Diese Offenbarung sah Frau Birgitta, Christi Braut, in der Grabeskirche in Jerusalem, in der Kapelle über dem Kalvarienberg am Freitag nach Christi Himmelfahrt.
15. Kapitel

Als ich am Kalvarienberg trauerte und weinte, sah ich, wie mein Herr nackt und gegeißelt von den Juden weggeführt wurde, um gekreuzigt zu werden. Sie bewachten ihn genau. Ich sah auch, dass ein Loch aus dem Berge ausgehauen war, und dass die Henker darum herum bereit waren, ihr grausames Werk durchzuführen. Aber der Herr wandte sich mir zu und sagte zu mir: „Gib genau Acht, denn in dieser Bergspalte war der Fuß des Kreuzes in der Stunde meines Leidens befestigt.“

Und ich sah gleich, wie die Juden sein Kreuz mit Holzpflöcken ringsherum in der Bergspalte befestigten; sie wurden mit einem Hammer hart festgeklopft, so dass das Kreuz sicher stehen und nicht umfallen sollte. Als das Kreuz in dieser Weise fest eingeschlagen war, legten sie gleich Holzbalken um den Kreuzesstamm herum, so dass sie eine Treppe bildeten und bis hinauf an die Stelle reichten, wo seine Füße festgenagelt werden sollten, und so konnte er und die Henker diese Treppenstufen hinaufsteigen, und die letzteren konnten dort stehen, während sie ihn kreuzigten, was bequemer für sie war.

Sie gingen darauf diese Treppenstufen hinauf und führten ihn unter gewaltsamen Spott und Hohn, und er ging willig wie ein sanftmütiges Lamm mit, das weggebracht wird, um geschlachtet zu werden. Als er nun oben auf dem Treppengestell stand, streckte er gleich freiwillig und ungezwungen seinen Arm aus, öffnete seine rechte Hand und legte sie auf das Kreuz. Die wilden Plagegeister kreuzigten ihn unheimlich grausam und durchbohrten ihn mit einem Nagel an der Stelle, wo der Knochen am festesten war. Dann zogen sie mit Hilfe eines Riemens gewaltsam seine linke Hand aus und machten sie ebenso am Kreuze fest.

Sie dehnten seinen Leib übermäßig am Kreuz aus, legten das eine Bein über das andere und befestigten so die vereinten Füße mit zwei Nägeln am Kreuz. Sie streckten seine ehrwürdigen Glieder so hart am Kreuze aus, dass fast alle seine Adern und Sehnen zersprangen. Die Dornenkrone, die sie von seinem Haupt abgenommen hatten, ehe sie ihn kreuzigten, setzten sei ihm nun von neuem auf sein hochheiliges Haupt, und sie stach sein ehrwürdiges Haupt so sehr, dass seine Augen gleich von dem fließendem Blut gefüllt wurden; seine Ohren wurden zugeklebt, und sein Antlitz und sein Bart wurden gleichsam von dem rosenroten Blut übergossen. Die Henker und Soldaten zogen dann das Treppengestell schnell vom Kreuze weg, und das Kreuz stand da, einsam und hoch, und mein Herr war daran gekreuzigt.

Als ich, erfüllt von Trauer, ihre Grausamkeit betrachtete, sah ich seine verzweifelte Mutter auf dem Boden liegen, gleichsam zitternd und halbtot. Johannes und ihre Schwestern trösteten sie, wo sie nicht weit vom Kreuz auf der rechten Seite standen. Der neue Schmerz, den ich da spürte, nämlich das Mitleid mit der allerheiligsten Mutter Christi, ergriff mich so tief, dass es war, als ob ein scharfes Schwert unter grenzenloser Bitterkeit in mein Herz drang.

Schließlich stand sie auf, seine schmerzensreiche Mutter, und sah ihren Sohn an. Ihre Schwestern hielten sie aufrecht, und sie stand da ganz gelähmt vor Trauer, ja wie tot, lebend vom Schwert des Schmerzes durchbohrt. Als ihr Sohn sie sah und ihre anderen Freunde weinen sah, befahl er sie mit trauriger Stimme Johannes an, und es ging aus seinem Verhalten und seiner Stimme so deutlich hervor, dass sein Herz vor Mitleid mit der Mutter mit dem spitzen Pfeil unendlichen Schmerzes durchbohrt wurde.

Seine schönen, liebenswerten Augen schienen nun halbtot, sein Mund war offen und blutig, sein Gesicht bleich und eingesunken, hässlich blau und von Blut verklebt, und der ganze Körper war blaubleich und äußerst geschwächt durch den Blutverlust. Die Haut und das jungfräuliche Fleisch in seinem hochheiligen Leib waren so fein und zart, dass nach dem kleinsten Schlag da ein blauer Fleck zu sehen war.
Manchmal suchte er sich am Kreuz infolge der übermäßigen Qual auszustrecken, die er unter der gewaltsamen, heftigen Pein verspürte. Denn manchmal stieg der Schmerz von seinen zerstochenen Gliedern und Adern bis zum Herzen auf und quälte ihn grausam mit dem qualvollsten Martyrium, und so zog sich sein Tod unter schwerem, unheimlich bitteren Leiden hinaus.

Außer sich durch die unerhörten Qualen und schon dem Tode nahe, rief er mit lauter und trauriger Stimme zum Vater und sagte: „O Vater, warum hast du mich verlassen?“ Seine Lippen waren da bleich, die Zunge war blutig, und der eingesunkene Magen lag fest am Rücken, als ob er keine Eingeweide hätte. Er rief von neuem, in der schwersten Pein und Angst: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Da hob sich sein Haupt etwas, aber sank gleich nieder, und so gab er den Geist auf.

Als seine Mutter dies sah, zitterte sie vor unendlicher Trauer und Trübsal am ganzen Körper und wäre zu Boden gefallen, wenn die anderen Frauen sie nicht gehalten hätten. In dem Augenblick sanken seine Hände wegen des großen Gewichts des Körpers ein wenig von den Stellen herunter, wo die Nägel sie durchbohrt hatten, und der Körper wurde so von den Nägeln gehalten, womit die Füße befestigt waren. Finger, Arme und Hände waren mehr ausgedehnt als vorher. Seine Schultern und sein Rücken waren hart gegen das Kreuz gepresst.

Da riefen die umstehenden Juden seiner Mutter höhnische Worte zu. Einige sagten: „Maria, nun ist dein Sohn tot!“ Andere sagten spöttische Worte. Während die Volksmenge nun darum herumstand, kam ein Mann in größter Raserei gesprungen und stach eine Lanze so heftig in seine rechte Seite, dass sie fast aus der anderen Seite des Körpers wieder ausgetreten wäre. Als die Lanze aus dem Körper herausgezogen wurde, floss gleich ein gewaltiger Blutstrom aus der Wunde, aber die Lanzenspitze und ein Teil des Schaftes kamen rot und blutüberströmt aus dem Körper.

Als seine Mutter dies sah, zitterte sie und weinte bitterlich, so dass deutlich an ihrem Gesichtsausdruck und ihren Gebärden zu sehen war, dass ihre Seele da von dem scharfen Schwert der Trauer durchstochen wurde.
Dann ging die Volksmenge davon, und einige Freunde des Herrn nahmen ihn vom Kreuze ab. Seine sanfte Mutter schloß ihn in ihre heiligen Arme, wo sie saß, und legte ihn auf ihre Knie – verwundet, zerrissen und blau-bleich, wie er war. Tief betrübt trocknete sie mit ihrem Leinenkleid seinen ganzen Körper und dessen Wunden ab, küsste seine Augen und drückte sie zu und wickelte ihn in ein reines Totenkleid (? sindal). So brachten sie ihn mit lautem Weinen und Klagen fort und legten ihn ins Grab.