69. Kapitel

Der Sohn spricht: „Ich habe in meinem Evangelium gesagt, dass das Himmelreich aus zwei Gründen gewonnen werden kann. Der erste ist, dass der Mensch sich demütigt wie ein Kind. Der zweite ist, dass der Mensch sich selbst Gewalt antut. Der ist also demütig, der – wie große Fortschritte er auch gemacht hat und wie viel Gutes er auch getan hat, das doch für nichts hält und nicht auf seine eigenen Verdienste vertraut.

Der tut sich Gewalt an, der den ungeordneten Trieben seines Fleisches widersteht, sich klug in Zucht nimmt, um Gott nicht zu erzürnen, und nicht glaubt, er könnte den Himmel durch Werke seiner Gerechtigkeit gewinnen, sondern nur durch Gottes Barmherzigkeit. Aber dieser Bruder, der während des vierzig Tage dauernden Fastens gar nichts aß und andere unkluge Fasten durchführte, der wollte das Himmelreich durch seine Askese sowie durch Werke eines Gerechten gewinnen.

Doch gingen diese Werke der Enthaltsamkeit und der Rechtfertigung eher aus Hochmut als aus Demut hervor. Deshalb wird er gerechterweise mit denen verurteilt werden, die zwar fasten, aber den Zehnten von anderen erhoben und andere verachteten. Es wäre besser für ihn gewesen, wenn er die Demut bei dem Sünder nachgeahmt hätte, der nicht wagte, die Augen zum Himmel zu erheben.

Denn als ich, Gott und wahrer Mensch, unter den Menschen wanderte, habe ich das gegessen und getrunken, was mir vorgesetzt wurde, obwohl ich auch ohne Essen hätte leben können, und das tat ich, um den Menschen ein Beispiel zu geben, wie sie leben sollen, und damit die Menschen das Lebensnotwendige nehmen und Gott danken sollen.“