138. Kapitel

Als dieselbe Person nachts im Gebet wachte, schien es ihr, als ob eine Stimme sprechen würde. Sie ging von einer glänzenden, sonnenähnlichen Kugel aus, und sie sprach folgende Worte zu ihr: „Ich bin Gottes Mutter, denn so hat es ihm gefallen. Ich bin auch Mutter für alle, die in der himmlischen Freude sind. Obwohl die Kleinkinder nach ihrem Willen ihren notwendigen Unterhalt haben, wird ihre Freude doch über ihre Freude hinaus gesteigert, wenn sie das milde Antlitz ihrer Mutter sehen. So gefällt es Gott, allen am himmlischen Hof Freude und Jubel über meine jungfräuliche Reinheit und die Schönheit meiner Tugenden zu schenken, obwohl sie durch die Macht derselben Gottheit alles Gute in unendlicher Fülle haben.

Ich bin auch Mutter für alle die, die im Fegefeuer sind, denn all die Plagen, die sie leiden müssen, um von ihren Sünden gereinicht zu werden, werden jede Stunde in gewissem Ausmaß um meiner Gebete willen gemildert. Es gefällt Gott, dass manche der Plagen, die ihnen nach der Strenge der göttlichen Gerechtigkeit zukommen, gemildert werden.
Ich bin die Mutter all der Gerechtigkeit, die es auf Erden gibt, mein Sohn hat die Gerechtigkeit mit der vollkommensten Liebe geliebt. Und wie die mütterliche Hand stets bereit ist, vor Gefahren zu schützen, um das Herz des Sohnes zu verteidigen, so bin ich ständig bereit, die Gerechten, die auf Erden sind, zu verteidigen und sie vor jeder geistlichen Gefahr zu retten.

Ich bin auch Mutter für alle Sünder, die sich bessern wollen und den Willen haben, nicht mehr gegen Gott zu sündigen, und ich bin gewillt, den Sünder wie eine liebevolle Mutter in meine Verteidigung aufzunehmen, wenn sie sieht, dass ihr nackter Sohn von Feinden angegriffen wird, die scharfe haben. Sollte eine solche Mutter nicht gegen die Gefahren tapfer Widerstand leisten, um ihren Sohn aus den Händen seiner Feinde zu befreien und ihn froh in ihrem Schoß zu bewahren? So handele ich, und so will ich es mit allen Sündern tun, die durch meinen Sohn mit wahrer Reue und mit göttlicher Liebe um mein Erbarmen bitten.

Nun sollst du hören und genau Acht geben auf das, was ich dir von meinen beiden Söhnen sagen will, die ich dir nennen werde. Der erste ist mein Sohn Jesus Christus, der aus einem jungfräulichen Leib geboren wurde, damit er seine Liebe offenbaren und die Seelen erlösen sollte. Um ihretwillen hat er seinen Leib nicht vor Mühen geschont, und sein Blut nicht davor, dass es vergossen würde, und er hat es nicht verschmäht, Schmähungen anzuhören und sich der Qual des Todes zu unterwerfen. Er ist Gott selbst und ist allmächtig in der ewigen Freude.

Der zweite, den ich als meinen Sohn ansehe, ist der, der auf dem päpstlichen Stuhl thront, nämlich Gottes Sitz in der Welt, wenn er Gottes Gebote beachtet und ihn mit vollkommener Liebe liebt. Ich will dir jetzt etwas über den Papst sagen, der Urban heißt. Auf Grund meiner Fürbitte empfing er die Eingebung des Heiligen Geistes, dass er sich durch Italien nach Rom begeben sollte – zu keinem anderen Zweck, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu üben, den katholischen Glauben zu stärken, den Frieden sicherzustellen und so die heilige Kirche zu erneuern.

Wie eine Mutter ihren Sohn zu der Stelle führt, wo es ihr gefällt, indem sie ihm ihre Brüste zeigt, so habe ich den Papst Urban mit meiner Fürbitte und dem Wirken des Heiligen Geistes von Avignon nach Rom geführt, ohne irgendeine leibliche Gefahr. Aber was er gegen mich gemacht? Er wendet mir nun den Rücken und nicht das Gesicht zu und will mir ausweichen, und dazu veranlasst ihn der böse Geist mit seiner Falschheit. Denn er war mit Unlust bei göttlicher Arbeit und liebt seine körperliche Bequemlichkeit. Weiter lockt ihn der Teufel mit weltlichem Genuss, denn sein Vaterland ist ihm nach Art der Weltmenschen übermäßig begehrenswert.

Außerdem wurde er vom Rat weltlicher Freunde verleitet, die mehr auf seine Neigungen und seinen Willen als auf Gottes Ehre und den Nutzen und die Erlösung seiner eigenen Seele achten. Wenn es nun so geht, dass er in das Land zurückkehrt, in dem er zum Papst gewählt wurde, so wird er bald genug einen Schlaganfall oder einen (?Kindpust) bekommen, so dass seine Zähne knirschen und ausfallen. Sein Augenlicht wird trübe und dunkel werden, und die Glieder an seinem ganzen Körper werden zittern.

Die Glut des Heiligen Geistes wird binnen kurzer Zeit bei ihm erkalten und von ihm weichen; die Gebete aller Freunde Gottes, die beschlossen haben, unter Tränen und Rufen für ihn zu beten, werden ermüden, die Herzen werden in der Liebe zu ihm erkalten, und er wird genötigt werden, für zwei Dinge vor Gott Rechenschaft abzulegen: Erstens dafür, was er sich auf dem päpstlichen Thron vorgenommen hat, zweitens dafür, was er von all dem unterlassen hat zu tun, was er zu Gottes Ehre und seiner hohen Majestät hätte tun können.“