Christi Braut, Birgitta, empfing diese Offenbarung in Neapel, nachdem Herr Eleasar, der Sohn der Gräfin von Arieno, der damals ein junger Student von guter Veranlagung war, sie gebeten hatte, dass sie für ihn zu Gott beten sollte. Als sie betete, offenbarte sich ihr die Jungfrau Maria und teilte ihr diese Offenbarung mit, in der sie ihm die Lebensführung mitteilte, die er beobachten solle, und sehr schön sagt, dass die Vernunft der Türhüter und Beschützer der Seele sein soll, um alle Versuchungen zu verjagen und ihnen tapfer Widerstand zu leisten, so dass sie keinen Zutritt in das Innere des Menschen gewinnen.
5. Kapitel

Dem allmächtigen Gott, von dem alles Gute herrührt, sei Lob und Ehre, und besonders für die Dinge, die er mit euch in jungen Jahren getan hat! Seine Gnade sollen wir anrufen, dass die Liebe, die ihr zu Gott habt, von Tag zu Tage bis zu eurem Tode wachsen möge.

Ein reicher und mächtiger König baute ein haus, in das er seine geliebte Tochter setzte. Er überließ sie der Obhut eines Mannes und sagte zu ihm: „Meine Tochter hat Todfeinde, und deshalb musst du sie mit aller Sorgfalt schützen. Es sind vier Dinge, die du mit gewissenhafter Überlegung und ständiger Pflichttreue beachten sollst.
Das erste ist, dass niemand das Fundament des Hauses untergräbt. Das zweite ist, dass niemand die Mauerkrone übersteigt. Das dritte ist, dass niemand die Wände des Hauses durchbricht. Das vierte ist, dass kein Feind durch die Tore hereinkommt.“

Herr, dieses Gleichnis, das ich aus göttlicher Liebe an Euch schreibe (Gott, der Erforscher aller Herzen, sei hierfür mein Zeuge), ist geistlich zu verstehen. Unter dem Hause verstehe ich deinen Körper, den der Himmelskönig aus Erde geschaffen hat. Unter der Königstochter verstehe ich deine Seele, die von der Kraft des Höchsten geschaffen und in deinen Körper gesetzt ist. Unter dem Wächter verstehe ich die menschliche Vernunft, die nach dem Wollen des ewigen Königs deine Seele betreuen soll. Unter dem Fundament verstehe ich einen guten und unerschütterlich festen Willen, denn auf einen solchen müssen sich alle guten Werke gründen, und der ist der beste Verteidiger der Seele.

Wenn dein Wille daher so ist, dass du zu keinem anderen Zweck leben willst, als Gottes Willen zu befolgen, und du ihm mit Wort und Tat alle Ehre erweist, die du kannst, und ihm mit deinem Körper, deinen Gütern und all deinen Kräften dienst, solange du lebst, damit du deine Seele ihrem Schöpfer bewahrt vor aller Unreinheit des Fleisches übergeben kannst – o wie sorgsam musst du da dieses Fundament, d.h. deinen Willen, durch einen Wächter, d.h. die Vernunft, bewachen, damit es niemand mit seinen bösen Anschlägen zum Schaden der Seele untergraben kann.

Unter denen, die versuchen, dieses Fundament zu untergraben, verstehe ich die, die zu dir sagen: „Herr, sei ein Laie und nimm dir eine schöne, vornehme und reiche Gattin, so dass du dich an Kindern und Erben erfreuen kannst und vermeidest, von Anfechtungen des Fleisches geplagt zu werden!“

Andere sagen vielleicht: „Wenn du Priester werden willst, so lehre Bücherkünste, so dass du Magister genannt wirst, und beschaffe dir von Kirchengütern und Einkünften, durch Gebete und Gaben soviel du kannst, dann wirst du wegen deines Wissens weltliche Ehre gewinnen und von weltlichen Freunden und vielen Günstlingen wegen deines großen Reichtums geehrt werden.“

Sieh, wenn jemand dir so etwas rät, dann sollst du gleich den Wächter, d.h. den Verstand, ihm antworten lassen, dass du lieber alle körperlichen Beschwerden ausstehen willst, als die Keuschheit verlieren. Antworte auch, dass du Wissen und Bücherkenntnis zu Gottes Ehre, zur Verteidigung des katholischen Glaubens, zur Stärkung guter Menschen und zur Berichtigung irrender Menschen so wie für alle die erwerben willst, die deinen Rat und deine Unterweisung brauchen, aber dass du nicht aus eitler Ehre nach einem Überfluss in diesem Leben trachten willst, sondern nur nach deinem Lebensunterhalt und dem Unterhalt deiner Hausangestellten, den du brauchst.

Sage auch, dass – wenn Gottes Vorsehung dir außerdem irgendeine Würde verleihen will, so willst du alle zum Nutzen deiner Mitmenschen und zu Gottes Ehre einrichten. Und so gelingt es sicher auch dem Wächter, d.h. der Vernunft, die zu vertreiben, die das Fundament, nämlich deinen guten Willen, untergraben wollen.

Die Vernunft muss auch beharrlich und gewissenhaft darauf achten, dass niemand über die Mauerkrone steigt. Unter dieser Krone verstehe ich die Liebe, die die höchste von allen Tugenden ist. Und du kannst überzeugt sein, dass der Teufel nichts mehr begehrt, als über diese Mauer zu springen. Unaufhörlich strengt er sich dafür an, soviel er kann, dass deine Liebe zur Welt und die irdische Liebe deine Liebe zu Gott übertrifft.

So oft die Liebe zur Welt die Herrschaft über die Gottesliebe in deinem Herzen zu erringen sucht, sollst du also gleich, Herr, den Wächter, d.h. die Vernunft, mit Gottes Geboten gegen ihn schicken, indem die Vernunft sagt, dass du lieber den Tod des Körpers und der Seele leiden willst, als so zu leben, dass du durch Worte oder Taten einen so huldreichen Gott zum Zorn reizt, und dass du keinesfalls dein eigenes Leben, deine Güter, deine Besitzungen oder die Gunst deiner Verwandten und Freunde behalten willst, um Gott gefallen zu können – ihm allein, und ihn in allen Dingen ehrst.

Ja, dass du dich lieber jeder Art von Leiden unterwirfst, als einem Mitmenschen, sei es ein Mächtigerer oder Geringerer, Schaden, Anstoß oder Trübsal zuzufügen, und dass du stattdessen alle deine Mitmenschen nach des Herrn Gebot brüderlich lieben willst.
Wenn du das tust, mein Herr, beweist du, dass du Gott mehr liebst, als dich selbst, und deinen Nächsten wie dich selbst. Und da kann der Wächter, d.h. die Vernunft, sicher ausruhen, denn kein Feind deiner Seele kann dann die Mauerkrone übersteigen.

Unter den Wänden verstehe ich vier Freuden am himmlischen Hof, die ein Mensch mit aufmerksamen Sinnen in seinem Inneren begehren soll. Die erste ist, sich in seinem Herzen warm danach zu sehnen, Gott selbst in seiner ewigen Ehre und den unerschöpflichen Reichtümern zu sehen, die keinem genommen werden können, der sie einmal gewonnen hat.

Die zweite Freude ist, ständig die lieblich klingenden Stimmen der Engel hören zu wollen, wenn sie unermüdlich Gott in alle Ewigkeit preisen. Die dritte ist, mit ganzem Herzen und mit brennender Sehnsucht zu begehren, Gott ewig preisen zu dürfen, wie es die Engel tun. Die vierte ist, zu begehren, mit den Engeln und den Seelen der Heiligen zusammen ewige Freude im Himmel zu genießen.

Dazu ist zu bemerken, dass – wie der Mensch, der sich im Innern eines Hauses aufhält, Wände um sich herum sieht, wohin er sich auch wendet – so ist es mit einem jeden, der sich Tag und Nacht mit höchstem Verlangen nach diesen vier Dingen sehnt, nämlich Gott in seiner Herrlichkeit zu sehen, die Engel Gott loben zu hören, Gott zusammen mit ihnen zu preisen und ihren Trost zu genießen. Wahrlich, wohin er sich auch wendet, und welche Arbeit er auch beginnt, wird er stets unbeschadet zwischen starken Wänden bewahrt, so dass man von ihm sagen kann, dass er schon in diesem Leben unter den Engeln lebt und Umgang mit Gott hat.

O mein Herr, wie sehr möchte dein Feind diese Wände durchgraben, die Sehnsucht nach dieser Himmelslust aus deinem Herzen entfernen und dein Begehren auf andere Freuden lenken, die im Gegensatz dazu stehen, und die deiner Seele ernsthaft schaden können. Deshalb soll der Wächter, d.h. die Vernunft, an den zwei Wegen genau Wacht halten, auf denen der Feind zu kommen pflegt.

Der erste Weg ist das Hören, der zweite das Sehen. Durch das Hören kommt er, wenn er dem Herzen Freude an weltlichen Liedern eingibt, an verschiedenen wohlklingenden Instrumenten sowie unnützen Geschichten und Lobtiraden auf den eigenen Menschen, wodurch der Mensch sich umso mehr von dem demütigen Christus entfernt, je mehr er sich in seinem Übermut über sich selbst erhebt.

Deshalb soll der Wächter, d.h. die Vernunft, einer solchen Lust widerstehen und sagen: „So wie der Teufel alle Demut hasst, die der Heilige Geist dem Menschenherzen eingibt, so will ich auch mit Gottes Hilfe allen Prunk und alle weltliche Hoffart hassen, die der böse Geist mit seinem giftigen Brand in die Herzen eingießt – ja, er soll mir so verhasst werden, wie der Gestank von einer verwesten Leiche, wodurch die, die ihn in die Nase bekommen, gleich ersticken können.

Durch das Sehen pflegt der Feind sich gleichsam auf einem anderen Weg durch die erwähnten Wände zu graben, und er führt dann verschiedene Gegenstände mit sich, nämlich allerlei Metall, die für verschiedene Dinge und in verschiedenen Formen geschmiedet sind, kostbare Steine, prächtige Kleider, stattliche Paläste, Festungen, Grundbesitz, Fischereigewässer, Wälder, Weingärten, große Geldgewinne und dergleichen. Denn wenn man dies alles heiß begehrt, dann wird es sich zeigen, dass man damit die genannten Wände abreißt, d.h. Freude am Himmlischen.

Der Wächter, d.h. die Vernunft, muss daher rasch, ehe dies das Herz zur Begier entzündet, zum Widerstand eilen und sagen: „Wenn ich so etwas in meinen Besitz bekomme, will ich es in eine Kiste legen, wo weder Diebe oder Motten daran kommen, und so wahr mir Gottes Gnade hilft, will ich meinen Gott nicht dadurch erzürnen, dass ich fremdes Eigentum begehre, und mich nicht dadurch, dass ich anderer Leute Eigentum haben möchte, von der Gesellschaft derer trenne, die Christus dienen.“

Unter den Pforten in diesem Haus verstehe ich all das, was für den Körper notwendig ist, und das, was der Körper nicht entbehren kann, nämlich Essen, Trinken, Schlafen und Wachen, manchmal betrübt und manchmal froh zu sein. Der Wächter, d.h. die Vernunft, muss also diese Pforten gewissenhaft bewachen, d.h. das für den Körper Notwendige, und gottesfürchtig, klug und eifrig den Feinden Widerstand leisten, so dass sie keinen Einstieg in die Seele finden. Deshalb soll man vorsichtig mit Essen und Trinken sein, so dass der Feind nicht durch Verschwendung Einstieg gewinnt, denn dann wird der Körper im Dienste Gottes träge.

Andererseits muss man sich davor hüten, dass der Feind nicht durch allzu große Enthaltsamkeit Einstieg gewinnt, denn dann erhält der Körper zu dem, was getan werden soll, keine Kräfte. Der Wärter, d.h. die Vernunft, soll auch darauf achten, dass nicht ein Überfluss an Gerichten für weltliche Ehre oder Menschengunst angewandt wird, ob du nun allein mit deinem Hauspersonal bist oder Gäste hast. Tu stattdessen einem jeden aus göttlicher Liebe Gutes an, aber ohne viele und leckere Gerichte aufzutischen.

Weiter soll der Wächter, d.h. die Vernunft, wachsam und aufmerksam darauf achten, dass Speise und Trank mit Maßen genossen wird. So soll auch der Schlaf gottesfürchtig so bemessen werden, so dass der Körper bereitwillig und besser gerüstet ist, auf alle Weise Gottes Ehre zu fördern, wobei alle Stunden des Wachseins nutzbringend zum Gottesdienst und ehrbarer Arbeit verwendet werden, ohne dass man die Last des Schlafes spürt.

Aber wenn irgendein Verdruss oder eine Sorge eintritt, soll der Wärter, d.h. die Vernunft, rasch mit seinem Begleiter die Gottesfurcht walten lassen, so dass nicht dein Zorn oder deine Ungeduld schuld wird, dass du Gottes Gnade verlierst und Gott schwer gegen dich erzürnst. Und wenn dein Herz mit irgend einer Zufriedenheit oder Freude erfüllt wird, soll der Wächter, d.h. die Vernunft, die Gottesfurcht fest in dein Herz einprägen, wodurch die Befriedigung oder Freude mit Hilfe der Gnade Jesu Christi so gedämpft wird, wie es dir am meisten nützt.

Zusatz
Als Frau Birgitta in Neapel war, wurden ihr die geheimsten Gedanken des künftigen Kardinals Eleasar und einige besondere zukünftige Dinge offenbart, die ihn betrafen. Als er das hörte, wunderte er sich und besserte sein Leben.