13. Kapitel

Der Sohn (Jesus Christus) spricht: „Du möchtest wissen, warum ich den nicht höre, von dem ich sehe, dass er viele Tränen vergießt und den Armen um meiner Ehre willen vieles gibt. Erstens antworte ich dir: Da, wo zwei Quellen zusammenfließen, geschieht es oft, dass sie in einen einzigen Wasserlauf zusammenfließen, und dass das Wasser der einen Quelle, das trübe und unsauber ist, Schmutz absondert, und das Wasser der anderen, vorher so reinen Quelle verdirbt. Wenn dies schmutzig geworden ist – wer kann es dann trinken?

So ist es auch mit vieler Leute Tränen. Mancher Leute Tränen entstehen nämlich manchmal aus Nachgiebigkeit für die Neigung der Natur, und manchmal aus weltlicher Trübsal oder Furcht vor der Hölle. Solche Tränen von Menschen sind unrein und stinkend, denn sie entspringen nicht aus Liebe zu Gott. Aber die Tränen sind mir lieb, die aus der Betrachtung von Gottes Wohltaten, der eigenen Sünden und aus Liebe zu Gott hervorgehen. Solche Tränen erheben die Seele vom Irdischen zum Himmel und lassen den Menschen zum ewigen Leben neugeboren werden.

Es gibt nämlich zwei Arten von Geburten, die körperliche und die geistliche. Die körperliche gebiert den Menschen aus Unreinheit zur Unreinheit. Er beweint die Schäden des Leibes und erträgt fröhlich die Mühen der Welt. Ein Sohn solcher Geburten ist nicht ein Sohn der Tränen, der die Schäden der Seele beweint und sich Sorgen darum macht, dass der Sohn Gott nicht beleidigt. Eine solche Mutter ist mit ihrem Sohn enger verwandt als die, die auf fleischliche Weise gebiert, denn durch eine solche Geburt wird das selige Leben erworben.

Auf das zweite, nämlich dass er den Armen Almosen gibt, antworte ich: Wenn du deinem Sohn für das Geld deines Dieners einen Rock kaufen würdest, würde da der Rock mit Recht dem gehören, der das Geld besaß? Ja, gewiss. So ist es auch im geistlichen Bereich. Denn wer seine Untergebenen oder seinen Nächsten bedrückt, damit er mit deren Geldern den Seelen seiner Lieben helfen kann, der reizt mich mehr zum Zorn, als dass er mich besänftig, denn ungerecht weggenommene Güter nützen nur dem, der diese Güter vorher zu Recht besessen hatte – und nicht denen, für die sie ausgegeben werden.

Aber weil dieser Mann dir Gutes getan hat, müssen ihm auch geistlich und körperlich Wohltaten erwiesen werden, geistliche dadurch, dass für ihn Gebete an Gott gerichtet werden, denn niemand kann glauben, wie sehr Gebete von Demütigen Gott gefallen, was ich dir durch ein Gleichnis zeigen werde. Wenn jemand einem König ein großes Silberstück anbieten würde, würden die, die das gesehen haben, sagen: „Das ist eine große Gabe.“ Wenn jemand dagegen ein Pater noster für den König lesen wurde, würde er verhöhnt werden.

Vor Gott ist es umgekehrt, denn wenn jemand ein Pater noster für die Seele eines anderen betet, so ist das Gott wohlgefälliger, als ein großes Geldstück. Das geht klar daraus hervor, was mit dem guten Gregorius geschah. Dieser erhob ja durch sein Gebet den heidnischen Kaiser zu einem höheren Amt.
Weiter sollst du ihm diese Worte sagen: „Nachdem du Gutes an mir getan hast, bete ich zu Gott, der alle belohnt, dass er dir nach seiner Gnade vergelten möge.“ Sag weiter zu ihm: „Lieber Freund, zu einem rate ich dir, und um eins bitte ich dich. Ich rate dir, das Auge deines Herzens zu öffnen und die Unstetigkeit und Eitelkeit der Welt zu betrachten. Denk weiter daran, wie die Liebe zu Gott in deinem Herzen erkaltet ist, und wie schwer die Strafe ist, und wie schrecklich das kommende Gericht.

Erwecke die Gottesliebe in deinem Herzen zum Leben, richte all deine Zeit, dein zeitliches Gut, deine Taten, Wünsche und Gedanken auf Gottes Ehre hin, vertraue deine Kinder Gottes Anordnung und seiner Vorsehung an und lass deine Gottesliebe sich nicht ihretwegen verringern.
Zweitens bitte ich, dass du in deinen Gebeten bewirken möchtest, dass Gott, der alles kann, dir Geduld schenken und dein Herz mit seiner gesegneten Liebe erfüllen möge.“