11. Kapitel

Gottes Mutter spricht zur Braut und sagt: „Alles wurde beim Tode meines Sohnes betrübt. Denn die Gottheit, die den Sohn dem Tode überließ und sich niemals von ihm trennte, nicht einmal im Tode, schien in dieser Todesstunde gleichsam Mitleid zu fühlen, obwohl die Gottheit keine Pein oder Qual leiden konnte, da sie unveränderlich und außerstande ist, zu leiden.
Der Sohn stand die Qual in allen Gliedern aus, ja auch im Herzen, obwohl er in seiner Gottheit unsterblich war. Ebenso litt seine Seele, die unsterblich war, als sie den Leib verließ. Auch die versammelten Engel schienen ebenso betrübt, als sie Gott in seiner Menschengestalt auf Erden leiden sahen.

Aber wie können die Engel, die unsterblich sind, betrübt werden? Ja, so wie sich der Gerechte, wenn er seinen Freund um etwas leiden sieht, wodurch er die größte Ehre erlangen wird, sicher über die Ehre freut, die der Freund gewinnen wird, aber doch in gewissem Maß über sein Leiden trauert, so wurden sozusagen auch die Engel über die Pein meines Sohnes betrübt, obwohl sie ja nicht leiden konnten – aber sie freuten sich über seine künftige Ehre und den Nutzen, der von seinem Leiden kommen sollte.

Auch alle Elemente trauerten: Sonne und Mond verloren ihren Schein, die Erde bebte, die Steine spalteten sich, und die Gräber taten sich beim Tode meines Sohnes auf. Alle Heiden trauerten, wo sie auch waren, denn in ihr Herz kam etwas wie ein Stich vor Schmerz, obwohl sie gar nicht wussten, woher das kam. Ja, auch die, die ihn gekreuzigt hatten, wurden in der Stunde in ihrem Herzen betrübt, wenn auch nicht zu ihrer Ehre.

Sogar die unreinen Geister wurden in der Stunde betrübt, die gleichsam versammelt waren, um zu trauern. Die, welche in Abrahams Schoß waren, trauerten so sehr, dass sie lieber auf ewig im Totenreich sein wollten, als mit anzusehen, wie der Herr so geplagt wurde. Und ich, seine jungfräuliche Mutter, die da neben dem Kreuz meines Sohnes stand, litt einen solchen Schmerz, dass sich ihn niemand vorstellen kann. Bedenke daher, meine Tochter, das Leiden meines Sohnes und fliehe die Unbeständigkeit der Welt, die nur wie ein trügerischer Anblick und eine Blüte ist, die schnell verwelkt.“