115. Kapitel

Der Sohn spricht: „Du bist wie ein Rad, das dem vorgehenden folgt. So musst du meinem Willen folgen. Ich sprach vorher mit dir von einem, dessen Seele der Teufel besitzt. Nun werde ich dir sagen, in welchem Gliede er gefangen ist. Ich bin wie ein Mann, der zu seinem Scharfrichter sagt: „Es gibt drei Verwahrungsräume in deinem Haus. Im Ersten befinden sich die, die es verdienen, das Leben zu verlieren, im zweitens die, die ein Glied verlieren sollen, im dritten die, die gegeißelt und ausgepeitscht werden sollen.“

Der Scharfrichter sagt zu ihm „Herr, wenn einige das Leben verlieren sollen, andere verstümmelt und gegeißelt werden sollen – warum wird dann das Gericht aufgeschoben? Ihr Schmerz würde vergessen werden, wenn sie schneller verurteilt würden.“ Der Hausherr antwortet: „Das, was ich tue, mache ich nicht ohne Grund. Die, die das Leben verlieren sollen, sollen ihre Hinrichtung eine Zeitlang aufgeschoben bekommen, damit die Guten ihr Unglück sehen und noch besser werden, und die Bösen von Furcht ergriffen und sich fortan in Acht nehmen.

Die, die verstümmelt werde sollen, müssen notwendigerweise erst Trübsal empfinden, so dass sie in ihrem Herzen das Böse spüren, das sie getan haben, und über ihre Verbrechen trauern. Und die, die gegeißelt werden sollen, müssen auch durch Trauer geprüft werden, so dass sie sich selbst in der Trauer erkennen, nachdem sie sich zur Zeit der Freude vergessen haben, und sich umso gewissenhafter davor hüten, so etwas in Zukunft wieder zu begehen, je schwerer es für sie war, aus der Gefangenschaft frei zu werden.“

Ich bin dieser Hausherr. Ich habe den Teufels als Strafrichter, um die Bösen zu bestrafen, je nach Verdienst eines jeden. Er hat Macht über die Seele dieses Mannes bekommen, und in welchem Glied, das werden ich dir nun zeigen. Denn so wie der Körper äußerlich in Gliedern geschaffen ist, so muss die Seele – geistlich gesehen – inwendig beschaffen sein. So wie der Körper Knochenmark, Knochen und Fleisch hat, Blut im Fleisch und Fleisch im Blut, so muss die Seele drei Dinge haben, nämlich Gedächtnis, Gewisse und Verstand.

Es gibt manche, die hohe Dinge in den Schriften verstehen, aber keine Vernunft haben, ihnen fehlt ein Glied. Es gibt andere, die ein vernünftiges Gewissen haben, aber keine Einsicht. Andere haben Einsicht, aber keine Erinnerung, und diese sind schwer krank. Aber eine gesunde Seele haben die, deren Vernunft, Gedächtnis und Einsicht gesund sind.
Der Körper hat ferner drei Verwahrungsräume. Der erste ist das Herz, über dem ein dünnes Häutchen liegt, das verhindert, dass irgendetwas Unreines ins Herz hineinkommt. Denn wenn die kleinste Infektion das Herz erreicht hat, würde der Mensch sofort sterben. Der andere Verwahrungsraum ist der Magen. Der dritte sind die Eingeweide, wo die Schadstoffe ausgeschieden werden.

So muss auch die Seele in geistlicher Hinsicht drei Verwahrungsräume haben. Der erste ist die Sehnsucht nach Gott; sie muss so brennend sein, dass die Seele nichts inniger ersehnt als mich, ihren Gott. Sonst wird die Seele gleich angesteckt, wenn irgendeine böse Begierde, sie mag noch so unbedeutend sein – in sie eindringt. Der zweitens, der dem Magen entspricht, ist das kluge Einrichten der Zeiten und der Taten. Denn so wie das Essen im Magen verdaut wird, so soll jede Zeit, jeder Gedanke und jede Tat nach göttlicher Anordnung geordnet, nützlich und weise geplant werden. Der dritte Verwahrungsraum, der den Eingeweiden entspricht, ist die göttliche Zerknirschung. Dadurch wird aus Unrein fortgespült, und die Kost der göttlichen Weisheit schmeckt besser.

Ferner hat der Leib drei Dinge, mit denen er sich hilft, nämlich den Kopf, die Hände und die Füße. Das Haupt bezeichnet die göttliche Liebe. Denn wie sich im Kopf alle fünf Sinne befinden, so schmeckt der von göttlicher Liebe entzündeten Seele all das lieblich, was von Gott gesagt, gehört und gesehen wird, und das, was von ihm befohlen wird, das wird treu erfüllt. Ja, wie der Mensch ohne Haupt tot ist, so ist die Seele ohne Liebe tot für Gott; Gott ist ja ihr Leben.

Die Hände der Seele bezeichnen den Glauben. Denn so wie es mehrere Finger an der Hand gibt, so gibt es im Glauben mehrere Artikel, obwohl der Glaube nur ein einziger ist. Durch den Glauben wird jeder göttliche Wille (des Menschen) vervollkommnet, und er muss mit jeder guten Tat zusammenwirken. Denn wie die Tat nach außen hin mit den Händen verwirklicht wird, so wirkt der Heilige Geist inwendig durch den Glauben. Dieser Glaube ist gewiss die Basis aller Tugenden, denn wo kein Glaube ist, da ist die Liebe und die gute Tat auch nichts.

Die Füße der Seele ist die Hoffnung, womit die Seele zu Gott hindrängt. Denn wie der Körper mit Hilfe der Füße voranschreitet, so naht sich die Seele durch die göttliche Sehnsucht und die Schritte der Hoffnung. Aber die Haut, die alle Glieder bedeckt, bezeichnet den göttlichen Trost, der die Seele tröstet, den nichts in seiner Ruhe erschüttern kann. Und wenn der Teufel auch manchmal Erlaubnis erhält, das Gedächtnis und manchmal die Hände und Füße zu beunruhigen, so verteidigt Gott doch immer die Seele wie ein Kämpfer und tröstet sie wie ein liebvoller Vater und heilt sie wie ein Arzt, damit sie nicht sterben soll.

Die Seele des Mannes, über den ich zu dir sprach, war in Gefangenschaft, denn sie verdiente es, die Hände wegen ihres unbeständigen Glaubens zu verlieren; sie hatte nämlich nicht den rechten Glauben. Aber jetzt ist die Zeit des Erbarmens gekommen, und das aus zwei Gründen. Erstens um meiner Liebe willen, zweitens um der Gebete meiner Auserwählten willen. Daher soll mein Freund die vorher genannten Worte über ihn lesen, und drei Dinge mag er selber tun: Erstens das zu Unrecht erworbene Gut zurückzugeben, zweitens sich von der römischen Kurie Sündenerlass für seinen Ungehorsam zu verschaffen, drittens es unterlassen, meinen Leib im Altarsakrament für gewonnen Ablass zu empfangen.