75. Kapitel

Gesegnet seist du, mein Gott, mein Schöpfer und mein Erlöser! Du bist das Lösegeld, wodurch wir aus der Gefangenschaft erlöst sind, womit wir zu allem hingelenkt werden, was gut und heilsam ist, und mit der göttlichen Einheit und Dreifaltigkeit vereinigt werden. Obwohl ich mich wegen meiner Erbärmlichkeit schäme, freue ich mich doch darüber, dass du, der einmal für unsere Erlösung gestorben ist, nun nicht mehr stirbst. Du bist der, der Macht hat über Leben und Tod. Du allein bist gut und gerecht, du allein bist allmächtig und zu fürchten. Daher seist du gesegnet in Ewigkeit.

Aber was soll ich von dir sagen, gesegnete Maria, die ganze Rettung der Welt? Du bist wie die, die ihren Freund, der traurig über eine Sache ist, die er verloren hat, plötzlich das Verlorene sehen lässt, so dass sein Schmerz gelindert wird, die Freude von neuem geboren und der ganze Sinn von Freude entzündet wird. So hast du, allerliebste Mutter, der Welt ihren Gott gezeigt, den die Menschen verloren hatten; du hast ihn in der Zeit geboren, der vor aller Zeit geboren war, und über dessen Geburt sich die Bewohner des Himmels und der Erde freuten. Daher bitte ich dich, huldreichste Mutter, hilf mir, so dass sich mein Feind nicht über mich freut und durch seine Ränke nicht Macht über mich gewinnt.“

Die Mutter erwiderte: „Ja, ich werde dir helfen. Aber warum bist du betrübt darüber, dass das eine dir geistlich gezeigt wurde, und du das andere körperlich hören konntest – ich meine, dass der Ritter, der körperlich lebt, die in geistlicher Weise tot gezeigt wurde und geistlicher Hilfe bedarf?
Aber höre nun die Wahrheit! Alle Wahrheit ist von Gott, und alle Lüge ist vom Teufel, denn dieser ist der Vater der Lüge. Obwohl die Wahrheit von Gott ist, wird dich durch die Bosheit und Lüge des Teufels, was Gott manchmal durch einen geheimen Beschluss zulässt, Gottes Tugend offenbarer.

Ich will dir das deutlicher durch ein Gleichnis zeigen. Es war eine Jungfrau, die ihren Verlobten zärtlich liebte; ebenso liebte der Verlobte sie, und durch deren Liebe wurde Gott verherrlicht und bekamen ihre Eltern Freude. Ihr Feind sah das und dachte: „Ich weiß, dass Bräutigam und Braut auf drei Arten zusammenkommen, nämlich durch Briefe, durch Gespräche und durch Vereinigung ihrer Körper. Also will ich, damit die Briefträger nicht hinkommen können, den Weg mit Baumstämmen, Dorngestrüpp und Schlingen füllen.

Damit sie nicht miteinander reden können, werde ich Donner und Unwetter herstellen, so dass sie im Gespräch gestört werden. Und damit sie nicht nackt im Bett zusammenkommen können, werde ich Späher anstellen, die jeden Ritz bewachen werden, so dass sie keine Gelegenheit erhalten, zusammenzukommen.
Der Bräutigam, der listiger war als der Feind, begriff das aber und sagte zu seinen Dienern: „Mein Feind stellt mir an den und den Plätzen eine Falle. Gebt daher auf sie Acht, und wenn ihr findet, dass es sich so verhält, lasst ihn so lange arbeiten, bis er die Fallen gestellt hat; dann sollt ihr aufstehen, aber ihn nicht umbringen, sondern ihn mit lauten Rufen beschimpfen, so dass eure Mitdiener, die die List des Feindes sehen, umso gewissenhafter werden, Wache zu halten.“

In ähnlicher Weise verhält es sich auch im geistlichen Leben. Denn die Briefe, durch welche der Bräutigam und die Braut, d.h. Gott und die gute Seele in Verbindung stehen, sind nicht anderes, als die Gebete und Seufzer der Guten. Denn wie die wirklichen Briefe den Willen und das Verlangen dessen deutlich machen, der sie abgeschickt hat, so steigen Gebete guter Menschen zu Gottes Herzen auf und vereinen die Seele in einem einzigen Liebesband mit Gott.
Aber der Teufel hindert manchmal das Menschenherz, so dass sie nicht darum beten, was die Erlösung der Seele fördert oder im Streit mit der fleischlichen Lust steht. Er stellt es auch an, dass sie nicht erhört werden, wenn sie für andere Sünder beten, da sie nicht für sich selbst um das bitten, was nützlich für die Seele ist oder sie zum ewigen Wohlergehen führt.

Und was ist das gegenseitige Gespräch, womit der Bräutigam und die Braut ein Herz und eine Seele werden, anderes, als Reue und Buße? Da stellt der Teufel manchmal so viel Unwesen an, dass sie einander gar nicht hören. Was ist das Unwesen anderes, als seine bösen Eingebungen? Dem Herzen, das fruchtbare Buße tun will, flüstert er ja zu: „O du verwöhnte Seele, es wird dir schwer, mit dem Ungewohnten zu beginnen, was du bisher ja nicht versucht hast. Es können dich nicht alle vollkommen sein? Für dich reicht es aus, eine von den vielen zu sein. Warum willst du etwas auf dich nehmen, was mehr ist? Warum tust du etwas, was kein anderer tut? Du kannst ja nicht auf deinem Beschluss beharren. Du wirst von allen verspottet werden, wenn du dich demütigst und dich zu sehr zurücksetzt.“

Von solchen Eingebungen betört, denkt dann die Seele: „Es ist schwer, das Gewohnte zu verlassen. Daher will ich meine vergangen Sünden beichten. Für mich reicht es aus, den Weg zu gehen, den die meisten anderen gehen. Ich bringe es nicht fertig, vollkommen zu sein. Gott ist Barmherzigkeit. Er hätte uns nicht erlöst, wenn er gewollt hätte, dass wir vergehen sollen.“

Mit solchen Rufen hindert der Teufel die Seele, dass Gott sie hört. Nicht so, als ob Gott nicht alles hört, aber er findet keinen Gefallen daran, so etwas zu hören, nachdem die Seele mehr der Versuchung zustimmt, als ihrer eigenen Vernunft. Und dass Gott und die Seele nicht zusammenkommen – was bedeutet das anders, als die himmlische Sehnsucht und die reine Liebe, mit der die Seele stetig brennen soll?

Diese Liebe wird jedoch auf vierfache Art behindert. Erstens stachelt der Teufel die Seele dazu an, irgendetwas gegen Gott zu tun, was – obwohl es nicht als ernsthaft angesehen wird – doch der Seele Vergnügen macht, und dieses Vergnügen ist Gott verhasst, weil man es für unbedeutend hält und sich nicht weiter darum kümmert.

Zweitens gibt der Teufel der Seele ein, etwas Gutes zu tun, um Menschen zu gefallen, und manchmal, das Gute zu unterlassen, das sie tun könnte, und das aus der Lust heraus, weltliche Ehre zu gewinnen, oder aus Furcht vor der Welt. Drittens lässt der Teufel das Gute vergessen, was sie tun sollte, oder dass sie Abneigung dagegen empfindet, so dass die Seele es leid wird, Gutes zu tun. Viertens macht der Teufel der Seele damit Mühe, dass sie sich um das Weltliche müht, belämmert sie mit unnötiger Freude und Kummer, oder mit anstrengender Furcht.

Durch solche Dinge werden die Briefe zwischen Bräutigam und Braut (d.h. Gebete der Gerechten) und ihr wechselseitiges Gespräch behindert. Aber obwohl der Teufel listig ist, ist Gott doch weiser und stärker und vermag die Schlingen des Teufels zu zerreißen, so dass die Abgesandten Briefe den Bräutigam erreichen können. Die Schlingen werden zerrissen, wenn Gott der Seele eingibt, an das zu denken, was gut ist, und das Herz verlangt danach, den Willen zu erhalten, dem zu entfliehen, was schlecht ist, und das zu tun, was Gott gefällt. Der Ruf des Feindes verhallt wirkungslos, wenn die Seele klug in sich geht und willens ist, ihre gebeichteten Sünden nicht zu wiederholen.

Du sollst auch wissen, dass der Teufel nicht nur Rufe an die Richtet und ihnen Unwesen bereitet, die Gottes Feinde sind, sondern auch an Gottes Freunde. Du kannst das besser durch ein Gleichnis verstehen. Es war eine Jungfrau, mit der ein Mann redete. Während das Gespräch vor sich ging, hing ein Bettvorhang zwischen ihnen, und das sah der Mann, aber nicht die Jungfrau. Als das Gespräch zu Ende war, hob die Jungfrau die Augen, sah den Bettvorhang und dachte mit Beben: „Gott gebe, dass ich nicht von der Hinterlist des Teufels betrogen bin.“

Aber als der Bräutigam begriff, dass die Jungfrau niedergeschlagen war, zog er den Bettvorhang herunter und zeigte ihr die ganze Wahrheit.
So passiert es auch vollkommenen Menschen, wenn sie von göttlichen Eingebungen erfasst werden, dass der Teufel ihnen Unheil bereitet, so dass sie von plötzlichem Hochmut ergriffen werden oder von maßloser Furcht niedergedrückt werden, dass sie mit unberechtigter Gefügigkeit die Sünden anderer dulden, ohne sie zurechtzuweisen, oder dass sie sich übermäßiger oder unvernünftiger Freude oder Schwermut hingeben.
Etwas Ähnliches ist dir passiert. Der Teufel hat nämlich ein paar Leute gereizt, dir zu schreiben, dass er tot sei, der aber tatsächlich lebte, so dass du von großem Schmerz ergriffen wurdest. Aber Gott zeigte dir seinen geistlichen Tod, und dass der körperliche falsch war, das wurde dir so von Gott gezeigt, der dich ja auch getröstet hat.

Daher ist es wahr, wenn man sagt, dass Trübsale Anlass zu etwas zeitlich Gutem geben, denn wenn du nicht auf Grund von Lügen betrübt worden bist, so wäre dir eine solche Tugend und Schönheit der Seele nicht gezeigt worden. Deshalb hing es, damit du Gottes heimliche Anordnung verstehen sollst, wie ein Bettlaken zwischen deiner Seele und dem redenden Gott, denn die Seele zeigt sich in gestalt eines Mannes, der Hilfe brauchte, und Gott schloss alle seine Aussprüche damit, dass du zu seiner Zeit wissen solltest, wie weit er tot war oder lebte.
Aber nachdem du die Schönheit der Seele und den Schmuck gesehen hast, womit sie vollkommen gemacht werden muss, um in den Himmel eintreten zu können – wurde das Bettlaken weggezogen, und du bekamst die Wahrheit zu sehen, nämlich dass dieser Mann körperlich lebte, aber geistlich tot war, und dass jeder, der in das himmlische Vaterland eintreten will, sich mit solchen Tugend bewaffnen soll.

Die Absicht des Teufels war jedoch, dich mit seiner Lüge zu betrügen, so dass du in Trauer über den Verlust eines so lieben Freundes in deiner Liebe zu Gott erkalten solltest. Aber nachdem du gesagt hast: „Gebe Gott, dass es kein Betrug ist“ und „Gott hilf mir“, so wurde der Vorhang heruntergezogen, und die Wahrheit wurde dir geistlich und körperlich von Gott gezeigt. So wird es dem Teufel erlaubt, auch die Gerechten zu betrüben, auf dass ihre Krone noch größer werde.“