Dreizehnter Fragenkreis

Erste Frage: Wieder zeigte sich der Mönch auf seiner Leiter wie vorher und sagte: „O Richter, warum wird manchen deine Gnade so schnell entzogen, und warum werden andere solange in ihrer Bosheit ertragen?“

Zweite Frage: „Und warum wird deine Gnade manchen schon in der Jugend verliehen, während andere sie im Alter verlieren?“

Dritte Frage: „Und warum müssen manche so übermäßig leiden, während andere fast frei von Leiden ausgehen?“

Vierte Frage: „Und warum wird manchen Verstand, Geist und Gelehrigkeit in so hohem Maß verliehen, während andere wie Esel ohne alle Klugheit sind?“

Fünfte Frage: „Und warum werden manche so übermäßig verhärtet, während sich andere zu einem wunderbaren Trost beglückwünschen können?“

Sechste Frage: „Und warum haben die Bösen größeren Erfolg auf der Welt, als die Guten?“

Siebente Frage: „Und warum wird der eine schon im Anfang berufen, der andere erst gegen Ende?“

Antwort auf die 1. Frage.
„Mein Freund, alle meine Werke sind von Anfang an von mir vorhergewußt, und alles, was geschaffen ist, ist dem Menschen zur Freude geschaffen. Aber da der Mensch seinen eigenen Willen meinem Willen vorzieht, deshalb werden ihm mit Recht die guten Dinge entzogen, die ihm umsonst gegeben wurden, so dass der Mensch wissen soll, dass alles bei Gott vernünftig und gerecht ist. Und weil viele undankbar für meine Gnade sind, ja umso gottloser werden, je reichlicher sie mit Gaben beschenkt werden, deshalb werden ihnen diese Gaben schnell genommen, so dass die Ratschlüsse meiner Gottheit schneller offenbart werden, und dass der Mensch zu einer noch schlimmeren Strafe für sich selbst meine Gnade missbraucht.

Und der Grund dafür, dass manche in ihrer Bosheit lange geduldet werden, ist, dass manche inmitten all ihrer Bosheit etwas Erträgliches haben, denn entweder nützen sie anderen Menschen, oder dienen ihnen auch zur Warnung. Als Saul von Samuel getadelt wurde, schien er in den Augen der Menschen nur wenig gesündigt zu haben, David dagegen mehr. Aber als die Prüfung nahte, fiel Saul – ungehorsam, wie er mir, seinem Gott, war – von mir ab und befrage eine Totenbeschwörerin, während David, als ihn die Heimsuchungen trafen, treuer blieb, geduldig das ertrug, dem er ausgesetzt war, und meinte, dass die dem entsprechen würde, was seine Sünden verdient hatten. Dass ich Saul geduldig ertrug, das zeigt Sauls Undankbarkeit und meine göttliche Geduld, aber dass David erwählt wurde, das zeigt mein Vorherwissen und Davids künftige Demut und Reue.“

Antwort auf die 2. Frage.
„Auf die Frage, warum manchen (Menschen) die Gnade in den Tagen des Alters entzogen wird, antworte ich weiter: Alle empfangen Gnade, damit der Geber der Gnade von allen geliebt wird. Aber weil viele für meine göttliche Gnade undankbar sind, wie es Salomo war, ist es gerecht, dass das, was vor dem Ende nicht sorgsam bewahrt wurde, am Ende weggenommen wird. Die Gaben und meine göttliche Gnade werden also manchmal wegen der Nachlässigkeit des Empfängers weggenommen, nachdem er nicht bedacht hat, was er empfangen hat und wofür er sich erkenntlich zeigen sollte, manchmal auch zur Warnung für andere, damit ein jeder, der sich im Zustand der Gnade befindet, ständig Furcht haben soll und sich ebenso durch den Fall vom anderen fürchten lernt. Sogar weise Männer sind ja infolge von Nachlässigkeit gefallen, und die, die meine Freunde zu sein schienen, wurden auf Grund ihrer Nachlässigkeit umgarnt.“

Antwort auf die 3. Frage.
„Auf die Frage, warum manche mehr leiden müssen, antworte ich weiter: Ich bin der Schöpfer aller (Menschen), daher kommt kein Leiden ohne meine Zulassung, wie geschrieben steht. Ich bin ein Gott, der das Böse schafft; mit anderen Worten, ich lasse Trübsal zu, und so werden die Heiden nicht ohne mich oder ohne vernünftigen Grund von Leiden heimgesucht. Meine Propheten haben ja vieles von den Leiden der Heiden vorausgesagt, damit die, die vergesslich waren und den Verstand missbrauchten, durch Plagen erzogen werden sollten, und ich, Gott, der alles zulässt, von jedem Volk erkannt und verherrlicht wird.

Wenn ich, Gott, die Heiden nicht von Züchtigungen verschone, so werde ich noch weniger die verschonen, die die Süße meiner göttlichen Gnade reichlicher haben schmecken dürfen. Dass manche weniger, andere mehr zu leiden haben, das geschieht dafür, dass die Menschen sich von der Sünde abwenden und nach den Plagen in diesem Leben Trost im kommenden empfangen sollen. Alle, die auf dieser Welt verurteilt werden und sich selber verurteilen, werden dem Kommenden Gericht entgehen. Sie werden, wie geschrieben steht, vom Tod zum Leben gehen.

Und dass manche von Plagen verschont bleiben, das geschieht dafür, dass sie durch die Plagen nicht veranlasst werden, zu murren und zu knurren und sich dadurch ein strengeres Gericht zuziehen, denn es gibt viele, die es nicht verdienen, in diesem Leben gezüchtigt zu werden. Es gibt auch solche, die in diesem Leben weder von körperlichen oder seelischen Leiden heimgesucht werden, und die so sicher leben, als ob es Gott nicht gäbe, oder als ob er sie wegen ihrer gerechten Taten verschonen würde. Aber sie sollen sich sehr fürchten, dass nicht Gott, der sie im gegenwärtigen Leben schont, sich ihnen unversehens naht und sie umso härter straft, nachdem sie nicht in sich gehen.

Es gibt solche, die körperliche Gesundheit haben, aber seelisch durch die Verschmähung Gottes leiden. Andere genießen weder die Gesundheit des Leibes noch den inneren Trost der Seele und dienen mir und ehren mich nach besten Kräften. Manche werden schon vom Mutterleib und bis zum Ende von Krankheiten heimgesucht, aber ich, ihr Gott, wäge ihre Leiden so ab, dass nichts ohne Ursache und Belohnung geschieht, denn vielen, die vor den Heimsuchungen geschlafen haben, werden durch die Leiden die Augen geöffnet.“

Antwort auf die 4. Frage.
„Auf die Frage, warum manche größeren Verstand haben, antworte ich weiter: Es nützt der Seele für das Ewige Leben nicht, Weisheit im Überfluß zu haben, wenn sie nicht auch durch einen guten Lebenswandel strahlt. Ja, es ist nützlicher, weniger Wissen und eine bessere Lebensart zu haben. Jedem ist aber so viel Verstand zugemessen, dass er das Himmelreich dadurch gewinnen kann, dass er ein frommes Leben führt. Jedoch ist der Verstand nach der natürlichen und geistigen Veranlagung ungleich, denn wie der Mensch sich durch göttliche Eifer und durch Tugenden bessert und die Vollendung der Tugenden erreicht, so verfällt er auch durch bösen Willen und die schlechte Veranlagung seiner Natur und verkehrte Erziehung auf Nichtigkeiten.

Oft nimmt auch die Natur Schaden, wenn man sich etwas gegen die Natur vornimmt oder sich gegen sie versündigt. Es ist also nicht ohne Grund, dass der Verstand bei vielen groß ist, wenn auch unnütz, wie bei denen, die Wissen haben, aber keinen entsprechenden Lebenswandel. Bei anderen gibt es weniger Kenntnisse, aber einen besseren Gebrauch davon, bei manchen gibt es Verstand und ein gutes Leben, während bei anderen beides fehlt. Diese Verschiedenheit beruht manchmal auf wohlgeordneter göttlicher Zulassung (entweder zum Nutzen der Menschen ode zu ihrer Demütigung und Erziehung), manchmal auf Undankbarkeit und Versuchungen, manchmal auf der Gebrechlichkeit der Natur und heimlicher Sünden.

Manchmal ist diese Verschiedenheit dazu da, dass man einer Gelegenheit zu schlimmeren Sünden aus dem Wege geht, und dass die Natur nicht im Stande ist, sich etwas Größeres vorzunehmen. Ein jeder, der die Gnadengabe eines guten Verstandes besitzt, soll also Furcht haben, denn er wird dadurch strenger beurteilt, wenn er nachlässig ist. Wer keine Begabung hat, soll froh sein über das wenige, das er hat und so viel ausrichten, wie er kann, denn er ist gegen viele Gelegenheiten zur Sünde gefeit.

Der Apostel Petrus war ja in seiner Jugend vergesslich, und Johannes hatte nur wenig Kenntnisse, aber in älteren Tagen eigneten sie sich wahre Weisheit an, nachdem sie nach dem Ursprung der Weisheit gesucht hatten. Salomo war in der Jugend gelehrig und Aristoteles erfinderisch, aber sie drangen nicht zum Beginn der Weisheit vor, da sie den Geber des Wissens nicht so verherrlichten, wie sie sollten, und dem nicht nacheiferten, was sie wussten und lehrten; so lehrten sie sich nicht selbst, sondern andere.
Bileam hatte Kenntnisse, aber befolgte sie nicht, und daher schalt sein Esel seine Unwissenheit. Ebenso verurteilte der Junge David die alten Männer. Bildung aus Büchern gefällt mir nicht ohne guten Lebenswandel, und daher ist es notwendig, dass die, die die Vernunft missbrauchen, bestraft werden, denn ich, der Gott und Herr aller, gibt den Menschen Kenntnis, und ich richte beide, die Weisen und Unklugen.“

Antwort auf die 5. Frage.
„Auf die Frage, warum manche verhärtet werden, antworte ich weiter: Dass Pharao verhärtet war, das war sein Fehler und nicht meiner, nachdem er seinen Willen nicht in Übereinstimmung mit meinem göttlichen Willen bringen wollte. Verhärtung ist nämlich nichts anderes, als sich meiner göttlichen Gnade zu entziehen, der man sich entzieht, wenn der Mensch nicht mir, seinem Gott, das gibt, was er hat – nämlich seinen Eigenwillen.

Du kannst das durch das Gleichnis von einem fruchtbaren und unfruchtbaren Acker verstehen. Es war ein Mann, der zwei Äcker hatte, von denen der eine unbestellt blieb, während der andere zu bestimmten Zeiten Frucht trug. Sein Freund sagte zu ihm: „Ich möchte wissen, warum du, der reich und verständig ist, deine Äcker nicht fleißiger bearbeitest oder sie anderen zu Bestellung überlässt.“ Er antwortete: „Der eine Acker bringt, so fleißig ich auch arbeite, nur schlechte Kräuter hervor, über die sich schädliche Tiere hermachen, und so wird das Gebiet verunreinigt.

Wenn ich Dünger anwende, überhebt sich der Acker in seiner Frechheit, denn auch wenn er dann in geringem Umfang Saat hervorbringt, sprießt sehr viel mehr Unkraut auf, und das will ich nicht sammeln, da ich nur reine Saat haben will. Es ist also ratsamer, einen solchen Acker unbestellt zu lassen, denn dann kommen die wilden Tiere an den Platz und verstecken sich nicht einmal in den Kräutern, und wenn da ein paar bittere Kräuter aufwachsen, ist das nützlich für die Schafe, denn nachdem sie diese gekostet haben, lernen sie, sich nicht an süßere Kräuter zu machen.

Der andere Acker dagegen ist den Jahreszeiten angepasst. Ein Teil davon ist steinig und braucht Dünger, ein anderer ist feucht und braucht Wärme, ein dritter ist trocken und braucht Feuchtigkeit. Deshalb will ich meine Arbeit nach der Beschaffenheit des Ackers einrichten.“
Ich, Gott, gleiche diesem Mann. Der erste Acker ist die Betätigung des freien Willens, der dem Menschen verliehen ist. Er richtet ihn aber mehr gegen mich als für mich, und wenn er etwas tut, was mir wohlgefällig ist, weckt er doch öfter meinen Zorn, denn der Wille des Menschen und meiner kommen nicht überein. So machte es Pharao. Durch gewisse Zeichen verstand er meine Macht aber nichts destoweniger verhärtete er seinen Sinn gegen mich und hielt an seiner Bosheit fest. Daher bekam er meine Gerechtigkeit zu spüren, denn wenn jemand das Geringste nicht gut benutzt, ist es gerecht, dass er sich nicht dessen rühmen darf, was mehr ist.

Der andere Acker ist der Gehorsam des guten Sinnes und der Verzicht auf den Eigenwillen. Wenn ein solcher Sinn in seiner Andacht trocken ist, muß er den Regen meiner göttlichen Gnade erwarten. Wenn er durch Ungeduld und Härte steinig ist, soll er mit Gleichmut Reinigung und Berichtigung ertragen. Wenn er durch die Zügellosigkeit des Fleisches feucht ist, soll er Enthaltsamkeit üben und sich wie ein Tier verhalten, das bereit ist, wenn es der Besitzer will, denn vor einem solchen Sinn erhalte ich, Gott große Ehre. Dass manche sich verhärten, liegt also an dem Willen des Menschen, der gegen mich streitet, denn wenn ich auch will, dass alle erlöst werden, so wird das nur verwirklicht, wenn ein Mensch selbst dabei mitwirkt und seinen ganzen Willen zur Übereinstimmung mit meinem bringt.

Dass nicht alle die gleiche Vervollkommnung und Gnade empfangen, das liegt an dem verborgenen Gericht des Menschen. Ich weiß und teile nämlich jedem das zu, was ihm nützt und angemessen ist, und ich hindere das Streben des Menschen, dass er nicht noch tiefer fällt. Viele haben das Pfand der Gnade und könnten damit wirken, aber sie weigern sich. Andere halten sich aus Furcht vor Strafe von Sünde fern, weil sie keine Möglichkeit zu sündigen haben, oder weil die Sünde ihnen nicht gefällt. Manchen werden keine größeren Gaben geschenkt, weil ich, der ich allein den Sinn des Menschen kenne, weiß, meine Gaben zu verteilen.“

Antwort auf die 6. Frage.
„Auf die Frage, warum die Bösen manchmal größeren Erfolg auf Erden haben als die Guten, antworte ich weiter: Das ist ein Zeichen für meine große Geduld und Liebe, und das geschieht, um die Gerechten zu prüfen. Denn wenn ich allein meinen Freunden zeitliches Gut schenken würde, würden die Bösen verzweifeln und die Guten hochmütig werden.

Deshalb wird zeitliches Gut allen geschenkt, damit ich Gott, der Geber und Schöpfer aller Dinge, von allen geliebt werde, und damit die Guten, wenn sie Gefahr laufen, hochmütig zu werden, durch die Bösen zur Rechtschaffenheit erzogen werden. Es hat auch den Sinn, dass alle verstehen sollen, dass man das Zeitliche nicht lieben oder mir, Gott, vorziehen soll, sondern dass es nur zum Lebensunterhalt verwenden soll, und damit sie desto eifriger in meinem Dienst werden sollen, je mehr sie die Vergänglichkeit des Zeitlichen erkennen.“

Antwort auf die 7. Frage.
„Auf die Frage, warum der eine schon im Anfang berufen wird und der andere am Ende (des Lebens), antworte ich weiter: Ich bin wie ein Mutter, wenn sie sieht, dass ihre Kinder Hoffnung auf Leben haben, manchen kräftige Kost und anderen leichtere gibt. Mit denen, für die es keine Hoffnung gibt, hat sie Mitleid und tut für sie, was sie kann. Aber wenn es den Kindern von dem Heilmittel der Mutter nur noch schlechter geht – was nützt es dann noch, sich Mühe zu machen?

So verfahre ich auch mit den Menschen. Dem, bei dem ich voraussehe, dass sein Wille noch eifriger und seine Demut und Ausdauer noch standhafter wird, dem wird schon im Anfang (des Lebens) Gnade verliehen, und die wird ihm bis zum Ende bleiben. Wer in all seiner Bosheit doch danach strebt und daran arbeitet, besser zu werden, der verdient auch, noch gegen Ende berufen zu werden. Aber wer undankbar ist, verdient nicht, die Mutterbrust zu genießen.“