65. Kapitel

Die Mutter (Maria) spricht: „Du sollst sein wie eine leere Schale, die geeignet ist, gefüllt zu werden – nicht so flach, dass das, was darin enthalten ist, ausfließt, und auch nicht so voll, dass man den Boden nicht mehr sieht. Diese Schale ist dein Körper, der leer ist, wenn er vor dem Begehren der Wollust frei ist. Er ist mäßig weit, wenn das Fleisch vernünftig in Zucht gehalten wird, damit die Seele imstande bleibt, um den geistigen und körperlichen Menschen stark genug zum Arbeiten zu erhalten. Die Schale ist ohne Boden, wenn das Fleisch nicht durch irgendeinen Verzicht in Zucht gehalten wird, sondern der Körper alles bekommt, was er begehrt.

Aber höre, was ich sage! Mein Diener brachte ein unbedachtes Wort vor, als er sagte: „Was kommt es mir zu, etwas zu sagen, was nichts mit meiner Stellung zu tun hat?“ Ein solcher Ausspruch gebührt sich für einen Diener Gottes nicht. Denn jeder, der die Wahrheit hört und sie kennt, ist frevelhaft, wenn er sie verschweigt – sofern er nicht ganz abgewiesen wird.
Es gab nämlich einmal einen Herrn, der eine starke Burg besaß, in der es vier gute Dinge gab: Frisches Essen, das allen Hunger vertreibt, frisches Wasser, das allen Durst löscht, lieblichen Duft, der alle giftigen Dünste vertreibt, und notwendige Waffen, die geeignet waren, jeden Feind niederzuschlagen.

So verging die Zeit, und während der Burgherr auf etwas anderes achtete, wurde die Burg belagert. Als er das merkte, sagte er zu seinem Herold: „geh und rufe mit lauter Stimme meinen Rittern zu: „Ich, der Herr, werde meine Burg befreien, und jeder, der mir freiwillig folgt, wird mit mir in der Herrlichkeit sein und ebenso wie ich in Ehren stehen. Aber wer im Kampfe fällt, den werde ich zu dem Leben erwecken, das weder Mangel noch Sorge hat, und ich werde ihm bleibende Ehre und nie versiegenden Überfluss schenken.“

Als der Diener diesen Befehl erhalten hatte, rief er auch, aber er rief weniger kräftig, als er sollte, so dass der Ruf nicht bis zu dem tapfersten Ritter drang Dieser ließ deshalb den Kampf bleiben. Was soll der Herr nun mit dem Ritter tun, der gern gekämpft hätte, aber die Stimme des Herolds nicht gehört hat? Sicher wird er ihn für seinen Willen belohnen. Aber der säumige Herold wird nicht ohne Strafe davonkommen.

Diese Burg ist die heilige Kirche, erbaut mit dem Blute meines Sohnes. Dort ist sein Leib (die Hostie), die allen Hunger vertreibt, das Wasser der evangelischen Weisheit, der Wohlgeruch des Beispiels seiner Heiligen und die Waffen seines Leidens. Diese Burg ist jetzt von Feinden belagert, denn in der heiligen Kirche gibt es viele, die mit ihrer Stimme meinen Sohn verkünden, ihm aber mit ihren Sitten widersprechen, ja die mit ihrem Willen dem widersprechen, was sie mit dem Munde sagen, indem sie sich nicht im das himmlische Vaterland kümmern, wenn sie nur ihre Lust befriedigen können. Daher dürfen Gottes Freunde nicht ermüden, damit Gottes Feinde sich vermindern, denn ihre Belohnung wird nicht zeitlich sein, sondern eine solche, die kein Ende hat.“