22. Kapitel

Der Sohn spricht: „Der Prälat, für den du, meine Braut, bittest, hat sich nun in dreifacher Weise wieder mir zugewandt. Erstens als ein nackter Mann. Zweitens, als ob er ein Schwert in der Hand halten würde. Drittens, als ob er seine Hand ausstrecken und um Vergebung bitten würde. Deshalb werde auch ich mich um der Bitten meiner Mutter willen ihm zuwenden und ihm entgegeneilen wie eine Mutter, die ihren verlorenen Sohn wieder gefunden hat.

Wenn auch meine Apostel mir ihre Gebete für ihn dargebracht haben, konnten sie doch nur eine geringe Gnade für ihn erwirken, denn seitdem er die Würde meiner Kirche angenommen hatte, stand er gegen mich und hat die Kirche nicht als ein guter Vorgesetzter verwaltet. Nun will ich ihn jedoch bekleiden, so dass er nicht mehr nackt dasteht. Was ist seine Nacktheit anders, wenn nicht seine wenigen guten Taten? Diese guten Werke sollten seine Seele mit Tugenden kleiden, aber nun steht er in meinen Augen nackt da, obwohl es ihm selbst so vorkommt, als wäre er bekleidet.

Ich werde ihm nun wegen der Bitten meiner Mutter und meiner Heiligen helfen, so dass er bekleidet werden kann und ein Gewand anzieht, denn er ist nackt zu mir gekommen. Ja, er kam nackt zu mir, als er so bei sich dachte: „Ich habe von mir selbst nichts Gutes, ich kann nichts Gutes außer Gott, ich habe auch nichts Gutes verdient. Wenn ich wüsste, wie ich Gott gefallen könnte, und was ihm wohlgefällig ist, so würde ich das gerne tun, auch wenn ich sterben muss.“ Durch einen solchen Gedanken kam er nackt zu mir, und deshalb werde ich ihm entgegeneilen und ihn bekleiden.

Er hatte auch ein Schwert in Händen, als er die Strenge meines Gerichts betrachtete und zu sich selbst sagte: „Gottes Gericht ist unerträglich, und es ist unmöglich, ihm zu entgehen; daher will ich gern alles tun, was Gott von mir will, und ich bin mit meinem Willen bereit, seinen Willen zu befolgen, denn ich habe keine guten Werke aufzuweisen – mag es also nach seinem Willen gehen, und nicht nach meinem.

Dieser Gedanke und dieser Wille haben das Schwert meiner Strenge von ihm genommen und ihm meine Barmherzigkeit gebracht. Drittens streckte er die Hand aus, als er bei sich dachte: „Ich weiß bei mir, dass ich über die Maßen gesündigt habe und verdient habe, verdammt zu werden. Doch ich vertraue auf deine Güte, Herr Gott, und hoffe auf Hilfe von dir. Du hast ja den Verfolger Paulus nicht zurückgestoßen und die Sünderin Magdalena nicht verachtet. Daher wende ich mich an dich, o Herr, damit du mit mir nach deiner großen Güte und Barmherzigkeit handelst.“

Wegen dieses Gedankens und dieses Begehrens will ich ihm die Hand meiner Barmherzigkeit reichen, und ich will ihm eine erhöhte Süßigkeit schenken, wenn er nur mannhaft die drei Dinge vollendet, über die ich jetzt reden will. Er soll nämlich alle Hoffahrt und alle Prahlerei verjagen und wahre Demut annehmen. Zweitens soll er alle Gewinnsucht aus seinem Herzen entfernen und das Irdische, was ihm gegönnt wird, als ein guter Verwalter besitzen, der seinem Herrn Rechenschaft ablegen kann.

Drittens soll er sich in Acht nehmen, dass er nicht seine Sünden und die seiner Untergebenen vergisst, sondern sie mit Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zurechtbringt, indem er meine Taten betrachtet, die ich aus Barmherzigkeit an Steuereinziehern und an Dirnen getan habe, und der aus Gerechtigkeit die Hochmütigen verachtete.

Steht nicht geschrieben, dass ein Mann zu mir kam und sagte: „Meister, ich will dir folgen, wohin du gehst“ – aber ich habe ihm geantwortet: „Nein, denn die Füchse haben Höhlen“? Und warum habe ich ihn abgelehnt, wenn nicht deshalb, weil ich sein Herz und seinen Willen sah, dass er Ehre haben und Unterhalt ohne Arbeit haben wollte? Deshalb wurde er mit Recht von mir zurückgewiesen.

So soll auch dieser handeln. Denn gegen jeden Sünder, der zu ihm kommt und sich demütigt, der gehörige Besserung zeigt und um Vergebung bittet, soll er Barmherzigkeit zeigen. Wen er findet, dass er in seiner Sünde verharren will und sich nicht bessert, den soll er in einer maßvollen und klugen Weise körperlich strafen oder ihm Geldstrafen auferlegen. Er soll sich aber davor hüten, dass er diese Geldstrafe nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Liebe und Gerechtigkeit verhängt, und er soll die Gelder so verwenden, dass er vor Gott eine gute Rechenschaft darüber ablegen kann. Das Geld soll dem Missetäter gerecht und barmherzig abgenommen werden und weise zu einem göttlichen Zweck verwendet werden.

Aber wenn der, dem einmal eine Geldstrafe auferlegt ist, doch nicht zur Besinnung kommen will, so soll er ihm das Einkommen und sein hohes Amt nehmen, so dass der Sünder schamhaft dasteht wie ein Esel, der glaubt, eine hohe Würde zu besitzen, wenn er einen goldenen Sattel trägt, aber doch ein unvernünftiges Tier wie vorher ist, nachdem der Goldsattel weggenommen ist.
So werde ich, der Schöpfer aller Dinge, handeln: Ich will den Mensch erst mit zeitlicher Trauer und Krankheit und mit dem bestrafen, was seinem Willen zuwiderläuft, und wenn er sich dann nicht bessern will, werde ich ihm meine Barmherzigkeit entziehen und ihn in der Pein belassen, die ihm gerechterweise bereitet ist.“