87. Kapitel

Der Sohn spricht zur Braut: „Ich habe dir früher gesagt, dass du klare Augen haben musst, so dass du das Böse schauen kannst, was du getan hast, und das Gute, was du unterlassen hast. Dein Mund, d.h. dein Sinn, soll rein von allen Flecken sein. Deine Lippen sind zwei Wünsche, die du haben sollst, nämlich der Wunsch, alles meinetwegen zu verlassen und den Willen, bei mir zu bleiben, und diese Lippen sollten von roter Farbe sein, weil Rot die schönste Farbe ist und auf lange Entfernung zu sehen ist.

Die Farbe bezeichnet jedoch die Schönheit, und alle Schönheit liegt in den Tugenden, denn es gefällt Gott am meisten, wenn man ihm das anbietet, was der Mensch am meisten liebt, und wovon andere in ihrer Seele am meisten erbaut werden. Deshalb sollte der Mensch im Willen oder im Tun Gott das geben, was er am liebsten hat.

Man liest ja, dass Gott sich freute, als er sein Werk beendet hatte. So freut sich Gott auch, wenn der Mensch sich ihm ganz opfert und in Not und Freude Gottes Willen folgen will. Die Arme wiederum müssen leicht und biegsam zu Gottes Ehre sein. Der linke Arm ist also das Betrachten des Guten und der Wohltaten, die ich dir erwiesen habe, als ich dich schuf und erlöst, und deine Undankbarkeit gegen mich. Aber der rechte Arm ist eine so brennende Liebe zu mir, dass du lieber Not leiden, als mich verlieren und mich zum Zorn reizen willst.

Zwischen diesen beiden Armen ruhe ich gern, und dein Herz soll mein Herz sein, denn ich bin wie ein Feuer der göttlichen Liebe, und deshalb will ich geliebt werden, wie ich dort brenne. Die Rippen, die das Herz schützen, sind deine Eltern, nicht die leiblichen, sondern meine Auserwählten, die du zu lieben hast wie mich, und mehr als deine leiblichen Eltern. Deine Eltern sind in Wahrheit die, die dich zum ewigen Leben neugeboren haben.

Die Haut der Seele sollte so schön sein, dass sie keine Flecken hat. Mit der Haut ist jeder deiner Nächsten gemeint; wenn du ihn so liebst wie dich selbst, so wird die Liebe zu mir und meinen Heiligen unbeschadet bewahrt, aber wenn du ihn hasst, schadet das dem Herzen, und die Rippen werden bloß, die Liebe meiner Heiligen wird bei dir geringer. Daher sollte die Haut auch keine Flecken haben, denn du darfst deinen Nächsten nicht hassen, sondern alles für Gott tun. Wenn du das tust, ist nämlich mein Herz ganz und unversehrt mit deinem Herzen vereint.

Weiter sagte ich dir vorher, dass ich mit brennender Liebe geliebt werden möchte, denn ich bin das Feuer der göttlichen Liebe. Mein Feuer hat drei wunderbare Eigenschaften. Die erste ist, dass es brennt und nie entzündet wird. Die zweite ist, dass es nie verlöscht. Die dritte ist, dass es immer brennt und nie verzehrt wird. So habe ich den Menschen in meiner Gottheit von Anfang an geliebt, und seit ich Menschengestalt annahm, brannte diese Liebe noch mehr und brennt so stark, dass sie nie verlöscht und die Seele brennend macht, aber sie nicht verzehrt, sondern ihr ständig neue Stärke schenkt.

Das kannst du dadurch verstehen, dass du an den Vogel Phönix denkst, wenn er durch Alter belastet wird, der auf dem höchsten Berg Holz sammelt, und nachdem das Holz von der Sonnenhitze angezündet ist, sich ins Feuer wirft, um – nachdem er im Feuer gestorben ist – von neuem aufzuleben. So wird die Seele, die vom Feuer der göttlichen Liebe entzündet worden ist, daraus als ein schönerer und stärkerer Phönix wieder auferstehen.