2. Kapitel

Weiter spricht Gottes Mutter: ”Sage dem Bischof, wenn er den genannten Weg einschlägt, werden ihm drei Schwierigkeiten begegnen: Erstens, dass der Weg schmal ist, zweitens, dass es stechende Dornen darauf gibt, drittens, dass der Weg steinig und uneben ist. Gegen diese drei Dinge will ich dir drei Ratschläge geben. Der erste ist, dass der Bischof sich in festere und sinnvoll genähte Gewänder für den schmalen Weg kleidet.

Der zweite ist, dass er vor seinen Augen zehn Finger haben soll, durch die er wie durch ein Gitter sehen soll, so dass er nicht von den Dornen gestochen wird. Der dritte ist, dass er seine Füße vorsichtig setzt und bei jedem Schritt prüfen soll, ob der hingesetzte Fuß seinen festen Halt hat, so dass er nicht übereilt beide Füße auf einmal setzen soll, sofern er sich nicht vorher von der Beschaffenheit des Weges überzeugt hat.

Was bedeutet der schmale Weg anders, als die Bosheit verkehrter Menschen gegen die Gerechten, solche Menschen, die rechtschaffene Taten verspotten, die Wege der Gerechten und richtige Ermahnungen verdrehen und alles gering achten, was Demut und Milde heißt? Gegen solche Menschen soll der Bischof sich mit den Gewändern der Geduld und Standhaftigkeit bekleiden, denn Geduld macht das Schwere angenehm und bewirkt, dass man zugefügte Schmähungen froh erträgt.

Und was bedeuten die Dornen, wenn nicht die Widrigkeiten der Welt? Gegen diese soll er die Finger der zehn Gebote Gottes und Gottes Ratschläge benutzen, so dass er, wenn die Dornen der Widrigkeit und Armut stechen, an Christi Leiden und seine Armut denken soll. Aber wenn der Dorn des Zornes und des Neides sticht, dann soll er Gottes Liebe betrachten, die er uns angeboten hat, zu bewahren. Die wahre Liebe sucht nämlich nicht das ihre, sondern stellt sich ganz in den Dienst für Gottes Ehre und zum Nutzen des Nächsten.

Und dass er vorsichtig sein soll, wenn er die Füße setzt, das bedeutet, dass er überall verständige Furcht hegen sollte. Denn ein guter Mensch muss gleichsam zwei Füße haben: Der erste ist die Sehnsucht nach dem Ewigen, und der zweite Widerwille gegen die Welt. Aber die Sehnsucht nach dem Ewigen muss mit Klugheit vereint sein, so dass er das Ewige nicht nur für sich selbst ersehnt, als sei er dessen würdig, sondern legt all sein Verlangen, seinen Willen und seine Hoffnung auf Belohnung in Gottes Hände.
Der Widerwille gegen die Welt muss vereint sein mit Vorsicht und Furcht, so dass dieser Widerwille nicht auf den Widrigkeiten der Welt und der Unzufriedenheit mit dem Leben beruht, und nicht darauf, dass er mehr Ruhe in diesem zeitlichen Leben haben und von der für andere so nützlichen Arbeit befreit werden will, sondern nur auf der Abscheu vor der Sünde und auf der Sehnsucht nach dem ewigen Leben.

Wenn er diese Schwierigkeiten auf dem Wege überwunden hat, will ich den Bischof ferner vor drei Feinden warnen, die auf seinem Wege sind. Der erste Feind versucht, dem Bischof ins Ohr zu zischen, um sein Gehör zu verstopfen. Der andere steht vor ihm, um ihm in die Augen zu stechen. Der dritte ist vor seinen Füßen, ruft laut und hat eine Schlinge zur Hand, um seine Füße einzuschnüren, wenn er sie vom Boden hebt.
Der erste Feind sind die Menschen, oder die Eingebungen, die versuchen, den Bischof vom rechten Wege fortzuziehen, indem sie sagen: „Warum belastest du dich mit so viel Arbeit, und warum fährst du auf einem so schmalen Weg? Weiche doch lieber ab und schlage den Weg ein, an dessen Rändern Blumen wachsen, auf dem so viele Menschen wandern. Was rührt es dich, wie der oder die leben?

Warum willst du die zurechtweisen und verärgern, von denen du geehrt und geliebt werden könntest? Wenn sie dir und den Deinen nichts antun, was brauchst du dich dann darum zu kümmern, wenn sie Gott erzürnen, oder wie sie leben?
Wenn du selber gut bist, mag es genug sein; was ist es deine Sache, über andere zu urteilen? Mach lieber Geschenke und nimm solche entgegen und nutze die Freundschaft der Menschen, so dass du während deines Lebens gepriesen und gut genannt wirst. Der andere Feind will dich blenden, wie die Philister Simson. Dieser Feind ist die Schönheit und Besitz der Welt, Luxus an Kleidern und anderen prachtvollen Dingen, Gunst und Ehre bei den Menschen. Denn wenn solche Dinge sich anbieten und die Augen entzücken, erblindet der Verstand, erlischt die Liebe zu Gottes Geboten, wird frei und mutwillig Sünde begangen und die Sünde leicht vergessen, nachdem sie begangen ist.

Deshalb soll der Bischof sich begnügen, wenn er das Notwendige maßvoll besitzt. Nun halten es nämlich viele, viele für bequemer, mit Simson an der Mühle der Lust zu stehen, als die Kirche nach der lobenswerten Ordnung des Hirtenamtes zu lieben. Der dritte Feind ruft laut, hat eine Schlinge in der Hand uns sagt: Warum gehst du so vorsichtig und mit gesenktem Haupt? Warum demütigst du dich selbst so sehr, wenn du von so vielen geehrt werden könntest und müsstest?

Sei lieber Priester aus dem Grunde, dass du unter den Ersten sitzen kannst; sei Bischof aus dem Grunde, dass du von so vielen wie möglich geehrt wirst! Gehe auf größere Würden zu, dass du mehr bedient wirst und mehr Ruhe genießen kannst! Sammle Reichtümer, mit denen du anderen helfen kannst, so dass du von ihnen getröstet werden und überall früh sein kannst!“

Wenn nun die Seele solchen Begierden und Eingebungen ausgesetzt ist, so erhebt sich gleich das Verlangen wie mit dem Fuß eines bösen Begehrens nach irdischer Lust, wodurch sie derart von der Schlinge weltlicher Sorge eingeschürt wird, dass sie sich kaum dazu aufraffen kann, ihr Elend und die ewigen Belohnungen oder Strafen zu betrachten. Und das ist nicht verwunderlich, denn die Schrift sagt: Wer ein Bischofsamt begehrt, begehrt ein gutes Werk zu Gottes Ehre. Jetzt dagegen streben die meisten nach Ehre und scheuen die Arbeit, in der die ewige Gesundheit der Seele liegt. Aus diesem Grunde soll der Bischof in der Stellung bleiben, die er hat, und nicht nach einer höheren trachten, ehe es Gott gefällt, ihn mit einer solchen zu bekleiden.“