48. Kapitel

Eine große Heerschar wurde in Himmel sichtbar, und Gott sagte zu ihr: „O meine Freunde, die ihr alles in mir kennt, versteht und schaut, ich rede in eurem Beisein um meiner Braut willen, die hier steht. Seht, wie wenn jemand zu sich selber spricht, so redet meine Gottheit zu meiner Menschlichkeit.

Mose war mit dem Herrn vierzig Tage und Nächte auf dem Berge, und als das Volk sah, dass er so lange fort war, nahmen sie Gold und warfen es in den Schmelzofen, und davon wurde ein Kalb geschmiedet, das sie ihren Gott nannten. Da sagte Gott zu Mose: „Das Volk hat gesündigt. Ich werde es vernichten, wie etwas Geschriebenes aus einem Buche ausgestrichen wird.“
Mose antwortete: „Nein, mein Herr. Bedenke, dass du es aus dem Roten Meer geführt und wunderbare Dinge mit ihm getan hast. Wenn du es jetzt vernichtest – wo ist dann dein Versprechen? Ich bitte dich, tu das nicht, denn dann werden deine Gegner sagen: „Israels Gott ist schlecht, er, der das Volk aus dem Meer herausgeführt hat, aber es dann in der Wüste umkommen ließ.“ Und Gott ließ sich von seinen Worten erweichen.

Ich bin dieser Mose, um in einem Gleichnis zu sprechen. Meine Gottheit redet zur Menschheit, wie Moses, und sagt: „Sieh, was dein Volk getan hat, sieh, wie es mich verschmäht hat. Alle Christen sollen umkommen, und ihr Glaube ausgelöscht werden.“ Meine Menschlichkeit antwortete aber: „Nein, Herr. Bedenke, dass ich das Volk in meinem Blut (am Kreuz) durchs Meer geführt habe, als ich vom Scheitel bis zur Sohle verwundet war. Ich habe ihnen ewiges Leben versprochen; erbarme dich über sie um meines Leidens willen.“

Nachdem sie diese Worte gehört hatte, wurde die Gottheit besänftigt und sagte: „Es geschehe dein Wille, denn alles Gericht ist dir übergeben. Seht, meine Freunde, welche Liebe! Aber nun klage ich vor euch, meine Freunde, Engel und Heiligen, und vor meinen leiblichen Freunden, die aber nur mit Leibe auf der Welt sind, dass mein Volk doch Holz gesammelt hat, ein Feuer angezündet und Gold hineingeworfen hat, so dass ihnen daraus ein Kalb entstand, das sie jetzt als Gott anbeten. Der steht nun wie ein Kalb auf vier Füßen, hat einen Kopf, Hals und Schwanz. Als Moses sich länger auf dem Berge aufhielt, sagte das Volk: „Wir wissen nicht, was ihm passiert ist.“ Und es missfiel im plötzlich, dass er sie aus der Gefangenschaft geführt hatte, und sie sagten: „Laßt uns einen anderen Gott suchen, der vor uns hergehen kann.“

So verfahren nun diese verwünschten Priester mit mir. Sie sagen nämlich: „Warum sollen wir ein strengeres Leben führen, als andere? Was erhalten wir für einen Lohn dafür? Es ist besser für uns, in Frieden zu leben, und so, wie wir wollen. Wollen wir also die Welt lieben, deren wir sicher sind – über seine Verheißung sind wir nämlich unsicher.“

Dann sammeln sie Holz d.h. geben sich mit all ihren Sinnen der Weltliebe hin, und sie zünden ein Feuer an, wenn sie vollkommen entschlossen sind, der Welt zu folgen. Sie brennen, wenn ihre Lust in ihrem Sinne glüht und zum Handeln schreitet. Dann werfen sie Gold hinein, d.h. all die Liebe und Ehrenbezeugung, die sie mir erweisen sollten, die opfern sie jetzt der Welt zu ehren. So entsteht das Kalb, d.h. eine vollständige Liebe zur Welt. Es hat vier Fuße, nämlich Leichtsinn, Ungeduld, übermäßige Freude und Gier.
Denn diese Priester, die mein sein sollten, sind faul, wenn es gilt, mir Ehre zu erweisen, sie sind ungeduldig, etwas um meinetwillen zu ertragen, übertrieben in ihrer Freude und nie zufrieden mit dem, was sie gewonnen haben. Das Kalb hat auch einen Kopf und eine Kehle.

Das bezeichnet ihren ganzen Willen, der auf Schwelgerei aus ist; er kann nie gesättigt werden, auch wenn das ganze Meer hineinfließen würde. Aber der Schwanz dieses Kalbes ist ihre Bosheit, denn sie lassen niemanden seine Besitzanteile behalten, wenn sie ihm die nehmen können. Durch ihr schlechtes Beispiel und ihre Verachtung verletzen sie die, die mir dienen, und bringen sie zu Fall.
Das Kalb einer solchen Liebe ist in ihrem Herzen; darüber freuen sie sich und vergnügen sich damit. Sie denken von mir, wie die Israeliten über Mose. „Er ist lange fortgewesen“, sagen sie. „Seine Worte scheinen nutzlos und seine Taten mühselig zu sein. Lasst uns unserem eigenen Willen folgen; unsere Macht und unser Wille sei unser Gott.“

Ja, sie begnügen sich nicht damit; sie vergessen mich ganz und gar, sondern sie halten mich für einen Abgott. Die Heiden haben Bäume, Steine und tote Menschen verehrt. Unter anderem verehrten sie einen Abgott mit Namen Beelzebub, dessen Priester ihm Weihrauch opferten, vor ihm die Knie beugten und ihn mit lauten Rufen priesen. Und alles von ihrem Opfer, das unnütz war, ließen sie auf die Erde fallen, und Vögel und Fliegen verzehrten es. Alles, was nützlich war, behielten dagegen die Priester für sich. Sie verschlossen die Tür um ihren Abgott und behielten den Schlüssel für sich, so dass niemand eintreten sollte.
So handeln die Priester in dieser Zeit gegen mich.

Sie opfern mir Weihrauch, d.h. sie reden und predigen schöne Worte, aber zu ihrer eigenen Ehre und um irgendwelche zeitlichen Güter zu gewinnen, aber nicht aus Liebe zu mir. So wie der Weihrauchduft nicht eingefangen werden kann, sondern nur gefühlt und gesehen werden kann, so dienen ihre Worte nicht zum Nutzen der Seelen, so dass sie Wurzel schlagen und im Herzen bewahrt werden – nein, sie werden nur gehört und scheinen für kurze Zeit auch angenehm zu sein.

Sie opfern mir Gebete, aber keineswegs solche, die mir behagen – so wie die, die Lobpreisungen mit dem Munde rufen und doch im Herzen schweigen, stehen sie vor mir und rufen mit dem Mund, während ihre Gedanken um weltliche Dinge kreisen. Wenn sie dagegen mit einer mächtigen Persönlichkeit reden würden, würde ihr Herz dem folgen, was sie reden, so dass sie sich bei der Rede nicht vertun, und so dass man bei ihnen nichts zu beanstanden hätte.

Aber vor mir beten die Priester so wie Menschen, die verwirrten Sinnes sind, die etwas mit dem Munde sprechen, aber etwas anderes im Herzen haben. Niemand, der die Worte solcher Menschen hört, kann sicher sein, was sie beinhalten. Sie beugen vor mir ihre Knie, d.h. sie geloben mir Demut und Gehorsam. Aber in Wahrheit ist ihre Demut wie die von Luzifer; sie sind ihren Begierden gehorsam, und nicht mir. Sie versperren mir sogar die Tür und haben den Schlüssel in eigener Verwahrung. Sie schließen andere Dinge um mich herum auf und lobpreisen mich, wenn sie sagen: „Dein Wille gescheh, wie im Himmel, so auf Erden“, aber sie schließen andere Dinge vor mir zu, wenn ihr eigener Wille in Erfüllung geht, und mein Wille wie der eines eingesperrten und ohnmächtigen Mannes ist, den man weder hören noch sehen kann.

Sie haben den Schlüssel in eigener Verwahrung, wenn sie auch andere durch ihr Beispiel verführen, die gern meinen Willen tun würden, und die ihnen das gern verbieten würden, wenn sie könnten, so dass mein Wille sich nicht durchsetzen und in Erfüllung gehen kann, sondern nur nach ihrem eigenen Willen verlaufen würde.
Weiter verbergen sie im Opfer all das, was für sie notwendig und nützlich ist, und sie verbergen alle Ehrenbezeugungen und alles, was man ihnen schuldig ist, aber den menschlichen Leib, der zu Boden fällt d.h. stirbt, und dem sie doch das beste Opfer bringen sollten, den halten sie für unnütz und überlassen ihn Fliegen, d.h. den Würmern, und um das, wozu sie verpflichtet sind, es für ihn zu tun – darum kümmern sie sich überhaupt nicht und denken nicht daran, wenn es auch die Erlösung seiner Seele betrifft.

Aber was wurde zu Mose gesagt? „Schlag sie tot, die diesen Abgott gemacht haben!“ So wurden damals manche totgeschlagen, doch nicht alle. Ebenso sollen jetzt meine Worte kommen und sie töten – manche sollen durch ewige Verdammnis mit Leib und Seele getötet werden, andere sollen zum Leben gerettet werden, so dass sie sich bekehren und leben; andere sollen zu einem plötzlichen Tod verurteilt werden, denn diese Priester sind mir ganz verhasst.

Womit soll ich sie vergleichen? Sie gleichen der Frucht des Dornbuschs, die äußerlich rot und schön ist, aber im Innern voller Schmutz und Stacheln sind. So treten sie vor mich wie Männer, die rot vor Liebe sind, und den Menschen scheinen sie rein zu sein, während ihr Inneres voll Unreinheit ist. Wenn diese Frucht in die Erde gelegt wird, so wachsen andere Dornen daraus hervor. So verbergen sie ihre Sünden und ihre Bosheit im Herzen wie in der Erde, und sie verwurzeln so im Bösen, dass sie sich nicht einmal scheuen, öffentlich aufzutreten und mit ihrer Sünde zu prahlen.

Daraus nehmen andere nicht nur den Anlaß, zu sündigen, sondern werden auch tief in ihrer Seele verwundet, indem sie bei sich selbst denken: „Wenn Priester so handeln, ist es für uns noch mehr zugelassen.“ Ja, die Priester sind nicht nur wie Früchte des Dornbuschs, sondern auch die Stacheln, denn sie denken nicht daran, mit Tadel und Ermahnung in Berührung zu kommen, und sie meinen, dass niemand weiser ist als sie, und dass sie also alles tun können, wenn sie wollen.

Daher schwöre ich in meiner Gottheit und Menschlichkeit, so dass es alle Engel hören, dass ich die Tür zerbrechen werde, mit der sie meinen Willen eingesperrt haben, und mein Wille wird in Erfüllung gehen, und ihr Wille soll zunichte werden und auf ewige Zeiten in Pein und Qual eingeschlossen werden. Denn wie es früher gesagt worden ist: „Ich werde mein Gericht bei den Priestern und bei meinem Altar beginnen.“