21. Kapitel

Gesegnet seist du, mein Gott, der dreifaltig und einer ist, dreifach in Personen und einer im wesen. Du bist selbst die Güte und die Weisheit, die Schönheit und die Macht, die Gerechtigkeit und Wahrheit, durch die alles existiert, lebt und erhalten wird. Du bist in Wahrheit wie die Blume, die für sich selbst auf dem Felde wächst, und von der alle, die sich der Blume nahen, einen leiblichen und süßen Geschmack empfangen, Erquickung im Herzen, Freude am Schauen und Stärkung in den übrigen Gliedern.

So werden alle, die dir nahen, schöner, indem sie die Sünde aufgeben, weiser indem sie deinen Willen und nicht den des Fleisches befolgen, gerechter, indem sie sich nach dem Nutzen für die Seele und nach Gottes Ehre richten. Schenk mir deshalb, mildester Gott, das zu lieben, was dir gefällt, mannhaft den Versuchungen zu widerstehen, alles Irdische zu verachten und dich beständig im Gedächtnis zu behalten.“

Die Mutter erwiderte: „Diesen Gruß hat der gute Hieronymos dir erworben, der die falsche Weisheit verließ und die wahre Weisheit fand, der weltliche Ehre verschmähte und Gott selbst gewann. Selig ist ein solcher Hieronymus, selig sind die, die seiner Lehre und seinem Leben nachfolgen. Er liebte die Witwen, war ein Spiegel für die, die sich in der Tugend vervollkommnten, und war der Lehrer aller Wahrheit und Reinheit. Aber sag nun, Tochter, was ist es, das dich in deinem Herzen bekümmert?“

Sie (Birgitta) antwortete: „Dieser Gedanke kommt mir: „Wenn du Gott bist, magst du dir mit deiner Güte selbst genügen. Warum brauchst du andere zu richten und ermahnen, oder die zu belehren, die besser sind – das passt doch nicht zu deiner Stellung. Von diesem Gedanken wird die Seele so verhärtet, dass sie sich selbst vergisst und ganz in ihrer Gottesliebe erkaltet.“

Die Mutter antwortete: „Dieser Gedanke zieht viele, die Fortschritte gemacht haben, von Gott ab, denn der Teufel hindert die Guten daran, mit den Bösen zu sprechen, damit letztere keine Reue spüren. Er hindert auch die Guten daran, mit denen zu reden, die besser sind, damit sie nicht auf einen höheren Platz aufrücken. Denn wenn die Guten die Lehre der Guten gehört haben, rücken sie zu höheren Verdiensten und Plätzen auf.

So sollte der Hofbeamte, der Jesaja las, zu seiner der kleineren Strafen in der Hölle kommen. Aber Philippus begegnete ihm, lehrte ihn den Weg zum Himmel und hob ihn auf einen seligen Platz. So wurde auch Petrus zu Kornelius geschickt. Wenn Kornelius früher gestorben wäre, wäre er sicher seines Glaubens wegen zu einem Trost gekommen, aber nun kam Petrus und führte ihn zur Pforte des Lebens. Ebenso kam Paulus zu Dionysius und führte ihn zu einem seligen Lohn.

Also sollen Gottes Freunde nicht in Gottes Dienst ermüden, sondern daran arbeiten, dass der böse Mensch besser werde, und der gute Mensch noch größere Vollkommenheit erlangt. Denn wer gewillt ist, es allen Vorbeigehenden ins Ohr zu flüstern, dass Jesus Christus in Wahrheit Gottes Sohn war, und wer so viel er kann, zur Bekehrung anderer tat, der soll – auch wenn sich nur wenige oder keine bekehren – doch denselben Lohn erhalten, als wenn alle bekehrt wären.

Ich will dies außerdem durch ein Gleichnis erklären. Wenn zwei Knechte auf Befehl ihres Herrn in dem härtesten Berge graben würden, und der eine echtes Gold fände, der andere aber nichts, so hätten beide für ihre Arbeit und für ihren Einsatz denselben Lohn verdient. Paulus bekehrte ja mehr Menschen als die anderen Apostel, die weniger bekehrt haben, doch hatten alle denselben Willen – aber Gottes Verordnung ist verborgen. Deshalb soll man nicht den Mut sinken lassen, auch wenn nur wenige oder keine Gottes Wort annehmen. Denn wie die Dornen die Rose verstecken und wie der Esel seinen Herrn weiterfährt, so nütz der Teufel (der Dorn der Sünde) den Auserwählten (den Rosen) durch den Stich der Trübsal, damit sie nicht durch Vermessenheit des Herzens in unnütze Zügellosigkeit verfallen, und leitet sie wie der Esel hin zu Gottes Trost und zu einer größeren Belohnung.“