Dreizehnte Offenbarung im Buch der Fragen

Gott Vater spricht: „Es war ein Herr, dessen Diener zu ihm sagte: „Sieh, dein Acker ist gepflügt und die Wurzeln ausgerodet. Wann sollen wir nun den Weizen säen?“ Der Bauer antwortete ihm: „Wenn es auch aussieht, als wären die Wurzeln ausgerodet, sind doch alte Stubben Übriggelassen. Sie sollen im Frühling vom Regen und Wind aufgelöst werden. Warte deshalb bis zur Zeit des Säens!“

Da fragte ihn der Diener: „Was soll ich zwischen Frühling und der Erntezeit tun?“ Der Bauer erwiderte: „Ich kenne fünf Plätze. Jeder, der zu ihnen kommt, wird fünffache Frucht erhalten, wenn er nur rein, frei von Hochmut und brennend vor Liebe kommt. Am ersten Platz war ein Gefäß, verschlossen und doch nicht verschlossen, klein und doch nicht klein, leuchtend und doch nicht leuchtend, leer und doch nicht leer, rein und doch nicht rein.

An dem zweiten Platz wurde ein Löwe geboren, der zu sehen und doch nicht zu sehen war, den man hörte und doch nicht hörte, den man berühren und doch nicht berühren konnte, der bekannt wurde und doch unbekannt war, den man halten konnte und doch nicht. An dem dritten Platz war ein Lamm, das geschoren und doch nicht geschoren war, das verwundet und doch nicht verwundet war, das blökte und doch nicht blökte, das litt und doch nicht litt, das verendete und doch nicht starb.

An dem vierten Platz lagerte eine Schlange, die ruhte und doch nicht ruhte, die sich rührte und doch nicht rührte, die hörte und doch nicht hörte, die sah und doch nicht sah, die fühlte und doch nichts spürte. Auf dem fünften Platze war ein Adler, der flog und doch nicht flog, der an den Platz kam, den er nie verlassen hatte, der ruhte und doch nicht ruhte, der sich erneuerte und doch nicht erneuerte wurde, der sich freute und doch nicht freute, der geehrt wurde und doch nicht geehrt wurde.“

Auslegung und Erklärung
Der Vater sagte: „Das Gefäß, über das ich mit dir gesprochen habe, war Maria, die Tochter Joachims, die Mutter von Christi Menschengestalt. Sie war nämlich ein verschlossenes und doch unverschlossenes Gefäß. Sie war verschlossen für den Teufel, aber nicht für Gott. Wie ein Strom, der in ein Gefäß eindringen will, das seinen Weg hindert, aber es nicht kann, und sich deshalb einen anderen Eingang und Ausgang sucht, so wollte der Teufel, der ein Strom von Lastern genannt werden kann, mit seinen Ideen Marias Herzen nahen, aber er brachte es nicht fertig, ihre Seele zu der allerkleinsten Sünde zu bewegen, denn sie war gegen alle Versuchungen gefeit. Stattdessen floß der Strom meines Geistes in ihr Herz und erfüllte sie mit besonderer Gnade.

Zweitens war Maria, die Mutter meines Sohnes, ein kleines und doch kein kleines Gefäß, klein und gering in ihrer Demut und verachteten Stellung, groß und nicht klein in der Liebe zu meiner Göttlichkeit. Drittens war Maria ein leeres und doch kein leeres Gefäß, leer von aller Wollust und Sünde, aber nicht leer, sondern voll von himmlischer Lieblichkeit und aller Güte. Viertens war Maria ein leuchtendes und doch nicht leuchtendes Gefäß. Es war leuchtend, denn jede Seele ist zwar von mir geschaffen, aber Marias Seele wuchs zur Vollkommenheit allen Lichtes, so dass mein Sohn Wohnung in ihrer Seele nahm, über deren Schönheit sich Himmel und Erde freuten. Aber dieses Gefäß war nicht leuchtend vor den Menschen, denn sie verschmähte weltliche Ehre und Reichtum.

Fünftens war Maria ein reines und doch nicht reines Gefäß – rein, denn sie war ganz und gar schön, und es gab bei ihr nicht so viel Unreinheit, dass eine Nadelspitze daran befestigt werden konnte, und doch nicht rein, denn sie war aus Adams Geschlecht hervorgegangen und von Sündern geboren, jedoch empfangen ohne Sünde, damit mein Sohn ohne Sünde von ihr geboren und erzogen wurde, nicht bloß gereinicht werden, sondern auch ein Gefäß zu meiner Ehre werden.
Der zweite Platz ist Bethlehem, wo mein Sohn wie ein Löwe geboren wurde. Er wurde in seiner Menschengestalt gesehen und gehalten, aber in seiner Göttlichkeit war er unsichtbar und unbekannt.

Der dritte Platz ist der Kalvarienberg, wo mein Sohn als ein unschuldiges Lamm verwundet und in seiner menschlichen Gestalt gestorben ist, er, der in seiner Göttlichkeit nicht leiden und nicht sterben konnte.
Der vierte Platz war der Kräutergarten, wo mein Sohn begraben wurde. Dort wurde seine Menschengestalt beigesetzt und ruhte wie eine verächtliche Schlange, doch in seiner Göttlichkeit war er überall.
Der fünfte Platz war der Ölberg, von dem mein Sohn in seiner menschlichen Form wie ein Adler auf gen Himmel fuhr, doch in seiner Göttlichkeit war er ja immer dort. Er wurde erneuert und ruhte in seiner menschlichen Gestalt, aber in seiner Göttlichkeit hatte er immer geruht und ist immer derselbe gewesen.

Wer deshalb rein und mit gutem und vollkommenen Willen an diese Plätze kommt, der wird sehen und schmecken dürfen, wie lieblich und herrlich ich, Gott, bin. Wenn du selbst an diese Plätze kommst, werde ich dir noch mehr zeigen.“