133. Kapitel

Die Mutter (Maria) spricht: „So lüstern waren die Feinde meines Sohnes nach seinem Blut, dass sie ihn sogar noch verletzten, nachdem er tot war. Halte dich nun bereit, denn mein Sohn kommt mit einer großen Heerschar, um mit dir zu sprechen.“

Danach kam er und sagte: „Ich habe mich vorher in einem Gleichnis mit Mose vergleichen. Als dieser das Volk hinausführte, stand das Wasser zur Rechten und zur Linken wie eine Mauer. Ich bin gewiss dieser Mose im Gleichnis, denn ich habe das Christenvolk hinausgeführt, d.h. ihm den Himmel aufgetan und ihm gezeigt, welchen Weg sie gehen sollten, und habe sie vom Pharao befreit, d.h. vom Teufel, der sie unterdrückte.

Sie gingen wie zwischen zwei Meeresmauern zur Rechten und zur Linken, von denen die eine nicht weiter vorrücken sollte und die andere nicht zurückweichen sollte, sondern beide sollten in dieser Weise in einer festen und unbeweglichen Lage bleiben. Diese beiden Mauern waren die zwei Gesetze. Die erste war das alte Gesetz, das nicht länger gelten sollte, die zweite war das neue Gesetz, das nicht zurückgewiesen werden sollte.

Zwischen diesen beiden Mauern, nämlich den Gesetzen, die fest und unbeweglich standen, ging ich zum Kreuz wie durch das Rote Meer, denn von meinem Blut wurde mein ganzer Körper rot gefärbt. Das Holz, das vorher weiß war, färbte sich rot, und auch der Speer wurde rot. Ich habe mein gefangenes Volk erlöst, damit es mich lieben sollte. Jetzt dagegen verachtet mich Israel, d.h. die schlechten Priester, und sie lieben einen anderen Gott.

Sie lieben nämlich, wie ich vorhin sagte, durch Verlangen nach der Welt, die ihnen lieb ist, ein goldenes Kalb, das ihre Wollust erweckt und die Flamme des Begehrens in ihnen entzündet. Die steht mit den Füßen und dem Haupt und der Gurgel der Schwelgerei fest und unbeweglich da. Sie haben mich auch als Abgott und schließen mich ein, so dass ich nicht hinausgehen kann. Sie opfern mir Weihrauch, aber der gefällt mir nicht, denn sie tun das nicht für mich, sondern für sich selber. Sie beugen die Knie ihres Gehorsams und ihres Willens für mich, aber doch für ihr Begehren, indem sie wünschen, dass ich ihnen etwas von zeitlichem Gut bescheren möge. Sie rufen auch, aber meine Ohren hören es nicht, denn sie rufen nicht in Frömmigkeit und rechter Absicht.

Hört nun, meine Heerschar und alle Engel! Ich habe die Priester vor allen Engel und Gerechten auserwählt; nur ihnen habe ich die Macht gegeben, meinen Leib mit den Händen anzufassen. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich sehr wohl einen Engel zu diesem Amt auswählen können, aber ich habe die Priester so geliebt, dass ich ihnen diese große Ehre verlieh, und ich habe angeordnet, dass sie gleichsam in sieben Ordnungen vor mir stehen sollen. Sie sollen nämlich geduldig sein, wie Schafe, standhaft wie Mauern mit festem Fundament, mutig wie Ritter, klug wie Schlangen, keusch wie eine Jungfrau, rein wie ein Engel, brennend vor Liebe wie die Braut nach dem Lager ihres Gatten.

Nun haben sie sich dagegen auf niedrige Weise von mir abgewandt. Sie sind nämlich wild wie raubgierige Wölfe, die in ihrem Hunger und ihrer Raubgier vor niemandem zurückweichen, auf keine Rücksicht nehmen und vor nichts zurückscheuen. Zweitens sind sie unbeständig, wie ein Stein in einer losen Mauer, denn sie haben kein Vertrauen zu ihrem Fundament, d.h. zu Gott, dass er ihnen nicht das Notwendige geben kann und sie nicht versorgen will. Drittens wohnen sie im Dunkel wie Diebe; sie gehen im Dunkel der Lastern umher und sind nicht kühn wie Ritter, für Gottes Ehre zu streiten, oder ein mannhaftes Werk in Angriff zu nehmen. Viertens stehen sie da wie ein Esel, der seinen Kopf zu Boden senkt. Sie sind so dumm und unklug, denn sie denken immer nur an das Irdische und das Augenblickliche, aber niemals an das Kommende.

Fünftens sind sie unkeusch wie Huren; sie treten mit unzüchtiger Kleidung zu mir hin und haben alle ihre Glieder bereit zu einem unzüchtigen Leben. Sechstens sind sie unbedeckt mit Teer befleckt, und alle, die ihnen nahen, werden besudelt. Siebentens sind sie abscheulicher als Spucke, und es wäre für mich leichter und angenehmer, an ein Gespei heranzutreten, als mit ihnen Belustigungen zu haben.

Ja, sie sind so verabscheuenswert, dass die ganze Heerschar des Himmels sie verabscheut. Denn was ist abscheulicher, als wenn jemand seinen bloßen Mund an seine unteren Glieder wendet, seinen unreinen Dreck isst und sein unreines Wasser trinkt? So abscheulich sind sie in meinen Augen. Wenn sie sich in die Priestergewänder kleiden, die mit den Kleidern der Seele zu vergleichen sind, da diese Kleider bedeuten, dass die Seele so sein muss, so kleiden sie sich, wie es wirkliche Verräter tun.

Es passiert ja, dass der, der dem Gegner seines Herrn Treue gelobt hat, alle seine Waffen stumpf macht, wenn er mit seinem Herrn gegen diesen kämpfen muss, so dass die Waffen nicht dem Gegner schaden. So handeln diese Priester: Wenn sie sich die Priestergewänder anziehen, die mit den Kleidern der Seele zu vergleichen sind, und mit denen sie sich gegen den Teufel wehren sollten, so sind sie alle abgestumpft und kraftlos, so dass sie dem Teufel nicht schaden können, und er sie auch nicht fürchtet.

Aber nun kannst du fragen: Auf welche Weise? Ja, wenn sie sich die Waffen der Enthaltsamkeit anlegen, sind diese durch Lüsternheit abgestumpft, und deshalb verletzen sie den Teufel nicht. Wenn sie aber die Waffen der Liebe anlegen, schaden sie ihm damit auch nicht, denn die sind durch Bosheit abgestumpft. Diese Waffen, d.h. die Kleider, mit denen sie sich schmücken, dienen nicht zur Verteidigung ihres Herrn, sondern nur zum Anschauen, wie Verräter das eine tun und etwas anderes zeigen.

So, meine Freunde, treten die verdammten Priester heuchlerisch wie Verräter zu mir hin. Ich, der euer Gott und Herr bin und Herr aller geschaffenen Wesen im Himmel und auf Erden, ich komme doch zu ihnen und Liege vor ihnen auf dem Altar als wahrer Gott und wahrer Mensch, nachdem sie die Worte „Hoc est corpus meum“ ausgesprochen haben. Ich komme zu ihnen wie ein Bräutigam, damit ich die Freude meiner Göttlichkeit mit ihnen habe – aber ich finde den Teufel in ihnen. Deshalb gehe ich mit meiner Göttlichkeit und meiner Menschengestalt von ihnen fort, wenn sie mich an ihren Mund führen, und der Teufel, der bei der Gegenwart des Herrn erschreckt geflohen ist, wendet sich froh zurück.

Hört nun auch, meine Freunde, welche Würde ich den Priestern vor allen Engeln und Menschen beschert habe. Ich habe ihnen fünf Dinge gegeben. Erstens die Macht, im Himmel und auf Erden zu binden und zu lösen. Zweitens, dass sie aus einem schlimmsten Feinde meinen Freund machen sollen, und aus einem Teufel einen Engel von mir. Drittens die Macht, meine Worte zu predigen. Viertens die Macht, meinen Leib liturgisch zu weihen, was kein Engel tun kann. Fünftens meinen Leib mit Händen zu berühren, was keiner von euch wagen würde, wenn ich vor euch läge.

Aber nun klage ich darüber, dass sie fünf Dinge tun. Erstens, dass sie denen die Hölle auftun und den Himmel verschließen, in den sie doch kommen sollen. Zweitens, dass sie aus meinem Freund meinen Feind machen, und dass sie denen, die ihnen mit einer Wunde nahen, zwei Wunden zufügen, denn wenn jemand die dreiste Lebensart der Priester sieht, denkt er bei sich selbst: „Wenn die es so machen, kann ich es noch mehr so machen.“

Drittens, dass sie meine Worte zunichte machen, ihre Lüge noch befestigen und meine Wahrheit verneinen. Viertens, dass sie mich mit ihrem Mund verkaufen, mit dem sie mich heiligen sollten. Fünftens, dass sie mich noch grausamer kreuzigen, als die Juden. Sieh, wie meine Freunde, die ich auserwählt und geliebt habe, mir vergelten. Ich habe sie mit mir, ja mit meinem Leib vereinigt, und sie lösen unser Band. Daher sollen sie als Verräter, nicht als Priester verurteilt werden, sofern sie sich nicht bessern.“