139. Kapitel

Eine Person, die nicht schlief, sondern wachte und im Gebet verharrte, wurde im Geist entrückt. Und da schienen alle ihre Körperkräfte zu schwinden, aber ihr Herz wurde von der Glut der Liebe entzündet und jubelte, ihre Seele spürte Trost, ihr Geist wurde von einer göttlichen Kraft bestärk, und ihr ganzes Bewusstsein wurde mit geistlichem Verständnis erfüllt. Sie empfing da folgende Offenbarung.

Sie hörte nämlich eine lieblich klingende Stimme, die zu ihr sagte: „Ich bin die, die Gottes Sohn, den wahren Gott Jesus Christus, geboren hat. ich habe dir früher einige Worte gesagt, die dem Papst Urban mitgeteilt werden sollten, und jetzt will ich dir auch ein paar sagen, die an Papst Gregorius geschickt werden sollen. Aber damit sie besser verstanden werden, will ich sie dir in einem Gleichnis sagen.

Stell dir vor, dass eine sanfte Mutter ihren geliebten Sohn nackt und kalt auf dem Boden liegen sieht, ohne die Körperkräfte zu haben, sich zu erheben. Vor Sehnsucht nach der Fürsorge der Mutter und der Muttermilch weint er mit klagender und wimmernder Stimme. Sie eilt dann aus zärtlicher Liebe und Mitleid mit ihrem Sohn dorthin, und damit er nicht vor Kälte umkommt, hebt sie ihn gleich mit ihrer holden mütterlichen Hand hoch, streichelt ihn zart und erquickt ihn sanft mit der mütterlichen Wärme ihrer Brust und nährt ihn wonnig mit der Milch ihrer Brüste.

So will ich, die Mutter der Barmherzigkeit, mit Papst Gregorius verfahren, wenn er nach Rom und Italien mit dem Vorsatz zurückkehrt, dort zu bleiben und mit Seufzern des Mitleids und mit Tränen das ewige Verderben der Seelen der ihm anvertrauten Schafe und ihre Schäden und schmerzlichen Verluste beweint und sich vornimmt, mit Demut und der Liebe, wie sie für einen Hirten ziemt, den Zustand der Kirche zu erneuern.

Dann werde ich ihn wie eine gute Mutter wie einen kalten und nackten Sohn vom Boden aufheben, d.h. ihn und sein ganzes Herz von aller irdischen Liebe und aller weltlichen Neigung trennen, die gegen Gottes Willen ist, und ihn liebevoll mit mütterlicher Wärme erquicken, d.h. mit der Wärme der Liebe, die in meiner Brust vorhanden ist. Ich werde ihn auch mit meiner Milch, d.h. meiner Fürbitte sättigen, die mit Milch zu vergleichen ist.

O, wie unzählig viele gibt es doch, die von der Milch meiner Fürbitte genährt und lieblich gesättigt werden! Mit dieser Milch will ich ihn sättigen, denn ich will für ihn zum Herrn, meinem Gott, der mein Sohn ist beten, dass er geruht, sich zu erbarmen und seinen Heiligen Geist mit dem Herzblut des Papstes Gregorius zu vereinigen. Dann wird er von wahrer Sättigung so vollkommen erfüllt werden, dass er für nichts anderes auf dieser Welt mehr leben will, als mit all seinen Kräften Gottes Ehre zu erhöhen, so lange er das vermag.

Sieh, nun habe ich ihm die mütterliche Liebe gezeigt, die ich ihm beweisen werde, wenn er gehorcht, denn es ist Gottes Wille, dass er in aller Demut seine Residenz nach Rom verlegt. Und damit er sich nachher nicht mit Unkenntnis entschuldigt, so warne ich ihn mit mütterlicher Liebe und verkünde ihm, dass – wenn er diesem Befehl nicht gehorcht, so wird er ohne Zweifel die Rufe der Gerechtigkeit kennen lernen, d.h. den Zorn meines Sohnes, denn dann soll sein Leben verkürzt werden, und er wird vor Gottes Richterstuhl gerufen werden.

Da wird ihm keine Macht weltlicher Herren helfen können, und die Weisheit und das Wissen der Ärzte wird ihm nichts nützen, und die Luft in seinem Vaterland wird sein Leben nicht verlängern können, wie er sagt. Und wenn er nach Rom kommen sollte, aber das oben Gesagte nicht tut, so wird sein Leben verkürzt werden, und die Ärzte werden ihn nicht helfen können, und er wird nicht nach Avignon zurückkehren dürfen, wo ihm die Luft des Vaterlandes nützen kann, sondern er wird vielmehr sterben.“