Montags Lesung 3

Absolution. Die Königin, geschmückt mit der Krone der Tugenden, möge stets bereit sein, uns zu schützen.

Kapitel 6. Gott bewirkt alle Tugenden und ist die Tugend selbst. Es ist unmöglich für etwas, was geschaffen ist, ohne seine Hilfe mit einer Tugend zu strahlen. Am Morgen der Zeiten, nachdem er die Welt und alle geschaffenen Wesen erschaffen hatte, schuf er zuletzt mit seiner Kraft den Menschen und verlieh ihm den freien Willen, so dass er dadurch im Guten zu seinem Guten verharren konnte und nicht ins Böse zu böser Vergeltung fallen konnte. Bei den Menschen werden die Taten derer wenig geachtet, die sich weigern, zu arbeiten, ehe sie dazu gezwungen werden, indem sie im Stock oder in Fesseln sitzen – während die Taten derer der Liebe und besten Belohnung wert sind, die nicht aus Zwang, sondern freiwillig und aus aufrichtigem Herzen ihre Tätigkeiten ausführen.

Ebenso verhält es sich hier: Wenn Gott den Engel und Menschen keinen freien Willen gegeben hätte, würde es so aussehen, ob sie dazu gezwungen würden, was sie tun, und ihre Werke würde nur eine geringe Belohnung verdienen. Es gefiel also der Tugend, die Gott selber ist, ihnen den freien Willen zu geben, zu tun, was ihnen gefiel, und er ließ sie in vollem Maß verstehen, welchen Lohn ein göttlicher Gehorsam über seine Anhänger bringt und welche Strafe ein trotziger Ungehorsam über die bringt, die ihm folgen.

Wahrlich, Gott zeigte große Tugend, als er den Menschen aus Erde schuf, damit er durch seine Liebe und Demut verdienen sollte, in den himmlischen Hütten zu wohnen, von denen die Engel, die sich Gottes Willen widersetzt hatten, unglückselig wegen ihres Hochmuts und ihrer Böswilligkeit vertrieben wurden. Sie hassten nämlich die Tugenden, für die sie ehrenvoll hätten gekrönt werden können. Denn es herrscht kein Zweifel, dass – wie ein König wegen seiner königlichen Krone geehrt wird, so ehrt auch jede Tugend den, der sie übt – nicht nur unter den Menschen, sondern sie schmückt ihn auch herrlich vor Gott und den Engel wie mit einer strahlenden Krone – und daher ist es nicht verfehlt, jede Tugend eine strahlende Krone zu nennen.

Man muss also glauben, dass es unzählige Krone sind, mit denen Gott so wunderbar strahlt – er, dessen Tugenden an Menge, Größe und Würde alles überragt, was da war, ist und sein wird. Nie hat er etwas anderes als Tugenden bewirkt. Doch sind es besonders drei Tugenden, die ihn ehrenvoll mit drei prachtvoll strahlenden Kronen schmücken: Die Tugend, mit der er die Engel erschuf, war seine erste Krone, doch beneideten manche Engel Gottes Ehre und brachten sie traurig um diese Krone.

Die Tugend, womit er den Menschen schuf, war seine zweite Krone. Doch stimmte der Mensch in seiner Torheit der Eingebung des Feindes zu und verlor daher diese Krone schnell. Es ist zu bemerken, dass Gottes Tugend oder die Ehre seiner Tugend durch den Fall dieser Engel oder den des Menschen vermindert werden konnte, obwohl sie selbst auf Grund ihrer Bosheit ehrlos von ihrer Ehre gefallen sind, nachdem sie Gott nicht die Ehre dafür geben wollten, dass er sie zu seiner und zu ihrer eigenen Ehre geschaffen hat. Gottes so kluge Weisheit verwandelte nämlich ihre Bosheit in die Ehre seiner Tugend.

Die Tugend, womit er dich, begehrenswerte Jungfrau, zu seiner ewigen Ehre geschaffen hat, hat ihn wie seine dritte Krone verherrlicht. Die Engel verstanden, dass durch diese der Schaden beider vorhergehenden Kronen geheilt werden sollte. Deshalb kannst du, o Frau, du Hoffnung unserer Erlösung, mit Recht Gottes Ehrenkrone genannt werden, denn so wie er durch dich die höchste Tugend vollkommen gemacht hat, so brachtest du ihm größere Ehre als alle anderen Geschöpfe, die er schuf.

Wahrlich, - schon als du noch ungeschaffen vor Gottes Angesicht standest, wussten die Engel davon, dass du durch deine allerheiligste Demut den Teufel bändigen würdest, der sich selbst durch seinen Hochmut verurteilt hat und den Menschen in seiner Bosheit verraten hat. Als die Engel den Menschen in großes Elend stürzen sahen, konnten sie also nicht trauern, denn dieses Anschauen Gottes bereitete ihnen Freude, und vor allem stand es ihnen klar vor Augen, welch große Dinge Gott nach deiner Erschaffung durch deine Demut tun wollte.