56. Kapitel

Maria spricht: „Als meine Mutter mich gebar, trat ich durch die gewöhnliche Pforte aus. – Auf irgendeine andere Weise soll nämlich keiner geboren werden, außer meinem Sohn allein, denn so, wie er der Schöpfer aller Dinge ist, so wollte er auf seltsame und unaussprechliche Weise geboren werden.

Als ich geboren wurde, war dies den Teufeln nicht verborgen, sondern (um nun in einem Gleichnis zu sprechen): Die dachten so: „Sieh, eine Jungfrau ist geboren – was sollen wir da tun? Es sieht ja so aus, als ob einmal etwas Wunderbares durch sie geschehen wird. Wenn wir alle unsere Netze des Bösen für sie auslegen, wird sie die wie Flachs zerreißen. Wenn wir ihr ganzes Innere erforschen, wird sie mit einer starken Schutzwehr gewappnet sein. Und es gibt ja nicht einen einzigen Fleck an ihr, wo auch nur die Nadelspitze einer Sünde befestigt werden könnte. Daher ist zu befürchten, dass uns ihre Reinheit quälen könnte, dass ihre Gnade die Stärke vermindern könnte, die wir haben, und dass uns ihre Standhaftigkeit unter ihre Füße zwingen könnte.“

Aber Gottes Freunde, die schon lange warteten, sagten durch Gottes Eingebung: „Warum trauern wir noch? Eher sollten wir uns freuen, denn es ist ein Licht geboren, wodurch unser Dunkel erhellt wird und unser Sehnen in Erfüllung geht.“ Gottes Engel freuten sich, obwohl ihre Freude immer im Anschauen Gottes bestand, und sie sagten: „Auf Erden ist etwas Herrliches geboren, etwas, was Gegenstand für Gottes besondere Liebe bildet, dadurch wird im Himmel und auf Erden der wahre Frieden hergestellt und unsere eingestürzten Mauern wieder aufgebaut werden.“

Ich sage dir in Wahrheit, Tochter, dass meine Geburt der Anlass zu wahren Freuden war, denn da ging der Zweig auf, auf dem der Spross erblühen sollte, nach dem sich Könige und Propheten gesehnt haben. Als ich dann so alt geworden war, dass ich etwas von meinem Schöpfer verstehen konnte, wurde ich von unsagbarer Liebe zu ihm entflammt und liebte ihn von ganzem Herzen. Durch eine wunderbare Gnade wurde ich bewahrt, so dass ich nicht einmal in meinem reifen Alter in irgendeine Sünde einwilligte, denn Gottes Liebe, die Fürsorge meiner Eltern, eine ehrbare Erziehung, der Umgang mit guten Menschen sowie das Verlangen, Gott kennen zu lernen, waren immer für mich kennzeichnend.

Aber nun klage ich darüber, dass die Frauen, die geboren werden und mit Schrecken gebären, die mit Unreinheit geboren werden und darin Vergnügen finden und nicht meine so reine Geburt beachten, sondern schlimmer als Vieh sind, da sie ohne Vernunft leben. Sie leben ganz und gar nach dem Fleisch. Daher wird die Lust und der Geist der Reinheit von ihnen weichen und die ewige Freude vor ihnen fliehen, und der Geist der Unreinheit, dem sie gefolgt sind, wird sie trunken machen.“