Sonnabend Lesung 2

Absolution. Der Sohn der Jungfrau Maria möge uns vom Schmutz der Sünde reinigen.

Kapitel 20. Da wir aus dem heiligen Evangelium gelernt haben, dass man uns mit dem Maß, mit dem wir andere messen, auch messen wird, scheint es unmöglich zu sein, dass jemand mit seinem menschlichen Verstande fassen kann, mit welchen großen Ehrenbezeugungen die ehrenreiche Gottesmutter im Palast des Himmels von allen gewürdigt werden musste – sie, die so vielen wohlwollend das ersehnte Gute bewirkte, als sie hier auf Erden lebte. Deshalb glaubt man, es war gerecht, dass – als es ihrem Sohn gefiel, sie aus dieser Welt abzurufen, ihr alle, die durch sie die Erfüllung ihres Willens erlangt hatten, zur Erhöhung ihrer Ehre beitrugen.

Nachdem der Schöpfer aller Dinge durch sie vollendet hatte, was er auf Erden wollte, so gefiel es ihm auch, sie zugleich mit den Engeln im Himmel mit der höchsten Ehre zu krönen. Sobald die Seele der Jungfrau vom Körper geschieden war, wurde sie also wunderbar von Gott über alle Himmel erhöht, und Gott gab ihr die Würde einer Kaiserin über die ganze Welt und machte sie zur ewigen Herrscherin über die Engel. Die Engel wurden dann der Jungfrau so gehorsam, dass sie lieber die Qual der Hölle ertragen wollten, als in irgendeinem Punkt gegen ihr Gebot zu verstoßen.

Gott gab ihr auch so große Macht über die bösen Geister, dass sie – so oft sie einen angreifen, der liebevoll die Hilfe der Jungfrau anruft, gleich auf den Wink der Jungfrau erschreckt Reißaus nehmen und weit fort fliehen. Lieber wollen sie ihre Qualen und ihre Elend vervielfachen, als auf diese Weise von der Jungfrau beherrscht werden. Und da sie unter Engeln und Menschen am demütigsten erfunden wurde, deshalb wurde sie über alles Geschaffene erhöht und ist die Schönste von allen, und mehr wie Gott, als es irgend jemand anderes ist.

Es ist also zu bemerken, dass – wie Gold für wertvoller als übrige Metalle gehalten wird, so sind die Engel und Seelen würdiger, als andere geschaffene Wesen. So wie Gold nicht zu irgendwelchen Dingen geformt werden kann, ohne dass das Feuer dazu verhilft, aber – wenn das Feuer hinzukommt, je nach der Meisterschaft des Goldschmieds zu verschiedenen Gegenständen geformt wird, so hätte auch die Seele der hallerseligsten Jungrau nicht schöner als andere Seelen und Engel werden können, wenn nicht ihr vortrefflicher Wille, der mit einem geschickten Goldschmied zu vergleichen ist, sie so erfolgreich im heißen Feuer des Heiligen Geistes bereitet hätte, dass ihre Werke sich dem Schöpfer aller Dinge höchst wohlgefällig zeigten.

Und obwohl das Gold zu schönen Dingen ausgeformt wurde, kann man doch die Kunst des Goldschmieds dabei nicht klar beurteilen, so lange das geformte Werk in einen dunklen Raum eingeschlossen ist – aber wenn es hinaus ins Licht der Sonne kommt, da tritt die Schönheit des Kunstwerks umso deutlicher hervor. Ebenso konnten die höchst ehrenwerten Taten dieser ehrenreichen Jungfrau, die ihre kostbare Seele so schön zierten, nicht vollkommen geschaut werden, solange diese Seele in der Hülle ihres sterblichen Körpers eingeschlossen waren; sie traten erst deutlich hervor, nachdem diese Seele den Strahlenglanz der wahren Sonne, nämlich die Gottheit selbst erreicht hatte. Da erhöhte der ganze himmlische Hof diese Jungfrau mit den fröhlichsten Lobgesängen, denn ihr Wille hatte ihre Seele so außerordentlich geschmückt, dass sie an Schönheit alle anderen Geschöpfe übertraf und am allermeisten wie der Schöpfer selber war.

Ein ehrenvoller Thron, fast ganz wie die Dreifaltigkeit selbst, war von Ewigkeit her für diese ehrenreiche Seele bestimmt. Denn wie Gott Vater im Sohn und der Sohn im Vater war und der Heilige Geist in ihnen beiden, als der Sohn – nachdem er menschliches Fleisch mit der Göttlichkeit angenommen hatte, und die Menschengestalt im Schoße seiner Mutter ruhte (wobei die Einheit der Dreifaltigkeit ganz ungeteilt bewahrt und die Jungfräulichkeit der Mutter unverletzt erhalten wurde), so richtete Gott für die gesegnete Seele der Jungfrau eine Wohnung ein, die dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist am allernächsten ist, damit sie an allem teilhaben konnte, was von Gott geschenkt werden kann.

Kein Herz ist tief genug, um zu fassen, welche Freude Gott seiner Gesellschaft im Himmel bereitete, als seine allerliebste Mutter aus dieser Welt entrückt wurde. Das wird allen offenbar werden, die mit Liebe das himmlische Vaterland ersehnen, wenn sie Gott von Angesicht zu Angesicht schauen dürfen. Die Engel beglückwünschten die Seele der Jungfrau und verherrlichten Gott, denn ihre Gesellschaft wurde durch Christi leiblichen Tod vollzählig, und ihre Freude wurde durch die Ankunft seiner Mutter im Himmel erhöht.

Adam und Eva, die Patriarchen und Propheten – die ganze Schar, die aus dem Gefängnis des Totenreiches befreit waren, und die übrigen, die nach Christi Tod zur Herrlichkeit kamen, die freute sich über die Ankunft dieser Jungfrau im Himmel und brachten Gott Lob und Ehre der, der sie mit so großer Ehre geschmückt hatte, dass sie auf diese heilige und ehrenhafte Weise ihren Erlöser und Herrn gebären durfte.

Die Aposteln und alle die Gottesfreunde, die an der würdigen Aussegnung dieser Jungfrau teilnahmen, als ihr geliebter Sohn ihre ehrenreiche Seele mit sich zum Himmel führte, sie huldigten ihr mit ehrenhaftem Dienst, und sie erhöhten ihren verehrungswürdigen Leib mit aller denkbaren Huldigung und Ehre. Ja, man kann in Wahrheit glauben, ja völlig davon überzeugt sein, dass – so wie der Leib dieser hallerseligsten Jungfrau tot begraben wurde, so wurde er von Gott selbst, ihrem geliebten Sohn, lebendig in ehrfurchtsvoller Weise mit der Seele zum ewigen Leben aufgenommen.