, um desto sicherer sündigen zu können und auf der Welt Erfolgt zu haben.

Ihre Belohnung wird kurz werden, denn ihr Tun ging aus einem kalten Herzen hervor. Und wie der Bär, nachdem er die Beute aufgefressen hat, nicht nach dem festen Platz für seinen Fuß fragt, so wird auch – wenn die Stunde des Endes kommt und die Wollust des Fleisches aufgehört hat, mein fester Platz ihnen wenig nützen, denn sie haben ihren Willen nicht aufgegeben, um meinen zu tun, und sie haben mich nicht aus Liebe, sondern aus Furcht gesucht. Aber wenn ihr Wille sich vollständig gebessert hat, so wird ihr Tun auch schnell erneuert werden, und wenn das Handeln fehlt, wird ihnen der gute Wille als Tat angerechnet werden.“

Zusatz
Dieser war Propst und lebte nach seinem eigenen Wohlgefallen, aber als er nach Rom gekommen war, besserte er sehr lobenswert sein Leben. Als er Monte Gargano und die Reliquien des hl. Nikolaus besucht hatte, kehrte er zur Frau Birgitta zurück, deren Rat er strengt befolgte. Er sagte u.a., dass er sich sehr wunderte, warum die große und berühmte Stadt Sipontum, wo so viele Leiber der Heiligen begraben liegen, zerstört wurde.

Am folgenden Tag offenbarte sich Gottes Sohn und sagte zu ihr: „Dein Freund wundert sich über die Stadt, die zerstört worden ist. Wahrlich, meine Tochter, dies ist wegen der Sünden der Einwohner geschehen; vielleicht, dass auch andere Städte eine solche Strafe verdient haben. In Sipontum wohnte ein Freund von mir, der eine vollkommene Liebe zu mir hatte, ständig die Unsitten der anderen tadelte und bekämpfte und, als er ihre Verhärtung sah, mich unter Tränen bat, dass der Platz lieber veröden sollte, als dass so viele Seelen täglich in Gefahr schwebten.
Ich sah sein Weinen, und dass niemand sich aufrichtig bemühte, mich zu besänftigen, und deshalb ließ ich es zu, dass das geschah, wovon man jetzt reden hört.“ Sie sagte: „O Herr, es ist beklagenswert, dass auch die Gebeine und Leiber vieler guter Menschen dort wie unrein und ohne Schutz liegen.“

Christus antwortete: „So wie ich die Seelen meiner Auserwählten in mir selbst habe, so sorge ich mich auch um die Reliquien meiner Freunde, die mein Kleinod sind, bis sie einst die doppelte Kleider empfangen werden, die ihnen versprochen sind.“
Frau Birgitta fragte weiter: „O mein liebster Herr, ich glaube, dass die Päpste Sipontum viele Gnadengaben und Sündenerlasse verliehen haben. Sind nun auch diese Gnadengaben ausgelöscht, wenn die Mauern abgerissen sind?“ Christus erwiderte: „Welcher Platz ist heiliger als Jerusalem, wo ich, Gott selbst, meine Spuren eingedrückt habe? Und welcher Platz ist nun mehr verachtet?

Es ist ja von den Ungläubigen bebaut und zertreten. Doch finden die, die nach Jerusalem kommen, dieselbe Gnade und Sündenvergebung wie früher. Ebenso ist es mit diesem Platz; alle, die mit Liebe und vollkommenem Willen dahin kommen, sollen an derselben Gnade und demselben Segen teilhaben, wie ihn diese Stadt zur Zeit ihrer Blüte hatte, auf Grund ihres Glaubens und ihrer Liebe und der Mühe, die sie sich gemacht haben, um dorthin zu kommen.“