Als Frau Birgitta auf der Rückfahrt von Jerusalem durch Neapel fuhr, wurde sie von der Königin und dem Erzbischof in dieser Stadt um Rat gefragt. Als sie für die Einwohner der Stadt zu Gott betete, sprach Christus zu ihr und tadelte die Einwohner wegen verschiedener Sünden. Diese Offenbarung gab Frau Birgitta im Beisein des Erzbischofs, Herrn Bernhard, drei Magister der Theologie, zweier Doktoren im kanonischen und bürgerlichen Recht sowie einiger Ritter und Bürger in Neapel bekannt.
27. Kapitel

Eine Person, die im Gebet wachte und sich der Betrachtung hingab, geriet in Verzückung, wobei sich Jesus Christus ihr offenbarte und sagte: „Höre du, die die Gnade erhalten hat, geistliche Dinge zu hören und zu sehen, gib genau Acht und präge dir ein, was du jetzt hörst, und was du in meinem Namen den Menschen verkünden sollst! Du sollst das nicht sagen, um dir selber Ehre oder menschlichen Ruhm zu erwerben, und du darfst das auch nicht aus Furcht vor der Schmähung und Verachtung der Menschen verschweigen, denn das, was du jetzt hören wirst, wird dir nicht nur um deinetwillen offenbart, sondern auch wegen der Gebete meiner Freunde.

Einige meiner auserwählten Freunde in der Stadt Neapel haben nämlich viele Jahre hindurch von ganzem Herzen mit Gebeten und frommen Mühen für meine Feinde zu mir gebetet, die in derselben Stadt wohnen, dass ich ihnen Gnade erweisen sollte, durch die sie von ihren Sünden und Unsitten loskommen und sich heilsam bessern könnten. Durch die Gebete dieser Menschen bewogen, gebe ich dir jetzt diese meine Worte.
Höre deshalb genau zu, was ich dir sage!

Ich bin der Schöpfer aller, und Herr über die Teufel und die Engel. Keiner kann meinem Gericht entgehen. Der Teufel hat auf dreifache Weise gegen mich gesündigt, nämlich durch Neid, Übermut und Liebe zu seinem eigenen Willen. Sein Hochmut war so grenzenlos, dass er Herr über mich sein wollte, so dass ich ihm untertan sein sollte. Solche Bosheit hegte er gegen mich, dass er mich, wenn das möglich gewesen wäre, gern getötet hätte, um selber Herr zu werden und auf meinem Thron zu sitzen. So lieb war ihm sein eigener Wille, dass er meinen Willen für nichts achtete, wenn er nur seinen eigenen verwirklichen könnte.

Deshalb ist er vom Himmel gefallen, und statt dass er ein Engel war, wurde er zum Teufel in der Tiefe der Hölle. Als ich dann seine Bosheit und seine große Böswilligkeit gegen den Menschen sah, zeigte ich den Menschen meinen Willen und gab ihnen meine Gebote, so dass sie, wenn sie sie befolgten, mir gefallen und dem Teufel missfallen könnten. Dann kam ich aus der großen Liebe, die ich für die Menschen hatte, auf die Welt und nahm menschliche Gestalt durch eine Jungfrau an. Ich habe sie selbst durch Handeln und Predigt den wahren Weg der Erlösung gelehrt, und um ihnen vollkommene Liebe und Wohlwollen zu zeigen, habe ich ihnen durch mein eigenes Blut den Himmel geöffnet.

Aber wie handeln jetzt die Menschen, die meine Feinde sind, gegen mich? In Wahrheit, sie verachten meine Gebote, sie werfen mich aus ihren Herzen wie abscheuliches Gift, sie spucken mich aus ihrem eigenen Munde aus wie einen verfaulten Gegenstand, und lehnen es ab, mich zu sehen, als wäre ich ein stinkender, aussätziger Mensch. Aber den Teufel und seine Taten umfangen sie mit ihrem ganzen Sehen und Handeln, geben ihm Zutritt zu ihrem Herzen, tun mit Lust und Freude seinen Willen und folgen seinen bösen Eingebungen.

Deshalb werden sie mit dem Teufel durch mein gerechtes Gericht in der Hölle auf ewig ihren Lohn erhalten. Denn für den Hochmut, den sie üben, werden sie Schande und ewige Schmach erhalten, so dass Engel und Teufel von ihnen sagen werden, dass sie bis zum Scheitel mit Schande gefüllt sind. Für ihre maßlose Gewinnsucht wird sie jeder Teufel in der Hölle mit seinem tödlichen Gift erfüllen, so dass es in ihren Seelen keine einzige leere Stelle gibt, die nicht mit teuflischem Gift gefüllt ist. Wegen der Geilheit, von der sie brennen wie unvernünftige Tiere, werden sie niemals vor mein Angesicht kommen, um seinen Anblick zu genießen, sondern sie werden von mir geschieden sein, und sie werden auch sehen, wie ihre zügellose Lust verspottet wird.

Übrigens sollst du wissen, dass – wie die Todsünden die schwersten Sünden sind, auch eine vorgebbare Sünde zur Todsünde wird, wenn der Mensch seine Freude daran findet und darin verharren will. Wisse also, dass man zwei Sünden begeht (ich werde sie dir jetzt nennen), die andere Sünden mit sich bringen. Sie scheinen allen vorgebbare Sünden zu sein, aber wenn die Menschen sich an ihnen vergnügen und sie fortsetzen wollen, werden sie zu Todsünden. Das Volk in der Stadt Neapel begeht auch viele andere abscheuliche Sünden, die ich dir gar nicht nennen will.

Die erste der beiden Sünden ist, dass die Gesichter bei vernunftbegabten Wesen und verschiedenen Farben bemalt werden, - solche, mit denen leblose Bilder und Statuen von Abgöttern bestrichen werden, damit sie anderen schöner vorkommen, als wie ich sie geschaffen habe. Die andere Sünde ist, dass die Leiber von Männern und Frauen verunziert werden und ihr rechtes Aussehen durch unanständige Kleider einbüßen, die das Volk benutzt, und das tun sie aus Hoffahrt, um mit ihren Leibern schöner und verführerischer zu erscheinen, als ich, Gott, sie geschaffen habe, und damit die, die sie sehen, leichter von sinnlichem Verlangen entzündet werden.

Daher kannst du gewiss sein, dass sie ebenso oft, wie sie ihre Gesichter mit fremden Farben einschmieren, etwas von dem Eingießen des Heiligen Geistes verlieren, und der Teufel ihnen näher kommt. Und so oft sie sich mit unziemlichen, unpassenden Kleidern schmücken und so ihre Körper entstellen, vermindert sich der Schmuck der Seele und erhöht sich die Macht des Teufels.

O meine Feinde, die ihr so handelt und euch erdreistet, andere Sünden zu begehen, die meinem Willen widersprechen – warum vergesst ihr nur mein Leiden, und warum bedenkt ihr nicht in eurem Herzen, wie ich nackt an den Pfeiler gebunden wurde, wie grausam ich von harten Geißeln verwundet wurde, wie ich nackt am Kreuz hing und klagte, voller Wunden und blutüberströmt? Und wenn ihr eure Gesichter anmalt und einschmiert, warum blickt ihr da nicht auf mein Antlitz und seht, wie es voller Blut war?

Warum gebt ihr nicht Acht auf meine Augen, wie sie sich verdunkelten, gefüllt von Blut und Tränen, und wie meine Augenlider blau wurden? Warum seht ihr nicht auf meinen Mund, und warum schaut ihr nicht auf meine Ohren und meinen Bart, wie sie ihre Farbe verloren und mit Blut besprengt wurden? Warum betrachtet ihr nicht meine übrigen Glieder, die schrecklich verwundet durch verschiedene Schläge wurden, und wie ich um euretwillen blauschwarz und tot am Kreuze hing, und dort von allen verhöhnt und verspottet wurde – so dass ihr durch die Erinnerung und das fleißige Gedenken daran lernen würdet, mich, euren Gott, zu lieben, und so den Schlingen des Teufels entgeht, in die ihr nun so traurig verstrickt seid?

Ach, all das ist vor euren Augen und in euren Herzen vergessen! Ihr benehmt euch wie Huren, die die Wollust des Fleisches lieben, aber keine Kinder gebären wollen. Wenn sie ein lebendes Kind in ihrem Schoße spüren, führen sie durch Kräuter und andere Dinge eine Fehlgeburt herbei, so dass sie auf ihre fleischliche Wollust und ihre ständig wiederholten schändlichen Vergnügen verzichten müssen, sondern sich weiterhin ihrem Hurenleben und ihrer schmutzigen Unzucht hingeben können.

So handelt auch ihr, denn ich, euer Gott, euer Schöpfer und Erlöser, besuche alle mit meiner Gnade und klopfe an eurem Herzen an, denn ich liebe alle. Aber wenn ihr eine Eingebung des Heiligen Geistes oder Reue in eurem Herzen vernehmt, oder beim Hören auf meine Worte einen Vorsatz fasst, begeht ihr – geistlich gesehen – eine Abtreibung, indem ihr eure Sünden entschuldigt, daran Genuss findet und zu eurem Verderben darin verharren wollt. So tut ihr den Willen des Teufels und schließt ihn in euer Herz, während ihr mich schimpflich vertreibt. Ihr ehrt mich also nicht, und ich bin nicht mit euch. Ihr ehrt nicht mich, sondern den Teufel, denn es ist sein Wille und seine Eingebungen, denen ihr gehorcht.

Nachdem ich euch euer Gericht gesagt habe, will ich auch von meiner Barmherzigkeit reden. Meine Barmherzigkeit bedeutet, dass keiner meiner Feinde ein so großer Sünder ist, dass ich ihm meine Barmherzigkeit verweigere, wenn er sie mit demütigem und aufrichtigem Herzen begehrt. Deshalb sollen meine Feinde drei Dinge tun, wenn sie meine Gnade und Freundschaft wiedererlangen und sich mit mir versöhnen wollen.

Das erste ist, dass sie von ganzem Herzen bereuen, dass sie mich, ihren Schöpfer und Erlöser, gekränkt haben. Das andere ist, dass sie vor ihrem Beichtvater eine ehrliche, inständige und demütige Beichte ablegen und alle ihre Sündern bessern, indem sie Buße tun und kluge Ratschläge ihres Beichtvaters erfüllen. Dann werde ich ihnen nahen, und der Teufel wird sich von ihnen entfernen. Das dritte ist, dass sie, nachdem sie dies mit Frömmigkeit und vollkommener Liebe erfüllt haben (in der Kommunion) meinen Leib empfangen und sich vornehmen, nie mehr in ihre früheren Sünden zu verfallen, sondern bis zum Ende im Guten zu verharren.

Dem, der sich in dieser Weise bessert, werde ich gleich wie ein milder Vater seinem verirrten Sohn entgegeneilen und ihn bereitwilliger in meine Gnade wieder aufnehmen, als wie er selbst erbitten und es sich vorstellen kann. Und dann werde ich in ihm und er in mir sein, und er soll ewiglich mit mir leben und sich freuen. Aber über den, der in seinen Sünden und seiner Bosheit verharrt, wird zweifellos meine Gerechtigkeit kommen.

Wenn der Fischer die Fische in ihrem fröhlichen Vergnügen im Wasser spielen sieht, wirft er seinen Angelhaken ins Meer und zieht die gefangenen Fische nach und nach heraus – nicht alle auf einmal, sondern ganz allmählich und einen nach dem anderen, und schickt sie so in den Tod, indem er sie alle ums Leben bringt. So werde ich auch mit meinen Feinden umgehen, die sich in Sünde verhärten.

Denn nachher werde ich sie aus diesem weltlichen Leben fortnehmen; wo sie es nicht glauben, sondern ihren allergrößten Spaß haben, werde ich ihnen das ewige Leben rauben und sie in den ewigen Tod senden, wo sie niemals mein Angesicht sehen dürfen, nachdem sie es vorzogen, ihren zügellosen und verkehrten Willen zu tun und zu befriedigen, statt meine Gebote und meinen Willen zu erfüllen.“
Nachdem (Birgitta) dies gehört hatte, verschwand die Vision.