65. Kapitel

Gottes Sohn spricht: „Es gibt zwei Lebensarten. Sie gleichen denen von Martha und Maria. Wer ihnen folgen will, soll erst eine reine Beichte über alle seine Sünden ablegen, aufrichtige Reue über sie empfinden und willens sein, hinfort nicht mehr zu sündigen. Die erste Lebensart, die Maria wählte (das bezeuge ich, der Herr), führt zur Betrachtung des Himmlischen. Das ist der beste Teil und die Reise zur ewigen Erlösung. Für jeden, der Marias Leben führen möchte, sollte es also ausreichen, nur das Lebensnotwendige für den Leib zu haben, nämlich Kleider ohne auffälligen Zierrat, sparsames Essen und Trinken und nicht im Überfluss, Keuschheit ohne böses Begehren und vernünftiges Fasten nach den Vorschriften der Kirche.

Wer fastet, soll darauf achten, dass er durch unverständiges Fasten nicht schwach und matt wird, so dass er seine Gebete oder seine Predigt durch diesen Zustand der Schwachheit nicht vermindert oder dadurch andere gute Dinge versäumt, mit denen er seinem Nächsten und sich selber nützen kann. Er soll auch sorgfältig darauf achten, dass er durch das Fasten nicht dabei ermüdet, die strenge Gerechtigkeit oder barmherzige Taten auszuüben, denn man braucht körperliche und geistige Kraft, Aufsässige zu strafen, und die Ungläubigen unter das Joch des Glaubens zu zwingen.

Deshalb wird jeder kranke Mensch, der lieber zu Gottes Ehre fasten will statt essen, für seinen guten Willen einen ebenso großen Lohn wie der empfangen, der aus Liebe zu Gott vernünftig fastet. Ebenso wird der, der aus frommen Gehorsam isst, aber lieber fasten als essen würde, einen ebenso großen Lohn wie der empfangen, der fastet.

Zweitens soll Maria sich nicht über weltliche Ehre und weltliches Glück freuen und sich keine Sorgen über Unglück machen. Stattdessen soll sie sich darüber freuen, dass die Gottlosen fromm werden, dass die Liebhaber der Welt Gott lieben, dass die guten Menschen im Guten zunehmen und immer frommer werden, wenn sie im Dienste Gottes kämpfen. Und Maria soll darüber trauern, dass die Sünder schlechter werden, dass Gott von seinen Geschöpfen nicht geliebt wird, und dass Gottes Gebote verachtet werden.

Drittens darf Maria nicht untätig sein, wie auch Martha nicht, sondern nach ihrem notwendigen Schlaf soll sie aufstehen und Gott mit der ganzen Aufmerksamkeit ihres Herzens danken, denn er hat in seiner Güte alles geschaffen, und in seiner Liebe nahm er Menschengestalt an und hat allem neues Leben gegeben, indem er mit seinem Leiden und seinem Tod dem Menschen seine Liebe zeigte, die nicht größer sein kann.

Maria soll Gott auch für alle danken, die schon erlöst sind, für alle, die im Fegefeuer sind und für die, die noch auf Erden sind, wobei sie Gott demütig bitten soll, dass er diese Menschen nicht über ihr Vermögen in Versuchung bringen lässt. Maria soll auch klug im Beten sein und ihren Lobpreis Gottes gut einrichten, denn wenn sie das zum Leben Notwendige hat, ohne sich darum zu sorgen, soll sie lange Gebete verrichten. Aber wenn sie beim Beten Müdigkeit spürt und ihre Versuchungen zunehmen, so kann sie mit ihren Händen irgendeine ehrbare und nützliche Arbeit verrichten – entweder zu ihrem eigenen Nutzen, wenn wie es braucht, oder zum Nutzen anderer.

Aber wenn sie für beide Dinge müde ist, d.h. zum Beten und zum Arbeiten, dann kann sie sich irgend einer ehrbaren Beschäftigung widmen, oder ernsthaft auf erbauliche Worte hören, ohne Leichtfertigkeit, bis Körper und Seele wieder besser in der Lage sind, für Gott zu wirken. Aber wenn Maria nicht ohne ihre eigene Arbeit den Lebensunterhalt hat, dann soll sie ihrer notwendigen Arbeit wegen ein kürzeres Gebet verrichten, und die Arbeit selbst soll die Vollkommenheit und den Zusatz zum Gebet bilden.

Und wenn Maria nicht in der Lage ist, zu arbeiten, so soll sie sich nicht schämen oder es beschwerlich finden, zu betteln, sondern soll es eher freudig tun, denn dann ahmt sie mich, Gottes Sohn, nach, der sich selbst arm gemacht hat, damit der Mensch reich werde. Wenn Maria dem Gehorsam eines Klosters unterworfen wäre, so sollte die dem Gebot ihres Vorgesetzten folgen, und sie wird dann eine doppelt so große Krone empfangen, als wenn sie in Freiheit lebte.

Viertens darf Maria nicht knauserig sein, ebenso wenig wie Martha, sondern wohltätig und freigebig. Denn so wie Martha zeitliche Dinge für Gott ausgab, so soll Maria ihr geistliches Gut verteilen. Wenn Maria Gott in ihrem Herzen lieb hat, soll sie sich vor dem Wort hüten, das viele im Munde führen, in dem sie sagen: „Es reicht mir, wenn ich meiner eigenen Seele helfen kann – was geht mich das Tun und Lassen meiner Mitmenschen an? Wenn ich selbst gut bin, was berührt es mich da, wie andere leben?“

O Tochter, die so etwas sagen und denken, die sollten, wenn sie sähen, dass ihr Freund entehrt wird oder Schmerzen leidet, ihr Leben aufs Spiel setzen, um ihren Freund aus seiner Drangsal zu befreien. So muss Maria handeln. Sie muss nämlich darüber traurig sein, dass ihr Gott beleidigt wird und darüber, dass ihr Bruder, d.h. ihr Nächster, Ärger hinnehmen muss. Und wenn jemand in Sünde gerät, so soll Maria sich bemühen, so viel sie kann, dass dieser von der Sünde befreit wird, doch mit aller Klugheit. Wenn Maria deswegen verfolgt wird, soll sie einen anderen, sichereren Platz aufsuchen, denn ich, Gott, habe selbst gesagt: „Wenn ihr in einer Stadt verfolgt werdet, so flieht in eine andere.“ Das hat auch Paulus getan; weil man ihn noch einmal wieder brauchen würde, wurde er in einem Korb die Mauer hinuntergelassen.

Dafür, dass Maria freigebig und wohltätig sein kann, sind fünf Dinge für sie notwendig. Erstens ein Haus, in dem die Gäste schlafen. Zweitens Kleider, um die Nackten einzukleiden. Drittens Nahrung, um die Hungernden zu sättigen. Viertens Feuer, um die Frierenden zu wärmen. Fünftens Heilmittel für die Kranken, d.h. tröstende Worte, erfüllt von göttlicher Liebe.

Marias Haus ist ihr Herz. Seine bösen Gäste sind all das Böse, was ihr zustößt und was ihr Herz beunruhigt, so wie Zorn, Traurigkeit, Gewinnsucht, Hochmut und dergleichen Stimmungen, die durch die fünf Sinne eindringen. Alle solche Laster müssen daher, wenn sie kommen, sozusagen liegen wie die Gäste, die schlafen und in Ruhe sind. Denn so, wie ein Wirt böse und gute Gäste mit Geduld aufnimmt, so muss Maria, ausgerüstet mit der Tugend der Geduld, alles Gott zuliebe ertragen und nicht im geringsten mit den Lastern einverstanden sein oder sich an ihnen erfreuen, sondern sie mit Gottes Gnade und ihrer eigenen Mithilfe aus ihrem Herzen entfernen, soweit sie kann. Wenn sie nicht in der Lage ist, sie zu entfernen soll sie – obwohl diese ihrem Willen entgegenstehen, sie geduldig als Feinde ertragen, im Bewusstsein dessen, dass sie ihr zu einer größeren Belohnung und keineswegs zur Verdammung dienen.

Zweitens soll Maria Kleider haben, womit die Gäste bedeckt werden, d.h. innere und äußere Demut sowie Mitleid mit Not leidenden Menschen. Aber wenn Maria merkt, dass sie von den Menschen verachtet wird, soll sie gleich in sich gehen und bedenken, wie ich, Gott, verachtet wurde und doch geduldig war, wie ich vor dem Richterstuhl geschwiegen habe, wie ich gegeißelt wurde und die Dornenkrone trug und doch nicht gemurrt habe.

Maria soll auch darauf achten, dass sie denen, die sie schmähen, kein Anzeichen von Zorn oder Ungeduld zeigt; sie soll stattdessen die segnen, die sie verfolgen, so dass die, die das sehen, Gott segnen, dem Maria nacheifert. Dann wird Gott selbst seinen Segen statt Verdammung schenken. Maria muss auch darauf achten, dass sie nicht schlecht von denen spricht, die ihr Verdruss bereiten, denn es ist verwerflich, herabsetzende Reden über andere zu führen oder darauf zu hören, und seinen Nächsten aus Ungeduld Vorwürfe zu machen. Daher soll Maria, wenn sie das Gut der Demut und Geduld besitzen will, versuchen, die zu ermahnen, die andere verleumden, soll sie vor ihrer Gefahr warnen und sie liebevoll mit Wort und Beispiel zu wahrer Demut ermuntern.

Marias Tracht soll das Mitleid sein. Wenn sie ihren Nächsten sündigen sieht, soll sie Mitleid mit ihm haben und Gott bitten, sich seiner zu erbarmen. Wenn sie sieht, dass er Unrecht, Schaden oder Schimpf erleidet, soll sie ihn beklagen und ihm mit ihren Gebeten, ihrem Beistand und ihrer Fürsorge helfen, auch vor den Mächtigen dieser Welt, denn das wahre Mitleid sucht nicht sein eigenes, sondern das Wohl der Mitmenschen.

Aber wenn Maria in einer solchen Lage ist, dass sie von den Fürsten nicht gehört wird, oder wenn sie etwas damit ausrichtet, dass sie ihre Zelle verlässt, da soll sie für die in Not Geratenen vertrauensvoll zu Gott beten, und Gott, der die Herzen kennt, wird um der Liebe des Beters willen das Herz der Menschen zum Frieden wenden, und dieser wird entweder aus seiner Drangsal befreit werden, oder Gott wird ihm auch Geduld schenken, so dass seine Belohnung verdoppelt wird. Ein solches Kleid, nämlich Demut und Mitleid, muss auch Marias Herz besitzen, denn nichts führt die Seele so sicher zu Gott, wie Mitleid mit dem Nächsten.

Drittens soll Maria Speise und Trank für die Gäste haben. Schwierige Gäste besuchen Marias Herz, wenn das Herz vom Inneren abgezogen wird, wenn es sich danach sehnt, irdische Belustigungen zu sehen und zeitliche Dinge zu besitzen, wenn das Ohr das eigene Lob hören möchte, wenn der Geist eine Entschuldigung für Gebrechlichkeit vorbringt und die Sünde für leicht hält, wenn der Mensch im Guten ermüdet und das Zukünftige vergisst, wenn er meint, es seien viele gute Werke da, aber die bösen vergisst.

Wenn Maria solche Gäste bekommt, ist es nicht ratsam, dass sie schläft und sich um gar nichts kümmert, sondern sie soll beseelt von ihrem Glauben, mannhaft aufstehen und diesen Gästen antworten: „Ich will nichts Zeitliches besitzen, sondern nur den maßvollen Unterhalt für meinen Körper haben. Ich will auch nicht die kürzeste Zeit für etwas anderes als für Gottes Ehre benutzen, und ich will nicht darauf achten, ob etwas schön oder hässlich ist, nützlich oder unnütz für das Fleisch, wohlschmeckend oder nicht, sofern dies nicht zu Gottes Wohlgefallen oder zum Nutzen der Seele ist, denn ich möchte keine einzige Stunde leben, als Gott zur Ehre. Ein solcher Wille ist Nahrung für die ankommenden Gäste, eine solche Antwort vertreibt alle ungeordnete Begierde.

Viertens soll Maria Feuer haben, um die Gäste zu wärmen und es ihnen hell zu machen. Dieses Feuer ist die Glut des Heiligen Geistes. Es ist gewiss für jemanden unmöglich, seinen eigenen Willen oder seine körperliche Zuneigung zu Verwandten zu verleugnen, oder seine Liebe zu Reichtümern ohne die Eingebung und Glut des Heiligen Geistes zu verbergen. Und Maria kann – wie vollkommen sie auch sein mag – nicht ein heiliges Leben ohne die Liebe und Erleuchtung des Heiligen Geistes beginnen oder fortsetzen.

Wenn Maria die Gäste, die kommen, verwöhnen will, soll sie zuerst denken: „Gott hat mich zu dem Zweck geschaffen, dass ich ihn über alles ehren und ihn dadurch lieben und fürchten soll. Er wurde von einer Jungfrau geboren, um mich den Weg zum Himmel zu lehren; diesen Weg soll ich in Demut wandern. Dann hat er durch seinen Tod den Himmel aufgetan, damit ich mich danach sehne und beeile, dorthin zu kommen.“

Maria soll auch alle ihre Werke, Gedanken und Gefühle bedenken und prüfen – ob sie Gott beleidigt, und wie geduldig Gott den Menschen erträgt, und auf wie viel Arten er den Menschen zu sich ruft. Solche Gedanken sollen Marias Gäste sein, die alle sozusagen im Dunklen sind, sofern sie nicht vom Feuer des Heiligen Geistes erhellt werden.

Dieses Feuer entsteht im Herzen, wenn Maria denkt, das sei klug, Gott zu dienen, und wenn sie lieber alle Leiden ertragen will, als Gott bewusst zum Zorn zu reizen – ihn, der in seiner Güte die Seele geschaffen und sie mit seinem gesegneten Blut erlöst hat. Das Herz erhält außerdem Licht von diesem guten Feuer, wenn die Seele bedenkt und unterscheidet, mit welcher Absicht jeder Gast, d.h. jeder Gedanke, kommt, und wenn das Herz prüft, wie weit die Gedanken auf die ewige oder die vergängliche Freude gerichtet sind, und keinen Gedanken ungeprüft, keinen ungestraft und keinen ohne Furcht lässt.

Damit dieses Feuer erhalten und bewahrt wird, ist es notwendig, dass Maria dürres Holz sammelt, mit dem das Feuer unterhalten werden kann, d.h. sie muss gewissenhaft auf die Regungen des Fleisches achten, so dass das Fleisch sich nicht überhebt, und darauf Wert legen, dass ihre frommen Werke und Gebete vermehrt werden, denn daran hat der Heilige Geist Freude.

Aber am allermeisten muss sie wissen und bedenken, dass – wenn man ein Feuer in einem verschlossenen Gefäß ohne Öffnung verwahrt, so erlischt es bald, und das Gefäß erkaltet. So ist es auch mit Maria, denn wenn sie für nichts anderes leben will, als für Gottes Ehre zu wirken, so ist es notwendig, dass ihr Mund Offengelassen wird, und die Flamme ihrer Liebe herausdrängt. Ihr Mund wird aufgelassen, wenn sie aus brennender Liebe spricht und Gott geistliche Kinder gebärt.

Und Maria soll genau beachten, dass sie ihren Mund zur Verkündigung auftut, wenn die Guten dadurch noch eifriger werden und die Schlechten besser werden können, die Gerechtigkeit erhöht wird und schlechte Gewohnheit ausgemerzt werden. Denn mein Apostel Paulus wollte manchmal reden, aber es wurde ihm vom meinem Geist verboten, und so schwieg er gelegentlich, aber redete, wenn das angebracht war; manchmal wählte er leichtere Worte, manchmal strengere, und alle seine Worte und Werke richtete er auf Gottes Ehre und zur Befestigung des Glaubens aus.

Aber wenn Maria nicht die Möglichkeit hat, zu predigen, aber doch den Willen und die Kenntnis dafür hat, soll sie es machen wie der Fuchs, der um seine Jungen herumgeht, mehrere Plätze mit den Füßen untersucht und seinen Bau dort anlegt, wo er findet, dass es am besten und geeignetsten ist. Auf diese Weise soll Maria durch Worte, Beispiele und Gebete die Herzen vieler Menschen prüfen, und da, wo sie die Herzen besonders aufgeschlossen findet, Gottes Wort anzunehmen, da soll sie nicht zögern und ermuntern und ermahnen, soviel sie kann.

Maria soll auch zusehen, dass ihr Feuer einen geeigneten Abzug hat, denn je größer die Flamme ist, desto mehr Menschen werden erleuchtet und dadurch gewärmt. Die Flamme hat einen geeigneten Abzug, wenn Maria keine Angst vor Tadel hat und nicht ihr eigenes Lob sucht, wenn sie keine Widerstände fürchtet oder Freude an Erfolgen hat, und da gefällt es Gott auch besser, dass Maria ihre guten Werke offen statt im Verborgenen tut, so dass die, die sie sehen, Gott verherrlichen können.

Nun soll man wissen, dass Maria zwei Flammen aussenden muss, eine verborgen und eine offen, d.h. sie muss zwei Arten von Demut besitzen. Die erste muss innen im Herzen sein, die andere außen. Die erste besteht darin, dass Maria sich für unwürdig und unnütz zu allem Guten hält, sich in ihren Gedanken nicht für mehr als andere hält und nicht darauf aus ist, gerühmt und gesehen zu werden, dass sie den Übermut flieht und Gott über alles begehrt und sein Wort befolgt. Wenn Maria durch das Zeichen ihrer Taten eine solche Flamme aussendet, dann wird ihr Herz von Liebe erleuchtet, und alle Widrigkeiten, die eintreffen, werden leicht überwunden und ertragen.

Die zweite Flamme muss allen offenbar sein, denn wenn wahre Demut im Herzen wohnt, so muss sie auch in der Kleidung zum Ausdruck kommen, in Worten gehört und in Taten vollendet werden. Die Kleidung zeugt von wahrer Demut, wenn Maria eine Tracht bevorzugt, die von geringerem Wert ist, von der sie aber doch Wärme und Nutzen hat – als eine Tracht, die größeren Wert hat, und mit der sie in ihrer Hoffart prunken kann.

Denn die Tracht, die wenig wert ist und von Menschen als dürftig und verächtlich angesehen wird, die ist wirklich schön für Gott, da sie ja doch Demut erweckt. Aber die Kleidung, die im Einkauf teuer ist und schön genannt wird, die ist für Gott hässlich, da sie die Schönheit der Engel vertreibt, nämlich die Demut. Aber wenn Maria aus irgendeinem vernünftigen Anlass gezwungen wird, eine etwas bessere Kleidung zu tragen, als sie eigentlich wollte, so soll sie deshalb nicht betrübt sein, denn dadurch wird ihre Belohnung größer werden.

Ferner muss Maria Demut im Munde haben, d.h. demütige Worte reden, Leichtfertiges vermeiden, sich davor hüten, viele Worte zu machen, nicht mit Haarspaltereien kommen, und ihre Ansicht nicht für wichtiger zu halten, als die von besseren Menschen. Aber wenn Maria hört, dass sie für irgendeine gute Tat gerühmt wird, so soll sie nicht stolz sein, sondern antworten: „Lob sei Gott, der alles gegeben hat! Was bin ich anderes, als Staub im Wind? Was kann Gutes von mir kommen, die wie Erde ohne Wasser ist?
Wenn sie beschimpft wird, soll sie nicht betrübt sein, sondern antworten: „Das ist gerecht, denn ich habe oft in Gottes Augen gesündigt und habe keine ausreichende Reue empfunden. Ich habe noch größere Trübsale als diese verdient. Bittet deshalb für mich, dass ich eine zeitliche Schmähung ertrage, aber der ewigen entgehe.“

Wenn Maria durch die Bosheit ihrer Mitmenschen zum Zorn gereizt ist, soll sie sich davor hüten, dass Band ihrer Zunge durch unkluge Antworten zu lösen, denn Zorn wird oft von Hochmut begleitet. Daher ist es ratsam, wenn Zorn und Hochmut sich bemerkbar machen, dass die Lippen so lange geschlossen bleiben, dass man Zeit hat, Gott um Hilfe zu bitten, auszuhalten und überlegt, was oder wie man antworten soll. Da gewinnt der Mensch einen Sieg über sich selbst, sein Zorn wird im Herzen gemildert, und er ist imstande, den Unklugen klug zu antworten.

Du sollst auch wissen, dass der Teufel großen Unwillen gegen Maria hegt; wenn er sie nicht dazu bringen kann, Gottes Gebot zu übertreten, so macht er es ihr leicht, sehr zornig zu werden, oder sich ausgelassen eitler Freude hinzugeben, oder er reizt sie zu leeren, plappernden Späßen. Daher soll Maria stets Gott um Hilfe bitten, dass all ihr Reden und Handeln von ihm gelenkt und auf ihn gerichtet wird.

Ebenso soll Maria in ihren Werken Demut haben, so dass sie nichts um irdischer Berühmtheit willen tut, nicht versucht, neue Sitten einzuführen, sich der Demut nicht schämen, alles Besondere in ihrem Tun und Lassen vermeiden, sich für geringer als alle anderen und unwürdig in allen Dingen halten. Weiter soll Maria es vorziehen, mit den Armen zusammen zu sein, als mit den Reichen zu verkehren, lieber zu gehorchen, als übergeordnet zu sein, lieber zu schweigen als zu reden, lieber einsam zu sein, statt mit großen Leuten oder mit Verwandten umzugehen.
Maria soll auch ihren eigenen Willen hassen, stets an ihren Tod denken, nicht neugierig sein oder murren, und nicht Gottes Gerechtigkeit und ihre eigene Sehnsucht nach ihm vergessen. Maria soll auch fleißig beichten, in der Stunde der Versuchung auf der Hut sein und nicht zu einem anderen Zweck leben zu wollen, als für die Vermehrung von Gottes Ehre und der Erlösung der Seelen.

Wenn nur Maria, die so beschaffen ist, wie bisher beschrieben, ausgewählt ist, das zu tun wie Martha, und aus Liebe zu Gott gehorcht und den Auftrag übernimmt, die Seelen vieler Menschen zu lenken, so wird sie eine doppelte Belohnung erhalten, wie ich dir durch ein Gleichnis zeigen will. Es war ein mächtiger Herr, der ein Schiff mit teuren Handelswaren besaß, und der zu seinen Dienern sagte: „Segelt zu dem und dem Hafen, denn dort kann ich großen Gewinn und ehrenvolle Früchte ernten. Arbeitet tüchtig, wenn Sturm aufkommt, und werdet nicht müde, denn euer Lohn wird groß sein.“

Als nun die Diener segelten, kam ein schwerer Sturm auf, die Wogen gingen hoch, und das Schiff wurde schwer hin und her geworfen. Da wurde der Steuermann müde, und alle verzweifelten am Leben und kamen überein, sich in einen Hafen zu begeben, wohin sie den Wind im Rücken hatten – und nicht zu dem Hafen, den ihr Herr ihnen angegeben hatte. Einer der Diener, der treuer war, hatte das gehört; er brannte vor Eifer für seinen Herrn, ergriff mit Gewalt das Ruder und lenkte mit seinen Kräften das Schiff in den Hafen, wie es der Herr wollte. Der Mann, der das Schiff so mannhaft in den Hafen lenkte, hat infolgedessen einen größeren Lohn verdient, als die anderen.

Dasselbe gilt für einen guten kirchlichen Vorgesetzten, der aus Liebe zu Gott und für die Erlösung der Seelen die Bürde der Lenkung auf sich nimmt, ohne auf die Ehre Wert zu legen. Ein solcher Mann wird doppelten Lohn erhalten. Außerdem wird seine Ehre ohne Ende erhöht werden.
Aber die, die auf Ehrenerweise und auf die Stellung eines Vorgesetzten aus sind, die werden die Sünden und Strafen derer erhalten, die es übernommen haben, sie zu regieren. Ferner wird ihre Schande ohne Ende dauern, denn die Prälaten, die sich nach Ehrenbezeugungen sehnen, sind eher wie Huren als Prälaten, da sie durch ihr schlechtes Beispiel und ihre Worte die Seelen zu Fall bringen, und sie sind nicht wert, Maria oder Martha genannt zu werden, sofern sie nicht Buße tun und sich bessern.

Fünftens soll Maria ihren Gästen Heilmittel geben, d.h. sie mit guten Worten erfreuen, denn bei allem, was geschieht, sei es froh oder traurig, muss sie sagen: „Ich will alles, was Gott will, dass ich es will, und ich bin bereit, seinem Willen zu gehorchen, auch wenn ich in der Hölle landen sollte.“ Ein solcher Wille ist ein Heilmittel für alles, von dem das Herz betroffen werden kann; er ist Freude in Trübsal und gute Mäßigkeit im Glück.

Aber da Maria viele Feinde hat, ist es angebracht, dass sie oft die Beichte ablegt. Denn so lange sie bewusst in der Sünde verharrt und vergisst oder sich nicht darum kümmert, zu beichten, obwohl sie Zugang zu einem Beichtvater hat, kann sie eher abfällig von Gott genannt werden.

Weiter von den Taten im Leben Marthas.
Du sollst auch wissen, dass – obwohl Marias Leben der beste Teil ist, ist doch Marthas Teil nicht schlecht; nein, er ist dagegen für Gott lobenswert und wohlgefällig. Deshalb will ich dir nun sagen, wie Martha beschaffen sein soll.
Sie muss wie Maria fünf gute Dinge haben. Erstens soll sie den rechten Glauben der Kirche Gottes festhalten. Zweitens muss sie die Gebete der Gottheit und den Rat der evangelischen Wahrheit kennen und ihn im Willen und der Tat vollenden. Drittens soll sich ihre Zunge von jedem bösen Wort fernhalten, das gegen Gott und den Nächsten gerichtet ist, soll ihre Hand von jeder unehrenhaften und unzulässigen Handlung und ihre Seele vor allzu großer Habsucht und Begierde fernhalten; sie muss wissen, mit dem zufrieden zu sein, was ihr vergönnt ist, und sich nicht nach Überfluss sehnen.

Viertens soll sie verständig und demütig Werke der Barmherzigkeit vollbringen, so dass sie Gott nicht mit der Hoffnung auf diese Werke erzürnt. Fünftens soll sie Gott über alles lieben, und mehr, als sich selbst. Das hat Martha getan, denn sie gab mir froh sich selbst, folgte meinen Worten und Werken und gab dann alle ihre Güter aus Liebe zu mir fort. Sie spürte deshalb Unlust für das Zeitliche und suchte das Himmlische, ertrug alles geduldig und hatte dieselbe Sorge für andere wie für sich selbst, dachte stets an meine Liebe und mein Leiden, freute sich auch unter Heimsuchungen und liebte alle wie eine Mutter.

Und diese Martha folgte mir täglich und sehnte sich nach nichts anderem, als die Worte des Lebens zu hören. Sie hatte Mitleid mit den Traurigen, tröstete die Kranken, beschimpfte niemanden, kümmerte sich nicht darum, wenn ihr jemand unrecht tat, sondern betete für alle. Deshalb soll ein jeder, der im aktiven Leben Liebe üben möchte, Martha folgen, soll seinen Nächsten lieben, um dadurch das Himmelreich zu gewinnen, ihn aber nicht zu Lastern ermuntern; er soll sein eigenes Lob fliehen und alle Hoffart und Falschheit vermeiden.

Nun ist zu bemerken, dass Martha, die für ihren toten Bruder Lazarus bat, die erste war, die zu mir kam, aber ihr Bruder wurde doch nicht gleich auferweckt. Dann kam jedoch Maria, die herbeigerufen wurde, und da wurde der Bruder auf die Bitte beider Schwestern auferweckt. So ist es auch im geistlichen Leben. Denn der, der wirklich begehrt, wie Maria zu sein, muss erst wie Martha sein, indem er körperlich zu meiner Ehre tätig ist, und er muss zuerst wissen, den Begierden des Fleisches zu widerstehen und den Versuchungen des Teufels zu begegnen. Dann wird er mit Überlegung zum Grade des Marienlebens aufsteigen.

Denn wie kann der, der nicht erprobt ist und gelernt hat, den Versuchungen und den Regungen seines Fleisches zu widerstehen, beständig am Himmlischen festhalten? Und was bezeichnet Marthas und Marias toter Bruder, wenn nicht die unvollkommene Tat? Eine gute Tat wird ja oft ohne kluge Absicht und reife Überlegung in Gang gesetzt, und deshalb wird sie nur schlaff und gleichgültig ausgeführt. Aber damit mir ein gutes Werk gefallen soll, ist es erforderlich, dass er von Martha und Maria erweckt wird und neues Leben erhält, was geschieht, wenn der Nächste um Gottes Willen und mit dem Gedanken an Gott aufrichtig geliebt wird, und wenn man Gott über alle Dinge ersehnt. Dann ist jede gute Handlung des Menschen Gott wohlgefällig.

Daher sagte ich im Evangelium, dass Maria das beste Teil erwählt hat. Marthas Teil ist gut, wenn sie über die Sünden ihrer Mitmenschen trauert. Es ist noch besser, wenn sie dafür arbeitet, dass die Menschen klug und ehrbar leben, und dass sie das nur einzig und allein aus Liebe zu Gott tut. Aber Marias Teil ist der beste, wenn sie allein das Himmlische und die Gewinnung der Seelen im Auge hat. Und Gott geht ins Haus von Martha und Maria ein, wenn die Sinne von guten Vorsätzen erfüllt und frei von weltlicher Unrast ist, und wenn man stets an Gott denkt, als sei er gegenwärtig, ja nicht nur über seine Liebe meditiert, sondern Tag und Nacht dafür arbeitet.“