Freitags Lesung 3

Absolution. Das Leiden des Sohnes der Jungfrau möge uns den Händen des höchsten Vaters anbefehlen.

Kapitel 18. Als der Sohn der Jungfrau voraussagte: „Ihr werdet mich suchen und nicht finden“, wurde das Herz der Jungfrau von der Spitze dieses schmerzhaften Schwertes schwer verletzt. Und als er dann von seinem eigenen Jünger verraten wurde und, wie es ihm gefiel, von den Feinden der Wahrheit und Gerechtigkeit gefangen genommen wurde – da durchbohrte das Schwert des Schmerzes das Herz der Jungfrau, drang gewaltsam ein in ihre Seele und fügte allen Gliedern ihres Leibes unerhörte Qual zu. Diese Schwert verletzte die Seele der Jungfrau am allerbittersten, so oft man ihrem geliebten Sohn Leiden und Schmach zufügte.

Sie musste ja sehen, wie er von den Händen der Gottlosen geohrfeigt wurde, grausam und gottlos gegeißelt und von den Obersten der Juden zum schimpflichsten Tod verurteilt wurde. Sie sah, wie er – während das ganze Volk schrie: „Kreuzige den Verführer!“ mit gefesselten Händen zum Platz des Leidens hinausgeführt wurde, wobei manche vor ihm hergingen und ihn gefesselt hinter sich herzogen, während er mit größter Mühe das Kreuz auf seinen Achseln trug, und andere gingen hinter ihm her und trieben ihn mit Schlägen an. Sie behandelten ihn, dieses mildeste Lamm, wie das schlimmste Stück Wild.

Als die Mutter dann sah, wie ihr Sohn grausam auf das Kreuz ausgestreckt wurde, begannen alle ihre Körperkräfte zu schwinden. Und als man die Hände und Füße des Sohnes mit Eisennägeln durchbohrte und sie den Laut der Hämmer hörte, da schwanden der Jungfrau all ihre Sinne, und die große Trauer warf sie wie tot zu Boden. Die Juden gaben ihm Galle und Essig zu trinken; ihr wurde die Zunge und der Gaumen so dürr (so bitter war ihr Herzweh), dass sie ihre gesegneten Lippen nicht bewegen konnte, um zu sprechen.

Als sie dann die jammernde Stimme ihres Sohnes im Todeskampf sagen hörte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Und als sie sah, dass alle seine Gliedern erstarrten, und dass er sein Haupt beugte und den Geist aufgab, da wurde das Herz der Jungfrau von einer so bitteren Trauer zusammengeschnürt, dass sie nicht ein einziges Glied an ihrem Leib mehr zu rühren schien. Man sieht also, dass Gott ein nicht geringes Wunder bewirkt hat, als er die jungfräuliche Mutter von so vielen und großen Schmerzen in ihrem Inneren verwundet werden ließ, und sie doch nicht ihren Geist aufgab, obwohl sie sah, wie ihr geliebter Sohn nackt und blutend zwischen Räubern hing, durchbohrt von einem Speer, von allen verspottet und fast von all denen verlassen, die ihn kannten – viele von diesen fielen ja auch – traurig genug – vom rechten Glauben ab.

So wie ihr Sohn einen weit bitteren Tod erlitt als alle, die auf dieser Welt leben, so stand also die Mutter die bittersten Qualen in ihrer gesegneten Seele aus. Die Heilige Schrift erzählt, wie Pinehas Frau, als sie hören musste, dass Gottes Lade von seinen Gegnern gefangen wurde, in ihrer gewaltigen Trauer schnell starb, doch kann die Trauer dieser Frau nicht mit den Schmerzen der Jungfrau Maria verglichen werden, die sah, wie der Leib ihres gesegneten Sohnes zwischen den Nägeln und dem Holz gefangen gehalten wurde. Denn die Jungfrau liebte ihren Sohn, wahrer Gott und Mensch, mit größerer Liebe als irgend jemand, der von Mann und Frau geboren ist, sich selbst oder einen anderen lieben könnte.

Es sieht daher seltsam aus, dass Pinehas Frau, die dich geringere Schmerze auszustehen hatte, vor Trauer starb – während Maria, die von schweren Trübsalen heimgesucht wurde, wieder zum Leben erwachte. Wer kann sich eine andere Erklärung dafür denken als die, dass sie durch eine besondere Gabe des allmächtigen Gottes trotz ihrer schwindenden Körperkräfte das Leben behielt? Durch sein Sterben öffnete Gottes Sohn den Himmel und befreite mächtig seine Freunde, die im Totenreich weilten.

Als die Jungfrau wieder zu sich kam, war sie die einzige, die in allen Stücken den rechten Glauben bis zur Auferstehung des Sohnes bewahrte, und viele, die kläglich vom Glauben abgefallen waren, wies sie zurecht und führte sie zum Glauben zurück. Als ihr Sohn starb, wurde er vom Kreuz abgenommen, eingewickelt wie andere Leichen und zur Bestattung übergeben. Aber da verschwanden auch die Dornen der Trauer aus dem Herzen der Mutter, und sie spürte aufs neue lieblichen Trost, denn sie wusste ja, dass die Qualen ihres Sohnes nun ganz zu Ende waren, dass er mit seiner Göttlichkeit und Menschengestalt am dritten Tage zu ewiger Herrlichkeit auferstehen würde, und dass er danach keinerlei Qualen mehr zu leiden haben würde.