49. Kapitel

Es schien einem Menschen, als wäre er in einem großen Kirchenchor. Und es erschien eine große und strahlende Sonne, und es waren wie zwei Kanzeln im Chor, die eine zur Rechten und die andere zur Linken, beide in weitem Abstand von der Sonne, und zwei Strahlen gingen von der Sonne zu den beiden Kanzeln aus.
Da hörte er eine Stimme von der Kanzel, die auf der linken Seite war, und die Stimme sagte: „Heil dir, König in Ewigkeit, Schöpfer und Erlöser sowie gerechter Richter! Sieh, dein Statthalter, der auf deinem Stuhl in der Welt sitzt, hat nun seinen Stuhl auf den alten, früheren Platz zurückverlegt, wo der erste Papst, der Apostelfürst Petrus, gesessen hat.“

Eine Stimme antwortete von der hohen Kanzel und sagte: „Wie kann man die heiligen Kirche betreten, wenn die Bohrlöcher der Tür voller Rost und Erde sind? Die Tür ist ja deshalb zur Erde geneigt, weil es keine Stelle in den Bohrlöchern gibt, wo man die Scharniere befestigen kann, die die Tür oben halten würden. Ferner sind die Scharniere ganz ausgedehnt und nicht gebogen, so dass sie die Tür oben halten können. Der Boden ist vollkommen aufgegraben und in tiefe Löcher verwandelt, die wie die tiefsten Brunnenschächte sind und keinen Boden haben. Das Dach ist mit Teer bestrichen, lodert von Schwefelfeuer und tropft von dichtem Regen. Von dem schwarzen und dichtem Rauch, der aus den tiefen Löchern und vom tropfenden Dach aufsteigt, sind alle Wände befleckt, und ihre Farben sehen aus wie Blut, mit fauligem Eiter gemischt. Deshalb geziemt es sich für einen Freunde Gottes nicht, in einem solchen Heiligtum zu wohnen.“

Die Stimme von der linken Kanzel antwortete: „Lege nun geistlich aus, was du leiblich gesagt hast.“ Da sagte die andere Stimme: „Der Papst wird mit der Tür verglichen und so bezeichnet. Mit den Bohrlöchern der Tür ist die Demut gemeint, die ebenso frei von allem Hochmut sein muss, wie das Bohrloch von Rost, so dass nichts darin zu sehen ist, das nicht zu dem demütigen Amt das Papstes gehört. Aber jetzt sind die Bohrlöcher, d.h. die Demut, so voll von Überfluss, Reichtümern und Vorrat, das für nichts anderes aufbewahrt wird, als den Hochmut, dass nichts demütig aussieht, den alle Demut ist in weltlichen Prunk verwandelt.
Daher ist es kein Wunder, dass der Papst, der mit der Tür gemeint ist, zu weltlichen Dingen geneigt ist, die mit Rost und Erde bezeichnet werden. Der Papst soll daher mit der wahren Demut bei sich selbst beginnen, und zuerst mit seinem Prunk an Kleidern, Gold, Silber und Silbergefäßen, Pferden und anderem Zubehör, indem er von all dem nur das behält, was notwendig ist, aber das andere den Armen und besondern denen schenkt, von denen er weiß, dass sie Gottes Freunde sind.

Dann sollte er sich maßvoll mit seinem Personal beschränken und nur die Diener haben, die notwendig sind, nämlich die sein Leben schützen. Denn obwohl es in Gottes Hand steht, wann er ihn zum Gericht rufen will, so ist es doch berechtig, dass er Diener hat, die die Gerechtigkeit aufrecht halten, so dass er die demütigen kann, die sich gegen Gott und gegen die heiligen Bräuche der Kirche auflehnen.

Mit den Scharnieren, die in die Tür eingesetzt werden, sind die Kardinäle gemeint, die so hingegeben an alle Hoffart, Gewinnsucht und fleischliches Begehren sind, wie möglich. Daher soll der Papst Hammer und Zange in die Hand nehmen und Kardinäle nach seinem Willen zurechtbiegen, indem er ihnen nicht gestattet, mehr an Kleidern und Personal und Zubehör zu haben, als was die Notwendigkeit und der Lebensunterhalt erfordert. Er mag sie zuerst mit der Zange biegen, d.h. mit milden Worten, göttlichem Rat und väterlicher Liebe, aber wenn sie nicht gehorchen wollen sollte er zum Hammer greifen, indem er ihnen seine Strenge zeigt und tut, was er vermag (jedoch nicht gegen die Gerechtigkeit), bis sie nach seinem Willen zurechtgebogen sind.

Mit dem Boden sind jedoch die Bischöfe und Weltpriester gemeint, deren Gewinnsucht keine Grenzen hat, und von deren Übermut und lasterhaftem Leben Rauch aufsteigt, vor dem alle Engel im Himmel und alle Freunde Gottes auf Erden Abscheu empfinden. Das kann der Papst in vielen Punkten bessern, wenn er einem jeden erlaubt, das Notwendige zu haben, aber keinen Überfluss, und jedem Bischof befiehlt, auf den Lebenswandel seiner Priesterschaft zu achten, so dass jeder, der seinen Wandel nicht bessern und Enthaltsamkeit üben will, seine Einkünfte ganz verliert. Denn es ist Gott lieber, dass an dem Platz (des Altars) gar keine Messe gelesen wird, als dass unzüchtige Hände Gottes Leib berühren.