28. Kapitel

Frau Birgitta schreibt an Herrn Bernhard, den Erzbischof von Neapel: „Verehrter Vater und Herr! Als die Person, die ihr gut kennt, das Gebet verrichtete und in Betrachtung versunken war, wurde sie entrückt, und da offenbarte sich ihr die Jungfrau Maria und sagte: „Ich, die mit dir spricht, ist die Königin des Himmels. Ich kann der Gärtner dieser Welt genannt werden. Wenn ein Gärtner ein heftiges Unwetter nahen sieht, das den Gewächsen und Bäumen in seinem Garten schadet, eilt er gleich herbei, bindet sie an feste Stöcke fest, so gut er kann, und hilft ihnen nach besten Kräften auf verschiedene Weise, so dass sie nicht vom Sturmwind abgebrochen und mit den Wurzeln ausgerissen werden.

Ebenso verfahre ich, die Mutter der Barmherzigkeit, in meinem Kräutergarten, d.h. der Welt, denn wenn ich sehe, wie die gefährlichen Winde der teuflischen Versuchungen und Eingebungen in das Herz der Menschen blasen, eile ich gleich zu meinem Herrn und meinem Gott, meinem Sohn Jesus Christus, um ihnen mit meinen Gebeten zu helfen und von ihm zu erwirken, dass er ein paar fromme Eingebungen des Heiligen Geistes in ihr Herz sendet, so dass sie, von diesen gestützt und heilsam gestärkt, vor dem teuflischen Wind der Versuchungen geistlich beschützt und unbeschadet bewahrt werden, und so nicht der Teufel Macht über die Menschen gewinnt, ihre Seelen zerbricht und sie nach seinem bösen Wunsch mit den Wurzeln nach oben kehrt.

Wenn die Menschen so mit demütigem Herzen und mit der Verwirklichung in der Tat diese meine Stützen und meinen Beistand annehmen, dann werden sie gleich gegen die teuflischen Anläufe der Versuchungen verteidigt, werden in Gnaden gestärkt und bringen zu gegebener Zeit Gott und mir liebliche Frucht. Aber die, die die geistliche Stütze meines Sohnes und von mir verschmähen und sich von dem Winde der Versuchungen bewegen lassen, dem Teufel im Willen und im Tun zuzustimmen, die werden aus dem Boden der Gnade weggerückt und werden vom Teufel durch unzulässige Begierden und Handlungen zu den ewigen Strafen und den finsteren Tiefen der Hölle geführt.

Aber nun sollst du wissen, dass in der Stadt Neapel viele schreckliche und heimliche Verbrechen begangen werden. Die will ich dir nicht erzählen; stattdessen spreche ich jetzt mit dir über zwei Arten von offenbaren Vergehen, die meinem Sohn und mir und dem ganzen himmlischen Hof aufs äußerste missfallen.

Die erste Sünde besteht darin, dass viele in dieser Stadt Heiden und Ungläubige als Diener anstellen, und dass manche von diesen Herren sich nicht darum kümmern, sie zu taufen und sie nicht zum christlichen Glauben bekehren wollen. Und auch wenn manche von ihnen getauft werden, kümmern sich ihre Herren nicht mehr darum, sie im christlichen Glauben und in der Art unterweisen zu lassen, das Sakrament der Kirche noch vor ihrer Taufe und Bekehrung zu empfangen.

Auf diese Weise kommt es, dass diese bekehrten Diener, nachdem sie den Glauben angenommen haben, viele Verbrechen begehen, aber nicht wissen, dass sie zum Sakrament der Buße und des Altars zurückkehren sollen, um wieder in den Stand der Gnade und Erlösung versetzt und mit Gott versöhnt zu werden. Außerdem halten manche ihre Dienerinnen oder Sklavinnen in solchem Elend und solcher Unkenntnis, als wären es Hunde, indem sie sie verkaufen – und was schlimmer ist, sie oft in Bordelle bringen, um auf so schändliche und abscheuliche Weise Geld zu verdienen. Manche halten sie in ihren Häusern als Mätressen für sich selbst und andere. Das ist höchst widerlich und Gott, für mich und den ganzen himmlischen Hof verhasst.

Es gibt auch andere Hausherren, die ihre Diener in solchem Maße plagen und sie mit Schimpfworten und Schlägen reizen, dass manche von ihnen in Verzweiflung geraten und Lust bekommen, sich das Leben zu nehmen. All diese Sünden und Versäumnisse missfallen Gott und dem ganzen himmlischen Hofe sehr, denn Gott selbst hat sie lieb: Er hat sie ja geschaffen, und er kam auf die Welt, nahm menschliche Gestalt durch mich an und erlitt Pein und Tod am Kreuz, um alle zu erlösen.

Du sollst auch wissen, dass die, die solche Heiden und Ungläubige kaufen, um sie zu Christen zu machen und sie in der christlichen Glaubens- und Sittenlehre zu unterweisen, und die Absicht haben, ihnen während ihres Lebens oder bei ihrem Tode die Freiheit zu geben, so dass sie nicht noch an die Erben übergehen – solche Hausherren erwerben sich große Verdienste und werden Gott wohlgefällig. Aber sei überzeugt, dass die, die das Gegenteil tun, von Gott hart bestraft werden.

Die andere Sünde ist, dass viele Männer und Frauen aus verschiedenem Anlass schlechte Wahrsager und Seher sowie widerliche Zauberer bei sich haben und in Anspruch nehmen. Manchmal bitten sie diese, gottlose Beschwörungen durchzuführen, damit sie dadurch instand gesetzt werden. Andere wollen von diesen Lumpen Kenntnis über die Zukunft. Viele bitten sie auch, dass sie ihnen mit ihrer bösen Beschwörungskunst Heilung von ihren Krankheiten verschaffen sollen.

Alle, die solche niedrigen Wahrsager und Hexen in ihren Häusern halten und sie versorgen, oder die solche teuflischen Ratschläge und Heilmittel von ihnen haben wollen, wie auch die bösen Hellseher und Hexen selber, die so etwas versprechen, sind Gott verhasst und von ihm verdammt. Solange sie in solchen Vorhaben verharren und ein solches Leben führen, auf die wird niemals irgendeine Eingebung oder Gnade vom Heiligen Geist herabsteigen, oder Eintritt in ihre Herzen gewinnen. Aber wenn sie bereuen und sich demütig bessern und den aufrichtigen Vorsatz fassen, nicht mehr zu sündigen, so werden sie Barmherzigkeit und Gnade von meinem Sohn erhalten.“
Nachdem (Birgitta) dies gehört hatte, verschwand die Vision.