2. Kapitel

Dann bekam die Braut zwei Waagschalen zu sehen, die über der Erde hingen. Die Spitze, wo sie zusammengebunden waren, ging bis hinauf in die Wolken, und ihre Zirkel drangen durch den Himmel. In der einen Waagschale war ein Fisch, dessen Schuppen scharf wie ein Rasiermesser waren, dessen Augen wie die eines Basilisken waren, dessen Maul wie das eines Giftsprühenden Einhorns war, und dessen Ohren wie der schärfste Speer, ja wie Stahlklingen waren.

In der anderen Waagschale war ein Tier, dessen Fell wie Feuerstein war, dessen gewaltiges Maul lodernde Flammen aussandte, dessen Augenbrauen wie die schärfsten Schwerter waren, dessen äußerst harte Ohren die schärfsten Pfeile abschossen, als ob sie ein straff gespannter Bogen wären.
Dann zeigten sich drei Volksscharen auf der Erde. Die erste war klein, die zweite geringer, die dritte am aller kleinsten. Ihnen rief eine Stimme vom Himmel zu: „O meine Freunde, ich verlange gewaltig nach dem Herzen dieses seltsamen Tieres. Wenn es doch jemanden gäbe, der mir das aus Liebe beschaffen würde! Ebenso sehne ich mich sehr nach warmem Fischblut. Wenn ich bloß einen Menschen finden könnte, der mir das beschaffe!“

Eine Stimme aus den Volkshaufen antwortete wie aus dem Munde aller: „O unser Schöpfer, wie könnten wir dir das Herz eines solchen Tieres geben? Seine Haut ist ja härter als Feuerstein. Wenn wir uns seinem Maul nähern, werden wir von dem Feuer verbrannt, das dort brennt. Wenn wir seine Augen betrachten, durchdringen uns die Funken seiner Pfeile. Und wenn es auch eine Hoffnung gäbe, das Tier zu bekommen – wer könnte aber den Fisch fangen? Seine Flossen und Schuppen sind schärfer als Schwertspitzen. Seine Augen bringen unsere Sehkraft zum Erlöschen. Sein Maul spritzt unheilbares Gift auf uns.“
Die Stimme vom Himmel antwortete und sagte: „Freunde – das Tier und der Fisch scheinen euch unüberwindlich, aber in den Augen des Allmächtigen ist das leicht. Jedem, der ein Mittel sucht, das Tier zu bekämpfen, werde ich vom Himmel Weisheit und Kraft bescheren. Jedem, der bereit ist, für mich zu sterben, will ich mich selbst zur Belohnung geben.“

Die erste Schar erwiderte: „Höchster Vater, du bist der Geber alles Guten. Wir sind deiner Hände Werk. Gern geben wir dir unser Herz zu deiner Ehre. Das übrige, was außerhalb des Herzens ist, müssen wir zum Unterhalt des Leibes und zur Erquickung benutzen. Und da uns der Tod so hart erscheint, die Schwachheit des Fleisches beschwerlich und unser Wissen sehr gering ist, so lenke du uns innerlich und äußerlich, nimm huldreich an, was wir dir schenken, und vergilt uns, so wie es dir gefällt.“
Die zweite Schar entgegnete: „Wir sind uns unserer Schwachheit bewusst und merken die Eitelkeit und Veränderlichkeit der Welt. Deshalb wollen wir dir gern unser Herz geben und legen all unseren Willen in andere Hände, denn wir wollen lieber anderen untertan sein, als das Geringste von der Welt zu besitzen.“

Die dritte Schar gab zur Antwort: „Höre, Herr, da du das Herz des Tieres haben möchtest und nach dem Blut des Fisches dürstest! Gern wollen wir dir unser Herz schenken, und wir sind bereit, für dich zu sterben. Verleih du Weisheit, so werden wir eine Möglichkeit suchen, das Herz des Tieres zu finden!“
Da sagte die Stimme vom Himmel: „Mein Freund, wenn du das Herz des Tieres erlangen willst, so treibe einen spitzen Bohrer mitten durch deine Hände, nimm dann das Augenlid des Walfisches und kleb es mit mit dem stärksten Pech an deine, nimm weiter eine Stahlplatte und binde sie so an dein Herz, dass die breite Oberfläche der Stahlplatte deinem Herzen am nächsten kommt, zieh die Nasenlöcher zusammen, zieh den Atem tief im Halse ein und geh so mit geschlossenem Mund und angehaltenem Atem mutig auf das wilde Tier los. Wenn du zum Tier hinkommst, so fasse es mit beiden Händen an den Ohren. Seine Pfeile werden dir dann nicht schaden, sondern durch die offenen Nasenlöcher in deine Hände dringen.

Geh weiter mit geschlossenem Mund auf das Tier los, und wenn du ihm ganz nah auf den Leib gerückt bist, so blase ihm deinen ganzen Atem ein. Dann werden dir die Flammen des Tieres nicht schaden, sondern werden in das Tier selbst eindringen und es in Brand setzen. Gib genau Acht auf die Schwertspitzen, die aus den Augen des Tieres ragen! Drück sie hart gegen deine eigenen Augen, die mit den Augenlidern des Walfisches bewaffnet sind! Bei dieser Berührung wird das Schwert des Tieres sich entweder biegen oder in sein Herz eindringen.

Gib auch genau Acht, wo das Herz des Tieres schlägt! Befestige die Schneide der Stahlplatte da, so dass sie durch die Haut des Tieres dringt, die wie Feuerstein ist! Und wenn der Feuerstein dann bricht, so sollst du wissen, dass das Tier verendet, und dass sein Herz dann mir gehört. Wenn es ein Pfund wiegt, werde ich dem, der sich bemüht hat, hundert geben. Wenn der Feuerstein nicht bricht, sondern das Tier dem Menschen schadet, so werde ich den verletzten Mann heilen und ihn auferwecken, wenn er tot sein sollte.

Wer mir den Fisch verschaffen will, soll mit einem Netz in Händen an den Strand gehen – einem Netz, das nicht mit Fäden zusammengebunden ist, sondern mit dem kostbarsten Metall. Er soll ins Wasser steigen, aber nicht weiter als bis an die Knie, so dass ihm die Wellen nicht schaden. Und er soll den Fuß fest auf die Stelle setzen, wo fester Boden ist, und wo der Sand ohne Schmutz ist. Dann soll er sein eines Auge zumachen und dieses geschlossene Auge dem Fisch zuwenden, dessen Sehkraft wie die eines Basilisken ist; der wird dann nichts gegen den Mann ausrichten können.

Dieser soll weiter einen Schild aus Stahl auf den Arm nehmen; dann wird der Schlangenbiss ihm nicht schaden. Dann soll er sein Netz so hart und doch so behutsam über den Fisch ausbreiten, dass der Fisch die Netzfäden mit seinen rasiermesserscharfen Flossen nicht zerschneiden aber durch eine Kraftanstrengung daraus entweichen kann. Wenn er den Fisch wahrnimmt, soll er sein Netz hoch über ihn ausbreiten. Wenn er den Fisch 10 Stunden über Wasser hält, stirbt er. Er soll ihn dann zum Strand tragen, ihn mit dem Auge ansehen, das er nicht geschlossen hat, die Hand auf ihn legen, ihm am Rücken öffnen, wo das meiste Blut ist, und ihn so seinem Herrn darbieten. Wenn der Fisch entkommt, an einen anderen Strand schwimmt und dem Mann mit seinem Gift schadet, so bin ich imstande, die Wunde zu heilen. Die Belohnung für das Blut wird nicht geringer, als für das Herz des Tieres.“

Zuletzt sagte Gott: „Diese Waagschalen bedeuten, als wenn jemand sagte: „Schone und dulde! Warte und erbarme dich!“, und als wenn jemand das Unrecht eines anderen sehen würde und ihn ständig ermahnte, mit dem Bösen aufzuhören. So steige ich, Gott, der Schöpfer aller Dinge manchmal wie eine Waagschale zum Menschen nieder, indem ich ihn ermahne, ihn schone und ihn durch Heimsuchungen prüfe. Manchmal steige ich auch auf, indem ich den Sinn der Menschen erleuchte und entzünde und sie mit ungewöhnlicher Gnade beschenke.

Dass das Verbindungsband der Waagschalen bis zum Himmel reicht, das bedeutet, dass ich, der Gott von allen, alle aufrecht erhalte, sowohl Heiden als auch Christen, Freunde wie Feinde, und sie mit meiner Gnade erleuchte und besuche, wenn es auch nur einige geben würde, die auf meine Gnade reagieren würden, und ihren Willen und Begehren vom Bösen abwenden wollten.

Das Tier bezeichnet die, die die heilige Taufe empfangen haben und ins Zeitalter der Vernunft gekommen sind, aber die Worte des Evangeliums nicht befolgen, ohne ihr Herz und ihren Mund dem Irdischen zugewandt haben, ohne an das Geistliche zu denken. Der Fisch bezeichnet die Heiden, die in den Wogen der Begierde Umhärtreiben. Deren Blut ist gering, d.h. ihr Glaube und ihr Verlangen nach Gott ist klein. Daher möchte ich das Herz des Tiers und das Blut des Fisches haben, wenn es nur einige geben würde, die in ihrer Liebe versuchen würden, mir die zu verschaffen.

Die drei Scharen sind meine Freunde. Die erste besteht aus denen, die die Welt verständig benutzen, die zweite aus denen, die ihr Eigenes verlassen und demütig gehorchen, die dritte aus denen, die bereit sind, für Gott zu sterben.“