30. Kapitel

Danach verflossen viele Jahre. Nachdem die wachen Körperkräfte derselben Person gleichsam zurückgekehrt und sie mit großem Trost gestärkt waren, wurde sie (wieder) in einer geistlichen Vision entrückt, und gleich sprach eine Stimme zu ihm, die sagte: „Ich bin der Sohn des lebendigen Gottes. Diese Ordensregeln, die du gehört hast, muss von meinem Stellvertreter, der auf Erden Papst genannt wird, bekräftig werden, denn er hat in meinem Namen die Macht, zu binden und zu lösen, und er wird vor mir Rechenschaft ablegen, während meine ganze himmlische Heerschar zuhört.

Ich bin derselbe, der nach der Schrift Mose antwortete, als dieser nach meinem Namen fragte: „Ich bin der, der ich bin.“ Als es mir dann gefiel, nahm ich einen menschlichen Leib von einer Jungfrau an. Und wie ich mit körperlichem Mund auf der Welt redete und sagte, dass ich nicht gekommen wäre, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen, so sage ich jetzt, dass diese Regel, die du im Geist gehört hast, nicht von einem menschlichen Sinn zusammengestellt ist, und dass sie ebenso wie andere Regeln vom Papst bestätigt werden muss, die erst von menschlichem Sinn durch Eingebung meines Geistes zusammengestellt worden sind.

Wenn die Regeln dann bestätigt ist, soll der Papst denen, die danach leben wollen, bewilligen, Personen von anderen Orden zu sich zu nehmen, die in Gottesliebe ihre Regel eingehalten haben und die jetzt versprechen, bis zu ihrem Tode dabei zu bleiben. Doch sollen sie nicht mehr nehmen, als sie selber wollen und keine anderen, als solche, die sie ihrer Gemeinschaft einverleiben wollen. Der Papst soll auch gestatten, dass ein Kloster an der Stelle gebaut wird, die dir angegeben ist, als du die Regel hörtest, denn da soll unser Ordensleben zuerst beginnen. Ebenso soll er den Schwestern die Erlaubnis geben, täglich das Stundengebet meiner Mutter zu singen, das durch Eingebung desselben Geistes wie die Regel vollendet worden ist.“

Als ich dieses hörte, antwortete ich: „Du unkörperliche Macht, wie groß ist doch deine Demut! Du Urheber aller Tugenden und die Tugend selbst, ein einiger, allmächtiger Gott in drei Personen! Ich glaube an alles, was die heilige Kirche zu glauben vorschreibt. Ich weiß auch mit größter Sicherheit, dass keiner so unwürdig ist, dass du ihm dein Erbarmen verweigerst, wenn er mit wahrer Demut und dem vollkommenen Willen, seine Sünden zu bessern, um deine Barmherzigkeit bittet.

Durch deine Gnade bin ich bereit, deinen Willen zu tun, solange ich lebe, dessen bist zu Zeuge. Du weißt, dass wenn es möglich wäre, dass größere Freude auf dich und größerer Trost dadurch kommen würde, dass ich mit meinem Leibe alle Arten von Krankheit, Schmach, Schmerz, Armut und Mühe und mit meiner Seele die ewigen Strafen erleiden würde, so würde ich mich lieber diesen Leiden unterwerfen, als dass ich ewiges Glück an Leib und Seele genießen würde mit dem Ergebnis, dass dein Trost geringer würde.

O Herr Gott, der mich geschaffen und mit deinem teuren Blut hat, wenn du siehst, dass ich irgendeinen Mangel an diesen dreien – Glaube, Hoffnung und Liebe habe, so bitte ich, dass du ihn um deiner großen Gnade willen ausfüllst. Du bist in meinem innersten Herzblut, ja im Innersten meiner Seele. Und wenn ich auch unwürdig bin, von deinem gesegneten Geist besucht und getröstet zu werden, so überantworte ich mich doch ganz und gar dem Schutze deiner großen Macht, damit du mit mir machst, was dir gefällt. Wenn du auch die Gedanken aller siehst, spricht doch meine Zunge auf Befehl meiner Seele zu dir.

O mein würdiger Herr Jesus Christus, ich unwürdiger Mensch bin zuweilen deine treue Dienerin, wie die kleinste Ameise unter starken Kamelen, die zum Nutzen und zu Ehren ihres Herrn große Lasten tragen. Wie soll der Papst glauben können, dass du, aller Dinge Gott und Herr, es für wert erachtest eine solche Ameise mit so großen Angelegenheiten zu betrauen, und wie soll diese Regel vor sein Angesicht kommen können?“