16. Kapitel

Dann sagte Christus (es war bei derselben Gelegenheit) zu seiner Braut, der hl. Birgitta: „Nach dem, was du jetzt gesehen hast, und nach anderem, was ich litt, fragen die Fürsten der Welt nicht, und sie kümmern sich auch nicht um die Plätze, wo ich geboren wurde und gelitten habe. Sie sind nämlich wie ein Mann, der einen Platz hat, der für wilde, ungezähmte Tiere vorgesehen ist, und in dem er seine Jagdhunde loslässt, und die dann ihre Freude daran finden, den Lauf der Hunde und des Wildes zu sehen.

So verhält es sich mit den Fürsten der Welt und den Vorstehern der Kirche, ja mit allen Ständen der Welt: Sie achten lieber und mit größerer Freude auf weltliche Vergnügen und Zeitvertreib, als auf meine Pein und meinen Tod und meine Wunden. Deshalb werde ich ihnen durch dich meine Worte senden, und wenn sie dann ihre Einstellung nicht ändern und sich zu mir bekehren, sollen sie ebenso verdammt werden wie die, die meine Kleider geteilt und das Los um meinen Mantel geworfen haben.“

Zusatz
Hier folgt die Offenbarung, die die hl. Birgitta in Famagusta empfing.
Gottes Sohn spricht: „Diese Stadt ist ein Gomorra, brennend vom Feuer der Geilheit, des verschwenderischen Überflusses und der Eitelkeit. Deshalb sollen ihre Mauern einstürzen, sie soll ausgeliefert werden und veröden, und ihre Einwohner sollen auswandern und vor Trauer und Trübsal seufzen und sterben. Und ihre Schande soll in vielen Ländern genannt werden, denn ich bin zornig auf sie.“

Über den Herzog, der vom Tode seines Bruders wusste. Christus spricht: „Dieser zeigt frech und offen seinen Übermut, prahlt mit seiner Liederlichkeit und fragt nicht danach, was er seinem Nächsten angetan hat. Deshalb werde ich, wenn er sich nicht demütigt, mit ihm verfahren, wie das Sprichwort sagt: „Wer hinterher weint, weint nicht leichter als der, der vorher weint. Denn er wird keinen leichteren Tod haben als sein Bruder – nein, umgekehrt, einen schwereren, sofern er sich nicht schleunigst bessert.“

Über den Beichtvater des Herzogs. Christus spricht: „Was hat dir dieser Bruder gesagt? Etwa nicht, dass der Herzog gut ist und nicht besser leben kann? Er hat also seine mangelnde Enthaltsamkeit entschuldigt. Solche (Priester) sind keine Beichtväter, sondern Betrüger. Sie gehen umher wie einfältige Schafe, sind aber in Wirklichkeit Füchse und Schmeichler. Ja, so sind die Freunde, die den Menschen für eine geringe zeitliche Sache vorschlagen, was sie tun und unterlassen sollen. Wenn dieser Bruder in seinem Kloster geblieben wäre, so hätte er weniger gesündigt und eine geringere Strafe und eine größere Krone erhalten.“

Manche rieten Frau Birgitta, sie und ihr Gefolge sollten der Sarazenen wegen ihre Tracht verändern und ihr Gesicht schwarz machen. Christus spricht: „Was hat man dir geraten? Dass ihr eure Kleider ändern und die Gesichter schwarz machen sollt? Sollte ich, Gott, der dir Befehle gibt, etwa wie der sein, der nicht die Zukunft kennt, oder wie ein Machtloser, der vor allem Angst hat? Keinesfalls. Ich bin ja die Weisheit und die Macht selbst, und ich sehe alles voraus und kann auch alles. Laßt daher eure Kleider und Gesichter unverändert, und vertraut mir euren Willen an. Ich, der Sara vor denen gerettet hat, die sie gefangen genommen hatten, werde auch euch auf dem Meere und dem Land beschützen und werde für euch sorgen, wie es euch am besten dient.“

Über Bischof Alfons. Die Mutter spricht: „Mein Freund muss dich so lieben, wie seine Mutter, seine Herrscherin, seine Tochter und seine Schwester. Wie seine Mutter auf Grund deines Alters und der Ratschläge, die er bei dir holen soll. Zweitens wie seine Herrscherin, auf Grund der Gnade, die dir von Gott verliehen ist, der durch dich die Geheimnisse seiner Weisheit offenbart hat. Drittens wie seine Tochter, indem er dich unterrichtet und tröstet, und dich mit dem versorgt, was nützlich für dich ist, und dich mit Worten und Beispiel ermahnt und anspornt, vollkommener zu werden.

Sag ihm weiter, dass er sein soll wie der, der die schönsten Blüten trägt – d.h. meine Worte, die lieblicher sind als Honig für die, die sie kosten, die schärfer und durchdringender als Pfeile und wirksamer sind, was die Belohnung angeht. Es ist also Sache des Besitzers, die Blüten vor Wind, Regen und Hitze zu schützen. Vor Wind, d.h. vor weltlichen Reden; vor Regen, d.h. vor fleischlichen Vergnügungen; außerdem vor der Hitze weltlicher Gunst. Denn wer sich solcher Dinge rühmt, der lässt die Blüten welken und zeigt sich selbst als weniger geeignet, sie zu haben.“

Über die Königin von Zypern. Der Sohn spricht: „Rate der Königin, dass sie nicht in ihr Vaterland zurückkehrt, da es nicht angebracht ist, sondern stattdessen dort bleibt, wo sie jetzt ist, und Gott von ganzem Herzen dient. Zweitens, dass sie sich nicht verheiratet und sich einen neuen Mann nimmt, denn es gefällt Gott besser, dass sie beweint, was sie verbrochen hat, und durch Bußübungen die nutzlos verbrachte Zeit ersetzt. Drittens, dass sie die Männer im Reich zu gegenseitiger Eintracht und Liebe bewegt und dafür arbeitet, dass gute Sitten und Gerechtigkeit in lobenswerter Weise eingehalten werden, und dass das Volk nicht durch ungewöhnliche Auflagen bedrückt wird.

Viertens, dass sie um Gottes willen das Böse vergisst, das man gegen ihren Mann begangen hat, und sich nicht zur Rache hinreißen lässt. Ich bin ja Richter und werde für sie urteilen. Fünftens, dass sie ihren Sohn mit göttlicher Liebe erzieht und ihm Berater aussucht, die gerecht und nicht habgierig sind, sowie vertrauenswürdige Freunde, die keusch, besonnen und weise sind; von ihnen soll er lernen, Gott zu fürchten, gerecht zu regieren, sich über Menschen in Not zu erbarmen, auch wenn sie arm, gering und unbeachtet sind.

Sechstens, dass er die schamlose Gewohnheit der Frauen abschafft, mit anliegenden Kleidern und entblößter Brust zu gehen, sich zu schminken und auf vielerlei Weisel eitel zu sein, denn das ist Gott überaus verhasst. Siebtens, dass sie einen Beichtvater hat, der das Irdische verlassen hat, der die Seelen mehr liebt als Gaben und Geschenke, der vor den Sünden nicht die Augen verschließt und sich nicht scheut, sie zu tadeln. Ihm soll sie in allem, was die Rettung der Seele betrifft, so gehorchen wie Gott.

Achtens, dass sie auf das Leben heiliger Königinnen und Frauen achtet und erforscht, wie Gottes Ehre vermehrt werden kann, und dafür tätig ist. Neuntens, dass sie vernünftig mit ihren Geschenken ist, Schulden vermeidet und dem Lob der Menschen aus dem Wege geht, denn es gefällt Gott mehr, wenig oder nichts zu geben, als Schulden zu machen und seinen Nächsten zu betrügen.“

Über die Krönung des neuen Königs. Gottes Sohn spricht: „Es ist eine große Bürde, König zu sein, aber eine große Ehre und überaus fruchtbringend. Es steht einem König an, für seine Aufgabe reif zu sein, erfahren, klug, gerecht und arbeitsam zu sein und das Wohl seiner Mitmenschen mehr zu lieben, als seinen eigenen Willen. Deshalb wurden die Reiche früher gut regiert, als man einen solchen Mann zum König wählte, der es wollte und verstand und gerecht regieren konnte.

Aber jetzt sind die Regierungen keine Regierungen mehr, sondern ein Kinderspiel, Albernheiten und Ausplünderung, denn wie ein Räuber es mit der Zeit leid wird, Anschläge zu verüben, so dass er Gewinn einheimsen kann, ohne entdeckt zu werden, so denken sich die Könige jetzt Kniffe aus, um ihre Nachkommen höher zu stellen, Gelder einzuheimsen und die Untertanen schlau zu bedrücken, und sie lassen gern die Gerechtigkeit fahren, um zeitliches Gut zu erhalten, aber sie lieben nicht das Recht, um dadurch ewigen Lohn zu gewinnen.

Deshalb hat der Weise klug gesagt: „Wehe dem Reich, dessen König ein Kind ist, das genüsslich lebt und ausschweifende Schmeichler hat, aber sich um das Wohl der Gesellschaft nicht kümmert!“ Aber damit dieser Knabe nicht für das Unrecht seines Vaters büßen soll, soll er – wenn er Fortschritte machen will und die Würde des königlichen Namens erfüllen will, meinen Worten gehorchen, die ich vorher über Zypern sagte, nicht die Sitten seiner Vorgänger nachahmen, ihre kindische Unstetigkeit abschaffen und den königlichen Weg einschlagen, und sich gottesfürchtige Mitarbeiter anschaffen, die seine Geschenke nicht mehr als seine Seele und seine Ehre lieben, die Schmeichler hassen und sich nicht scheuen, die Wahrheit zu sagen und ihr zu folgen, und Verbrechen offen zu legen. Sonst wird der Knabe weder Freude am Volk, noch das Volk Freude am auserkorenen (König) bekommen.