142. Kapitel

Heiliger Vater! Die Person, die Eure Heiligkeit gut kennt, wachte im Gebet, und als sie in einer ekstatischen Betrachtung war, sah sie im Geist einen Thron. Auf dem saß ein Mann von unbeschreiblicher Schönheit, ein Herr von unermesslicher Macht. Rund um den Thron herum stand eine große Menge Heiliger und eine unzählbare Schar von Engel. In einigem Abstand von dem, der auf dem Thron saß, stand ein Bischof, in ein bischöfliches Gewand und Schmuck gekleidet.

Der Herr, der auf dem Thron saß, redete mit mir und sagte: „Mir ist von meinem Vater alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben. Und obwohl es dir vorkommt, als ob ich mit einem einzigen Munde redete, so spreche ich doch nicht allein, sondern der Vater spricht wie ich, und ebenso der Heilige Geist; wir drei Personen sind eins in der Substanz der Gottheit.“

Dann sprach er zu dem Bischof und sagte: „Höre, Papst Gregorius XI., die Worte, die ich dir sage, und gib genau Acht auf das, was ich dir sage. Warum hasst du mich so? Warum ist deine Dreistigkeit und Vermessenheit gegen mich so groß? Deine weltliche Kurie plündert ja meine himmlische Kurie. Du Übermütiger beraubst mich meiner Schafe, und du nimmst unrechtmäßig die kirchlichen Güter, die meine eigenen sind, und die Güter derer, die meiner Kirche gehorchen, um sie deinen irdischen Freunden zu geben. Du bemächtigst dich auch in ungerechter Weise der Güter meiner Armen und schenkst und verteilst sie – unpassend genug – unter deine Reichen.

Deine Dreistigkeit und Vermessenheit ist allzu groß, wenn du so gedankenlos meinen Hof betrittst und keine Rücksicht auf das nimmst, was mein eigen ist. Was habe ich dir getan, Gregorius? Ich habe dich geduldig zur höchsten Bischofswürde aufsteigen lassen, und ich habe dir meinen Willen durch Briefe verkündet, die dir auf göttliche Offenbarung hin aus Rom geschickt wurden, und in denen ich dich zur Erlösung deiner Seele ermahnte und deinen großen Verlust voraussagte.

Wie belohnst du mich jetzt für so große Wohltaten? Warum lässt du in deiner Kurie den größten Übermut, eine maßlose Geldgier, eine mir verhasste Geilheit und das hässliche Verderben der abscheulichen Simonie herrschen? Außerdem raubst du mir noch unzählige Seelen. Denn fast alle, die an deinen Hof kommen, schickst du ins Feuer der Hölle, weil du nicht genau darauf achtest, was zu meinem Hof gehört – du, der du der Vorsteher und Hirte meiner Schafe bist.

Es ist deine Schuld, dass du nicht klug darauf achtest, was zu ihrem geistlichen Wohlergehen getan und gebessert werden soll. Und obwohl ich dich nach dem hier Gesagten nach meiner Gerechtigkeit verdammen könnte, so ermahne ich dich doch noch einmal zum Wohlergehen deiner Seele, ja ich ermahne dich, dass du sobald wie möglich an deine Residenz in Rom kommst. Die Zeit magst du selbst näher bestimmen. Du sollst aber wissen, dass – je länger du zögerst – umso mehr wird deine Seele darauf verlieren und alle deine Tugenden sich mindern. Und je schneller du nach Rom kommst, umso schneller wirst du an Tugenden und den Gaben des Heiligen Geistes wachsen und vom göttlichen Feuer meiner Liebe entflammt werden.

Komm also, und zögere nicht! Komm nicht mit deinem üblichen Hochmut und deinem weltlichen Staat, sondern mit Demut und brennender Liebe. Und wenn du so gekommen bist, sollst du alle Laster aus deiner Kurie ausrotten, vertreiben und verjagen. Weise auch die Ratschläge deiner fleischlichen und weltlichen Freund von dir ab und befolge in Demut die geistlichen Ratschläge meiner Freunde. Geh also voran und fürchte dich nicht, steh mannhaft auf und kleide dich vertrauensvoll mit Stärke, mach dich daran, meine Kirche zu erneuern, die ich mit meinem eigenen Blut erlöst habe, so dass sie erneuert werden mag und geistlich in ihren früheren heiligen Zustand zurückversetzt wird, denn jetzt wird eher ein Freudenhaus verehrt, als meine heilige Kirche.

Aber wenn du diesem meinem Willen nicht gehorchst, so kannst du überzeugt sein, dass du vor meinem ganzen himmlischen Hof mit einem solchen Urteil und einer solchen geistlichen Gerechtigkeit schuldig gesprochen wirst, mit der ein Prälat, der abgesetzt werden soll, zeitlich verurteilt und bestraft wird, indem er öffentlich mit Schimpf und Verdammung des heiligen, ehrenvollen Bischofsgewandes entkleidet wird und in Scham und Schande gehüllt wird.
So werde ich mit dir verfahren. Denn ich will dich dann vom himmlischen Hof verweisen, und alles, was nun zu Frieden und Ehre dein ist, wird dir zur Verdammnis und zu ewiger Schande werden. Und ein jeder von den Teufeln der Hölle soll ein Stück von deiner Seele packen obwohl sie unsterblich und unzerstörbar ist, und statt mit Segen, sollst du mit ewiger Verdammnis erfüllt werden.

So lange ich dich, der mir ungehorsam ist, ertrage, so lange sollst du Erfolg haben. Aber, mein Sohn Gregorius, ich ermahne dich noch einmal, dass du demütig zu mir zurückkehrst und meinem, deines Vaters und Schöpfers Rat, gehorchst. Denn wenn du mir in der genannten Weise gehorsam bist, so will ich dich wie ein milder Vater aufnehmen. Schreite also mannhaft auf dem Wege der Gerechtigkeit vor wärts, und es wird dir gut gehen.

Verachte den nicht, der dich liebt, denn wenn du gehorsam bist, werde ich dir Barmherzigkeit erweisen und dich segnen, und ich werde dich auch mit den kostbaren Bischofsgewändern des wahren Papstes bekleiden und schmücken, ja werde dich mit mir selbst bekleiden, so dass du in mir und ich in dir bleiben werde, und du wirst in Ewigkeit verherrlicht werden.“
Nach diesem Gesicht und diesen Stimmen verschwand die Vision.