18. Kapitel

Die Mutter spricht zur Braut und sagt: ”Ich habe dir gesagt, dass alle, die nach der Regel des Dominicus leben, unter meinem Mantel sind. Jetzt sollst du hören, wie viele das sind. Wenn Dominicus von dem Platz der himmlischen Freuden, wo er jetzt in Wahrheit glückselig ist, herabsteigen und rufen würde: „O geliebte Brüder, folgt mir, denn vier gute Dinge sind euch vorbehalten, nämlich Ehre als Belohnung für die Demut, ewiger Reichtum für die Armut, Sättigung ohne Überdruss als Belohnung für Enthaltsamkeit und ewiges Leben für die Weltverachtung, so würde ihn kaum jemand hören.

Aber wenn stattdessen der Teufel aus dem Abgrund aufsteigen und vier Entgegengesetzte Dinge ausrufen würde, indem er sagte: „Dominicus hat euch vier Dinge versprochen, aber schaut auf mich, ich zeige euch mit der Hand, was ihr begehrt, denn ich biete Ehre, ich habe Reichtümer in der Hand, Wollust ist für euch bereit, und die Welt wird für euch köstlich zu genießen sein. Nehmt also das, was ich anbiete, benutzt das, was sicher ist und lebt mit Freuden, so dass ihr euch zusammen nach dem Tode freuen könnt.“

Ja, wenn diese beiden Stimmen jetzt in der Welt ertönen würden, so würden mehr der Stimme des Teufels und Räubers nachlaufen, als der Stimme meines herrlichen Freundes Dominicus. Und was soll ich von den Brüdern des Dominicus sagen? Sicher sind es wenige, die seine Regel einhalten, und noch weniger, die seiner Fußspur folgen, denn alle hören nicht auf ein und dieselbe Stimme, weil sie nicht alle zum gleichen Geschlecht gehören, auch weil sie nicht alle von Gott sind und alle erlöst werden könnten, wenn sie wollten, sondern weil sie alle nicht auf die Stimme von Gottes Sohn hören, der sagt: „Kommt zu mir, und ich will euch erquicken, indem ich mich euch selber schenke.“
Was soll ich nun von den Brüdern sagen, die der Welt wegen nach dem Bischofsamt trachten – ob sie zur Regel des Dominikus gehören? Keineswegs.

Aber die, die das Bischofsamt aus einem vernünftigen Grunde übernommen haben – sollen die von der Regel des Dominicus ausgeschlossen werden? Sicher nicht. Der hl. Augustinus lebte ja nach der Mönchsregel, ehe er Bischof wurde, und in seinem Bischofsstand gab er das reguläre Leben nicht auf, obwohl er zu einer höheren Würde aufstieg.

Er nahm die Ehre, nämlich gegen seinen Willen, nicht mit der Aussicht, Ruhe zu bekommen, sondern sicher mehr Arbeit, denn als er sah, dass er Seelen gewinnen konnte, gab er Gottes wegen gern seinen eigenen Willen und die leibliche Ruhe auf, um für seinen Gott noch mehr Seelen zu gewinnen. Deshalb gehören die, die das Bischofsamt erstreben und annehmen, um desto besser Seelen zu gewinnen, zur Regel des Dominicus, und ihr Lohn wird doppelt sein, teils weil sie auf die Annehmlichkeit der Regel verzichtet haben, teils weil sie zu der Bürde des Bischofsamts berufen wurden.

Daher schwöre ich bei Gott, bei welchem die Propheten schworen, nicht auf Grund von Ungeduld, sondern um Gott zum Zeugen für seine Worte zu nehmen – ja, so sage ich nun und schwöre bei demselben Gott, dass über die Brüder, die die Regel des Dominicus verachtet haben, ein mächtiger Jäger mit wilden Hunden kommen wird.
Stell dir vor, dass der Diener zu seinem Herrn sagt: „Auf deine Wiese sind viele Schafe gekommen, deren Fleisch befleckt ist, deren Wolle zottelig und schmutzig ist, deren Milch unbrauchbar und deren Brunst unersättlich ist. Befehle also, dass diese weggetrieben werden sollen, so dass die Weide nicht für die nützlichen Schafe verdorben wird, und dass die guten Schafe nicht durch das störrische Verhalten der schlechten beunruhigt werden.“

Der Bauer würde darauf antworten: „Mach die Gitter zu, so dass keine anderen als die hineinkommen, bei denen es für mich nützlich ist, sie aufzuziehen und zu füttern, und die friedlich und sittsam sind.“ So sage ich, dass erst einige Gitter, doch nicht alle geschlossen werden, und dann wird der Jäger mit den Hunden kommen, und er wird die Wolle (der Tiere) nicht vor Pfeilen oder ihre Leiber nicht vor Verletzungen schonen, bevor ihr Leben endet. Dann sollen die Wächter kommen, und sie werden genau nachsehen und darauf achten, zu welcher Sorte die Schafe gehören, die auf die Weide des Herrn gelassen werden Soll.“ Da antwortete die Braut und sagte: O meine Frau, zürne nicht, wenn ich die frage: Wenn nun der Papst die strengen Regeln für sie mildert, sind die dann zu tadeln, wenn sie Fleisch oder etwas anderes essen, was ihnen vorgesetzt wird?“

Die Mutter antwortete: „Der Papst dachte an die Schwachheit und die Mängel der Menschennatur, die ihm einige vorhielten, und erlaubte ihnen, vernünftig Fleisch zu essen, damit sie geschickter und eifriger würden, zu predigen und zu arbeiten – aber nicht dafür, dass sie sich weichlicher und schlaffer zeigen sollten, und deshalb wollen wir den Papst entschuldigen, dass er diese Erlaubnis gegeben hat.“
Die Braut sagte erneut: „Dominicus bestimmte, keine Kleider von den besten zu haben, aber auch nicht von dem schäbigsten Zeug, sondern von mittlerer Sorte. Sind sie dann zu tadeln, wenn sie sich in feine Gewänder kleiden?“

Die Mutter antwortete: „Dominicus, der die Regel aus dem Geist meines Sohnes verfasste, schrieb vor, dass sie nicht Kleider aus den feinsten und teuersten Stoffen haben sollten, damit sie nicht wegen ihrer schönen und kostbaren Tracht getadelt oder abgelehnt oder hochmütig werden.
Er bestimmte aber auch, dass sie keine Gewänder aus den schäbigsten und härtesten Stoffen tragen sollten, damit sie nicht wegen der harten Tracht beim Einschlafen nach der Arbeit zuviel beunruhigt würden.

Sondern er bestimmte, dass sie maßvolle und notwendige Kleider haben sollten, von denen sie nicht hochmütig werden könnten, und in denen sie nicht eitel werden, aber durch die sie die Kühle des Körpers vertreiben und zu ständiger Vervollkommnung der Tugenden kommen können. Und deshalb können wir Dominicus für seine Verordnungen loben, müssen aber seine Brüder tadeln, d.h. die, welche ihre Gewänder wegen nichtiger Dinge und nicht aus nützlichen Erfordernissen verändern.“

Die Braut sagte weiter: „Sind die Brüder nicht zu tadeln, die deinem Sohn hohe und teuere Kirchen bauen? Oder sind die zu tadeln und zu verurteilen, wenn sie viel betteln, um solche Bauten vollenden zu können?“
Die Mutter erwiderte: „Wenn die Kirche so breit ist, dass sie die aufnimmt, die eintreten, wenn ihre Mauern so in die Höhe wachsen, dass die, die darin sind, es nicht eng haben, wenn die Mauern so stark und dick sind, dass sie nicht durch Einwirkung des Klimas aufspringen, und wenn das Dach so fest und dicht ist, dass es nicht dadurch tropft, so haben sie genug gebaut.

Denn Gott hat mehr Gefallen an einem demütigen Herzen in einer bescheidenen Kirche, als an hohen Mauern wo zwar die Körper drinnen sind, aber die Herzen draußen. Daher brauchen sie ihre Kisten nicht mit Gold und Silber für die Bauarbeit zu füllen, denn was hat es Salomo genützt, einen so kostbaren Tempel zu besitzen, wenn er vergaß, den zu lieben, für den er ihn erbaut hat?“

Nachdem man dies alles gesagt und gehört hatte, rief gleich der ältere Bischof, von dem vorher die Rede war, und sagte: „O, o, o! Die Bischofsmitra ist fort, und nun wird das sichtbar, was darunter verborgen war. Wo ist nun der ehrenwerte Bischof, wo der ehrwürdige Priester, wo der arme Bruder? Der Bischof ist sicher fort, der mit Öl zu seinem apostolischen Amt und zur Reinheit des Lebenswandels gesalbt wurde, da ist noch der Diener, der mit fettem Dreck beschmutzt ist.

Fort ist auch der Priester, der mit heiligen Worten geweiht wurde, damit er das leblose und tote Brot in den lebenspendenden Gott verwandelten sollte; übrig blieb der heimtückische Verräter, der ihn aus Geldgier verkaufen sollte, der alle aus Liebe erlöst hat. Fort ist ebenso der arme Bruder, der mit einem Eid auf die Welt verzichtet hatte.
Nun bin ich für meinen Hochmut und meine Prahlerei verdammt, und doch muss ich die Wahrheit sagen: Dass dieser gerechte Richter, der mich verurteilt hat, mich lieber durch den so bitteren Tod hat retten wollen, den er am Stamm des Kreuzes erlitt. Aber die Gerechtigkeit, gegen die er ja nicht handeln konnte, habe ich bestritten – dass ich nämlich anders verurteilt würde, als ich es jetzt erfahre.“