33. Kapitel

Verehrter Herr! Verkünde dem Papst unter anderen Dingen, in welch bedauernswerter Lage sich Rom, das früher körperlich und geistlich so glücklich war, sich jetzt befindet! Jetzt ist es unglücklich, körperlich und geistlich. Körperlich, weil die weltlichen Fürsten, die seine Verteidiger sein sollten, seine wildesten Räuber geworden sind. Deshalb sind seine Häuser niedergebrochen, und viele Kirchen ganz verlassen, die Gebeine von gesegneten Heiligen bewahren, die durch ehrenreich, wunderbare Kunstwerke strahlen, und deren Seelen in Gottes Reich herrlich gekrönt werden.
Diese Tempel der Heiligen haben ihre Dächer und Tore verloren und sind in heimliche Häuser von Menschen, Hunden und wilden Tieren verwandelt.

Geistlich ist diese Stadt unglücklich, denn viele Bestimmungen, die heilige Päpste durch Eingebung des Heiligen Geistes zu Gottes Lob und zur Erlösung der Seelen in der Kirche erlassen haben, sind nun aufgehoben, und stattdessen hat man durch Eingebung des bösen Geistes leider viele neue Unsitten angenommen, um Gott zu verschmähen und die Seelen zu verdammen.

Es gab eine Verordnung in der heiligen Kirche, dass Kleriker (Priesterkandidaten), die die heiligen Weihen empfangen wollten, ein heiliges Leben führen sollten, fleißig und fromm Gott dienen und anderen durch ihre guten Werke den Weg zum himmlischen Vaterland zeigen sollten – denen gab man die Einkünfte der Kirche.
Aber anstelle dieser Gewohnheit der Kirche ist ein schwerer Missbrauch aufgekommen, indem man die Güter der Kirche Laien gibt, die sich keine Ehefrauen nehmen, während sie den Namen „Domherrn“ führen, die aber ungescheut in ihren Häusern Mätressen am Tage und nachts in ihren Betten haben, wobei sie frech erklären: „Es ist uns nicht erlaubt, in einer Ehe zu leben, weil wir Domherren sind.“

Auch Priester, Diakonen und Subdiakone haben früher die Schmach eines unkeuschen Lebenswandels tief verabscheut, aber nun freuen sich manche von ihnen offen, dass ihre Mätressen mit schwellendem Mutterleib unter andere Frauen gehen. Ja sie schämen sich nicht einmal, wenn ihre Freunde zu ihnen sagen: „Sieh, Herr, bald wird euch ein Sohn oder eine Tochter geboren werden.“ Solche Leute müssten mit größerem Recht Kupplerknechte des Teufels als geweihte Priester des höchsten Gottes genannt werden.

Die heiligen Väter, Benedikt und andere, haben mit Zulassung der Päpste Ordensregeln gestiftet und Klöster gebaut, wo die Äbte mit den Brüdern zu wohnen pflegten, fromm die nächtlichen und täglichen Stundengebete verrichteten und die Mönche gewissenhaft unterwiesen, ein züchtiges Leben zu führen. Es war sicher schön, zu der Zeit Klöster aufzusuchen, wo die Mönche Gott Tag und Nacht mit ihrem Gesang Lob und Ehre erwiesen.

Lasterhafte Menschen besserten sich dadurch, dass sie ihr schönes Leben sahen, die guten wurden durch die göttliche Unterweisung der Väter gestärkt, und die Seelen im Fegefeuer erhielten durch ihre frommen Gebete die selige Ruhe. Da wurde der Mönch in größten Ehren gehalten, der seine Regel am besten einhielt, ja er war von Gott und Mensch geehrt. Aber wer sich nicht daran kümmerte, die Regel zu halten, der konnte sicher sein, Scham und Schande zu erfahren. Damals konnte jeder Mensch von der Tracht her unterscheiden, wer Mönch war.

Aber als Ersatz für diese höchst ehrenwerte Ordnung ist jetzt vielerorts eine verwerfliche Unsitte aufgekommen. Die Äbte weilen nämlich sehr oft in ihren Schlössern und wo immer es ihnen gefällt, innerhalb und außerhalb der Stadt. Daher ist es jetzt beschwerlich, Klöster zu besuchen, denn nur sehr wenig Mönche scheinen zur Zeit des Gottesdienstes im Chor zu sein, ja manchmal überhaupt keine. Deshalb wird dort jetzt wenig gelesen, manchmal wird nichts gesungen, und an vielen Tagen wird keine Messe gehalten.

Durch ihren schlechten Ruf werden gute Menschen betrübt, und die schlechten werden durch den Umgang mit ihnen noch schlechter. Es ist zu befürchten, dass sehr wenige Seelen durch die Gebete solcher Mönche wenig Freude in ihren Qualen finden. Und viele Mönche haben auch ein eigenes Haus in der Stadt, und wenn ihre Freunde zu Besuch kommen, umarmen sie ihre eigenen Kinder und sagen fröhlich: „Schau her, mein Sohn!“

Jetzt kann man kaum noch einen Mönch an seiner Tracht erkennen, denn der Rock, der früher bis hinunter zu den Füßen reichte, kann jetzt kaum die Knie bedecken. Ihre Ärmel, die früher ordentlich genäht und weit waren, sind jetzt eng und zugeknöpft, und ein Schwert statt einem Griffel und Schreibtafel hängt an ihrer Seite. Ja, man kann beim Mönch kaum ein einziges Kleidungsstück finden, das auf seinen Stand hinweist, sondern ein Skapulier, das übrigens oft verdeckt wird, so dass man es nicht sieht, ganz als ob es eine Schande wäre, ein Mönchskleidungsstück zu tragen. Manche schämen sich nicht einmal, Panzer und andere Waffen unter dem Rock zu tragen, damit sie nach Einbruch der Dunkelheit machen, was sie wollen.

Es hat heiligen Männer gegeben, die ihre großen Reichtümer aufgegeben und angefangen haben, nach der Ordensregel in Armut zu leben, ja die alle Gewinnsucht verschmäht haben und dafür nichts eigenes mehr haben wollten. Sie verabscheuten die Hoffart und den Prunk der Welt, kleideten sich in die ärmlichsten Gewänder, legten alle fleischliche Lust ab und führten ein reines Leben.

Sie und ihre Mitbrüder wurden Bettelmönche genannt, und ihre Regeln wurden auch von den Päpsten bestätigt, die sich darüber freuten, dass es manche gab, die zu Gottes Ehre und zum Nutzen der Seelen eine solche Lebensweise auf sich nehmen wollten. Aber jetzt ist es traurig zu sehen, wie sogar diese Regeln in verwerfliche Unsitten verwandelt worden sind und keineswegs so gehalten werden, wie Augustinus, Dominicus und Franziskus sie durch Eingebung des Heiligen Geistes diktiert haben – diese Regeln, die viele Reiche und Vornehme lange Zeiten treu eingehalten haben.

Jetzt trifft man wirklich viele, die reich genannt werden, und die doch ärmer an Geld und Kostbarkeiten sind als die, die gelobt haben, in Armut zu leben. So erzählte das Gerücht von ihnen. Daher haben die meisten von ihnen Eigentum, was ihnen ihre Regel doch verbietet, und sie freuen sich mehr über ihren verwerflichen Reichtum als über heilige, ehrenvolle Armut. Und sie prahlen damit, dass ihre Tracht aus ebenso teurem Stoff gemacht ist, wie die von reichen Bischöfen.

Der heilige Gregorius und andere Heilige bauten Nonnenklöster zu dem Zweck, dass Frauen dort streng eingeschlossen werden sollten, dass sie kaum noch am Tage zu sehen waren. Aber jetzt herrscht an diesen Stellen eine sehr schwere Unsitte, indem die Tore ohne weiteres für Priester und Laien geöffnet werden, die die Schwestern gern einlassen – ja sogar des nachts. Daher gleichen diese Stellen mehr Bordellen, als heiligen Nonnenklöstern.

Es gab auch eine Bestimmung in der heiligen Kirche, dass keiner dafür Geld annehmen sollte, dass er die Beichte hörte. Jedoch war es Penitentiariern erlaubt, Geld für Schreibarbeiten anzunehmen, wie es auch gebührlich ist, wenn es Personen betrifft, die Bescheinigungen brauchen. Aber stattdessen hat sich nun die Unsitte eingeschlichen, dass reich Menschen bezahlen, so viel sie wollen, wenn sie gebeichtet haben, und Arme gezwungen werden, ein Übereinkommen mit dem Beichtvater zu treffen, ehe sie gehört werden. Und wenn die Beichtväter die Absolution mit dem Munde ausgesprochen haben, schämen sie sich nicht, das Geld mit ihren Händen in die Börse zu stopfen.

Es wurde weiter in der Kirche festgelegt, dass jeder Mensch mindestens einmal im Jahre seine Sünden beichten und den Leib Christi (in der Kommunion) empfangen sollte. Das betraf Laien; Priester und Ordensleute sollten es mehrmals im Jahre tun. Ferner war es bestimmt, dass die, die nicht enthaltsam leben konnten, in der Ehe leben sollten. Drittens, dass alle Christen (außer die, die schwer krank waren oder sich in schwerer Bedrängnis befanden), während des Vierzig-Tage-Fastens fasten sollten, an den Quatembertagen und an den Vigilien an großen Feiertagen; diese Fastentage sind immer noch fast allen sehr gut bekannt.

Viertens war es bestimmt, dass alle sich an Feiertagen von weltlicher Arbeit enthalten sollten. Fünftens war bestimmt, dass kein Christ Geld oder dergleichen durch Wucher erwerben sollte. Aber gegen diese fünf guten Bestimmungen haben sich fünf schändliche und äußerst schädliche Unsitten eingeschlichen. Die erste ist, dass es für jeden Menschen, der Beichte ablegt und Christi Leib empfängt, hundert andere Personen gibt, die das Alter der Vernunft erreicht haben und in Rom sterben, oder dass jemand in Rom stirbt, ohne jemals Beichte abgelegt oder Christi Leib empfangen zu haben…

Die zweite Unsitte ist, dass viele zwar gesetzliche Ehefrauen nehmen, aber wenn sie in irgendeine Uneinigkeit mit ihren Frauen geraten, so verlassen sie sie für solange Zeit, wie es ihnen behagt, ohne eine kirchliche Zustimmung einzuholen, und anstelle der Ehefrauen nehmen sie Mätressen, die sie auch in Ehren halten und lieben. Manche haben nicht einmal Hemmungen, in ihrem Haus eine Geliebte zusammen mit der Ehefrau zu haben, und freuen sich, zu hören, dass sie gleichzeitig Kinder im selben Haus zur Welt bringen.

Die dritte Unsitte ist, dass viele gesunde Menschen während des Vierzig-Tage-Fastens Fleisch essen, und es sind sehr wenig, die sich mit einer Mahlzeit am Tag begnügen. Und es gibt manche, die am Tage auf Fleisch verzichten und solches Essen zu sich nehmen, was während des Fastens erlaubt ist, aber nachts essen sie in heimlichen Lokalen doch Fleisch. Ja das tun sowohl Priester als auch Laien, und sie gleichen so den Mohammedanern, die am Tage fasten, aber nachts Fleisch essen.

Die vierte Unsitte ist, dass – obwohl manche Handwerker auf Arbeit an Feiertagen verzichten – doch manche Reiche ihre Tagelöhner auch an Feiertagen in die Weingärten schicken, um zu arbeiten, auf den Feldern zu pflügen, in den Wäldern Holz zu schlagen und Sachen Heimzuschaffen, und auf diese Weise genießt armes Volk an Feiertagen nicht mehr Ruhe, als an Werktagen. Die fünfte Unsitte ist, dass Christen so wie Juden Wucher betreiben, ja die christlichen Wucherer sind geradezu gieriger, als die Juden.

Es war ferner in der Kirche bestimmt, dass solche Menschen, die nun beschrieben sind, in den Bann getan werden sollen. Aber jetzt ist stattdessen die Unsitte aufgekommen, dass sich viele nicht mehr vor dem Bann, als vor dem Segen fürchten. Auch wenn sie wissen, dass sie öffentlich im Bann stehen, so verzichten sie nicht auf den Kirchenbesuch oder den Verkehr und das Gespräch mit anderen Menschen. Es gibt wenige Priester, die Gebannten verbieten, zur Kirche zu gehen: Wenige sind es, die es unterlassen, mit Gebannten zu verkehren und mit ihnen zu sprechen, wenn sie mit ihnen durch irgendein Freundschaftsband verbunden sind. Und wenn sie reich sind, so verweigert man den Gebannten kein kirchliches Begräbnis.

Daher solltet Ihr Euch nicht darüber wundern, Herr, dass ich Rom unglücklich nenne, nachdem dort solche Unsitten und vieles andere, was in scharfem Widerspruch zu den kirchlichen Bestimmungen steht, dort im Schwange sind. Es ist infolgedessen zu befürchten, dass der katholische Glaube binnen kurzem untergeht, sofern nicht jemand kommt, der Gott ungeheuchelt über alles liebt und seinen Nächsten wie sich selbst, um alle Missbräuche abzuschaffen. Habt deshalb Mitleid mit der Kirche und mit denen in ihrer Priesterschaft, die Gott von ganzem Herzen lieben und alle schlechten Sitten verabscheuen; sie sind durch die Abwesenheit des Papstes sozusagen vaterlos geworden, aber haben doch wie Söhne die Residenz des Vaters verteidigt, haben den Verrätern klug widerstanden und haben trotz vieler Leiden ausgeharrt.